SLEEPY SUN, 25.04.2014, Manufaktur, Schorndorf
Bei Tourneeplanungen immer berücksichtigen: möglichst Bands nicht an einem Freitag an einem Ferienende auf weite Autobahnstrecken schicken. Vier Stunden Stau haben Sleepy Sun von ihrer Berlinanfahrt auf dem Musikerbuckel, als sie um kurz vor neun in Schorndorf eintreffen. Glücklicherweise hat die Manufaktur aber heute ausnahmsweise eine Vorband einprogrammiert. Genosse Zufall reicht den Gerechten, der Manufaktur, eine Hand.
Narco kommen aus Schorndorf höchstpersönlich, und sind ein Trio, welches instrumentalen Progrock macht. Gute Ideen sind dabei, z.B. als während eines Stückes ein vierter Mann mit einem Saxophon den Sound bereichert, und v.a. glaube ich teilweise etwas die King Crimson aus der Red-Phase rauszuhören, einer meiner Lieblingsplatten der Engländer. Problem nur nach meinem Dafürhalten ist, dass die Liveperformance mit der Musik noch nicht Schritt halten kann. Es klingt meist etwas kraftlos, nicht komplett organisch, noch etwas zu schulbuchmäßig, als müssten alle Räder lernen besser inaneinander zu greifen. Aber das ist reine Erfahrungssache, wahrscheinlich sind die Jungs in ein paar Monaten der Livekracher schlechthin, wer weiß. So nötigt es mir Respekt vor der Komplexität der Musik ab, aber gepackt hat es mich nicht.
Um halb zehn erfolgt dann eine Rekordumbaupause. Abbau des Narco-Instrumentariums, gleichzeitiger Aufbau für Sleepy Sun samt Soundcheck der Instrumente und Mikros. Als man gerade so denkt, ob sie jetzt noch einen kompletten Song soundchecken werden, und dann erstmal von der Bühne gehen, legt das Quintett um viertel nach zehn einfach direkt los und das bei bestem Sound. Das darf man mal loben!
Ungewöhnlich auch, dass man mit einem ruhigen, langsamen Stück beginnt. Das noch nicht mal zu Ende gedacht, folgt ein schnellerer Part, in welchem der zweite Gitarrist plötzlich auf einer Standtom rumtrommelt und der Sänger eine Mundharmonika spielt. Und so voller Überraschungen geht das Konzert weiter.
Lässt es mich am Anfang noch etwas kalt, da sich mir diese Mischung aus sehr 70er-mäßigem Rockgesinge samt leicht Robert Plant mäßigen Posen und sperrigen Songstrukturen nicht sofort erschließen will, ist nach zwei, drei Songs klar, dass das hier was ganz eigenes, großartiges ist. Ein eigener Soundkosmos tut sich auf, irgendwann ist man ganz drin in der Musik und kann das Ganze befreit von irgendwelchen Musikgenregrübeleien genießen.
Zum Beispiel die teilweise ungewöhnlichen Gesangsmelodien die Bret Constantino bei bestimmten Parts singt. Es ist ja oftmals so, dass man auch bei unbekannten Songs irgendwie schon unbewusst vorher sich darauf einstellt, wie der Song samt Melodie weitergeht. Hier eben oftmals nicht. Auch die sich abwechselnden lauten und leise Parts wirken nie aufgesetzt, sondern ergeben im Sleepy Sunschen Kontext sehr wohl Sinn und wirken durch und durch organisch.
Man versinkt komplett in der sehr clever und anspruchsvoll arrangierten Musik, und wird trotz der vielen Überraschungen nie aus dem Flow rausgeholt, weder von einem Break, an dem eine schreiend-verzerrte Mundharmonika einsetzt, noch aus plötzlichen einsetzenden Gitarrensoli, diese mal mit viel Hall und Effekten, mal clean, mal mit Wah Wah. Aber auch die in einem Rhythmus und Tempos durchgezogene Songs wie das tolle „Martyr’s Mantra“ funktionieren vorzüglich, und sind so interessant komponiert, dass es nie langweilig wird.
Die recht zahlreichen Zuschauer sind begeistert und bekommen noch eine Zugabe von der Band aus San Francisco, der man nicht anmerkt, dass sie alles andere als eine entspannte Vorbereitung auf den heutigen Abend hatte. Auch Fotograf Markus, der die Band schon mal in London gesehen hatte, meint, dass sie heute Abend richtig gut gewesen seien im Gegensatz zu damals. Mal wieder alle Daumen nach oben für ein Manufakturkonzert. Gig-Blog gefällt das. Gar nicht gefällt dann die Rückfahrt, wenn einem drei Doppelstockwaggons prall gefüllt mit Trachtenseppls und Dirndl begegnen. Jugendkultur anno 2014. Evolution, bitte übernehmen sie!
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More Schorndorf for you, more intensiv and more organic.
Come by.
viel Liebe,
Jessica. <3