SLEAFORD MODS, 12.05.2014, Komma, Esslingen
Zwei hübsche Mädels, glockenhelle Stimmchen, zartschmelzende Melodien, erbauliche Texte über die schönen Dinge des Lebens, anmutige Tanzeinlagen und Fröhlichkeit allüberall. Auf solche Konzerte gehen wir Gig-Blogger auch mal gerne. Heute aber das genaue Gegenteil: die Sleaford Mods. Jason Williamson und Andrew Fearn kommen aus Nordengland den Midlands, sind hässlich, schlecht gelaunt und können überhaupt nicht singen. Und sie sind der heißeste Scheiß, der gerade von der Insel herüber schwappt.
Mal wieder ein geniales Booking im Komma: schon vor Monaten (und vor dem großen Hype) klar gemacht, wird dies mit einem vollen Haus belohnt. Montagabend in Esslingen und mehr als hundert Zuschauer im Haus. Sauber. Ein wenig Anteil daran dürfte auch die Ankündigung des Support Acts gehabt haben: Ein Seitenprojekt der Stuttgarter Schreihälse “Human Abfall” werde als “Die Säulen des Kosmos” auftreten. Irgendwie wie DAF solle das sein. Das lässt man sich gleich zweimal nicht entgehen.
Der Bühnenaufbau ist bemerkenswert: ein Stehpult, zwei Mikros und ein Laptop. Könnte auch ein Vortrag oder eine Wahlveranstaltung werden. Und irgendwie wird’s das tatsächlich. Von Gesang kann hier keine Rede sein. Flavio Bacon, Frontmann von Human Abfall, haut uns zu trockenen Elektrobeats, die man so durchaus in der frühen Neuen Deutsche Welle, bei DAF oder den Krupps finden könnte, kryptische Parolen um die Ohren:
Niemand kann das Kapital wegdiskutieren.
Eine Idee, stärker als die alte Welt.
Kein Fuß breit den Maschinenstürmern, denn sie sind der wahre Feind.
Das ist sperrig, interpretierbar und erinnert in seiner Vieldeutigkeit an die Neue Slowenische Kunst, dieser von Laibach erfundenen, kontrovers diskutierten Kunstform aus Versatzstücken diverser diktatorischer Ideologien. Dargebracht mit dem typischen repetitiven Vortrag und dem starren Blick, wie wir ihn von Human Abfall kennen. Nicht unbedingt das, womit man eine fröhliche Party in Schwung bringt, aber so interessant, dass sich sogar Williamson und Fearn vom Merch-Sofa erheben und die Darbietung mit dem Handy filmen.
Der Vorteil am minimalen Bühnenaufbau: Das Stehpult wird weggeräumt und binnen weniger Minuten steht die nächste Band auf der Bühne. Nun also die Sleaford Mods, die Meister des Minimalen. Fearn greift sich ein Bier und startet den Laptop. Billigste Beats scheppern, Williamson presst umgehend seine Statements heraus. Schlecht gelaunt, genervt, aggressiv. Ebenfalls in permanenter Wiederholung, diesmal untermalt mit einem lästigen Tick: dauernd greift sich der Brite an die Nase oder ins Haar. Manisch? Ein Fall von Tourette-Syndrom? Klar, das würde auch das permanente Fluchen und die Fäkalsprache erklären. Jetzt zu behaupten, man verstünde alle Texte, das wäre frech. Vermutlich tun sich sogar geborene Engländer mit Williamsons breitem nord mittelenglischen Dialekt schwer. Insofern dringen die Botschaften nur bruchstückhaft an unsere Ohren. Was sich daraus ergibt, ist ein finsteres Sittengemälde: England in kollektiver Leck-mich-am-Arsch-Stimmung, Massenarbeitslosigkeit, keine Perspektiven, soziale Kälte, Thatcherismus zwo-null.
Big car, small life, that’s just the way it is.
Eine seltsame Mischung aus Sarkasmus und Spaß am Possenreißen. Zwischen den Tracks verfällt Williamson regelmäßig in einen grenzdebilen Gesichtsausdruck, schmiert sich den Rotz von der Nase und stiert stumpf ins Publikum. Wenn es noch eines Beweises des Niedergangs einer dekadenten Gesellschaft bedurft hätte, hier wird er zelebriert. Sein Kollege Fearn, dessen einzige musikalische Qualität darin besteht, auch nach erheblichen Mengen Bier noch die Start- und Stopp-Taste auf seinem Laptop zu treffen, gibt sich monotonen Tanzbewegungen, der systematischen Biervernichtung, seiner Elektrozigarette und einer ausgiebigen Partie Taschenbillard hin.
Chopped heads on London streets,
all you zombies tweet, tweet, tweet.
Hier hat der Punk – abseits des stereotypen Zwei-Akkord-Geschrammels – endlich seine adäquate Ausdrucksform im einundzwanzigsten Jahrhundert gefunden. Minimal, unendlich genervt und an Monotonie nicht mehr zu übertreffen. Natürlich steht dies auch in einer langen Tradition wortgewaltiger Spoken-Word-Artists. John Cooper Clark, Attila the Stockbroker oder auch Scroobius Pip lassen grüßen. Aber während der Agitprop-Punker Attila the Stockbroker mit seinem marxistischen Weltbild zumindest eine Hoffnung auf eine bessere Welt hat, herrscht bei den Sleaford Mods nur noch Langeweile und Resignation. Das ist auch nicht als Appell oder Aufrüttelung zu verstehen, es beschreibt einfach, wie es ist. Wahrscheinlich klingt er so, der Untergang der spätkapitalistischen Gesellschaft.