WILLIAM FITZSIMMONS, 27.02.2014, Jugendhaus Hallschlag, Stuttgart

William Fitzsimmons

Foto: Heike Pannen

Wie muss das sein, wenn die eigenen Eltern vollkommen blind sind? Wenn man aufwächst in einem Haus, in dem Geräusche, Töne, Musik eine Bedeutung haben, die sich kein Sehender vorstellen kann? Wenn man von klein auf ganz anders Hören lernt, weil die Eltern anders hören müssen – um zu überleben. William Fitzsimmons ist mit zwei blinden Eltern aufgewachsen. Seine feinnervige Musik, sein scheinbar berührungsloser Gitarrenanschlag, die fragilen Texte, das geht mächtig unter die Haut. Mit großen Erwartungen freue ich mich auf seinen Auftritt im Kinder- und Jugendhaus Hallschlag. Da kommen schon länger die interessantesten Künstler hin (kommenden Monat zum Beispiel Iriepathie). So ziemlich ausverkauft mal wieder, das KJH. Und die Bühne, nicht zu groß, nicht zu klein, gefällt mir bestens.

Ich war mal Untermieter bei einer fast blinden, älteren Frau. Damals habe ich die Brailleschrift kennen gelernt, die mich bis heute fasziniert. Dass Menschen so feinfühlige Finger haben können. Die Bedeutung der anderen Sinne jenseits des Sehens wurde mir erst damals wirklich bewusst. Frau Frentzel, so hieß die alte Dame, hatte noch als Kind den Kaiser an sich vorbei reiten hören. Ja, gehört hat sie das. Am Hufschlag des Pferdes. Diese unglaubliche Frau konnte eine Feder fallen hören und Bilder beschreiben, die kein Mensch jemals gesehen hat. Weil sie nur vor dem inneren Auge existieren.

Natürlich kann ich nur erahnen, wie Fitzsimmons die Wahrnehmungswelt seiner Eltern erlebte, aber vermutlich ging es ihm wie mir: als Sehender fühlt man sich privilegiert und unterbemittelt zu gleich. Im Vollbesitz aller Sinneskräfte ist man sich des Potentials der einzelnen Sinne kaum bewusst. Es ist fast so, als ob die Inflation der tagtäglichen Sinneseindrücke, einem die Möglichkeit raubt, sich auf die einzelnen Sinnesrezeptoren zu konzentrieren. Manchmal schalte ich zum Musikhören bewusst alle Lichter aus, um mich rein auf das Hören zu fokussieren. Manchmal lieg ich einfach nur im Sommer auf einer Wiese, um die Geräuschwelt der Natur ganz bewusst wahrzunehmen. Aber von all dem was ein Blinder hören kann, (viele Blinde haben bekanntlich das absolute Gehör) davon kann meiner einer nur träumen.

Für mich entdeckt hat William Fitzsimmons meine Freundin, die ist ein großer Fan vom Hotel Cafe LA / Kalifornien. Fitzsimmons ist dort aufgetreten und damit in der wohl wirkungsmächtigsten Brutstätte der gegenwärtigen Singer-Songwriter-Szene der USA. Meiko, Anna Nalick, Amber Rubarth, Adam Levy, Gary Jules und Adele sind dort groß geworden. Fitzsimmons passt in diese Reihe großer Simplizisten der Musik, die die Dinge wieder auf das Wesentliche reduzieren. Wobei Adele, denk ich an „Skyfall„…nun gut… Ausnahmen bestätigen die Regel. Auf jeden Fall werden im Hotel Cafe immer wieder wunderbare neue Melodien hervorgezaubert, von denen man meint, sie so noch nie zuvor gehört zu haben.

William Fitzsimmons

Foto: Heike Pannen

Die Musik von Fitzsimmons beispielsweise hilft einem ganz wunderbar dabei der allgemeinen Reizüberflutung, durch das bewusste Eintauchen in musikalische Sanftmut ungekannten Ausmaßes zu entfliehen. Deshalb passt auch die dezente Beleuchtung und die wie immer sehr angenehme Atmosphäre im Jugendhaus geradezu perfekt. Fitzsimmons braucht keinen Firlefanz. Barhocker, Mikro, Gitarre – das genügt. Und ein bisschen Synthesizer. Denn diese Kombi, ganz traditionelle Gitarreninstrumente (er spielt so ziemlich jedes jemals erfundene davon) und ein klein wenig Elektro, gerade das macht das Besondere von Fitzsimmons für mich aus. Dafür hat er eine kleine aber feine Band mitgebracht.

Ich erkenne leider einige Songs nicht wieder. Vermutlich weil viel von seinem neuen Album Lions dabei sind, da konnte ich noch nicht so richtig rein hören, zumindest nicht mit Muse. Die braucht man für seine Musik. Toll, dass das Publikum vom Jugendhaus das auch so sieht und sich entsprechend entspannt auf den Abend einlässt. Fitzsimmons nimmt die Leute von Anfang mit. Seine Ansprachen und sein Blick, da meine ich auch seine therapeutische Erfahrung zu spüren.

Und sind wir nicht alle ein bisschen therapiebedürftig, in diesen hyperhektischen, die Wahrnehmungsfrequenz aberwitzig hochtaktenden Zeiten? Fitzsimmons ist studierter Psychotherapeut. Seine Musik, allein seine Stimme beruhigt. Mit mildem Lächeln streift sein bartumrandeter Blick über die ergriffene Menge. Fast so, als ob er sich ein bisschen dafür entschuldigen möchte, dass er einen so sehr bewegt mit diesen einfachen, simplen Liedern.

Einige seiner bekanntesten Lieder spielt er natürlich auch heute Abend. Zum Beispiel „Beautiful Girl“ – mein absoluter Favorit. Die Luft knistert, wenn er zu solchen Liedern anhebt, sich aufmacht auf eine kleine Reise in kleine Erzählungen über den Alltag, über ganz allgegenwärtige Gefühle und über Trauer. Trauer zulassen zu können, darum scheint es mir bei seiner Musik im Kern zu gehen. Trauer über zerbrochene Beziehungen, Trauer über vergangene Liebe und andere Vergänglichkeiten. Ob das Selbsttherapie ist? Oder versucht da einer, sein Publikum zu therapieren? Egal, es hilft wohl beiden.

In „Please don’t go“ geht es ganz konkret um den nahenden Tod eines Vaters, der kein guter Vater war (so wie ich das interpretiere) und dessen Sterben trotzdem unendlich traurig macht:

And I don’t believe your protest
That you swear you didn’t know
How to even change a diaper
Or to teach me how to throw
 
Please don’t go
Please don’t go
 
There were words you told my brother
How you never had the choice
To decide if you would father
Two rambunctious little boys
 
Please don’t go
Please don’t go
 
Now we’re stuck in this together
And I don’t think I can run
From the ties that you have started
From the sins that we’ve become

Die versöhnende Musik bewahrt einen bei solchen Songs vor negativen Gefühlen. Und ich glaub ja an die heilende Kraft solch erschütternder Lieder. Im Saal ist’s in solchen Momenten ganz still.

Man merkt, da passiert was in diesen Momenten. Irgendwas – jenseits der Stille. Da lächeln viele selig. Die Gesichter um mich herum zeigen deutlich, dass die allermeisten gerade ganz woanders sind. Tief in sich selbst. An fremden Orten. Bei jenen Gefühlen, die so tief vergraben sind und bei deren imaginären Bildern. An einem Abend wie diesem werden sie von Fitzsimmons erweckt.

PS: Nicht verschwiegen sei der liebenswürdige und musikalisch verdammt gute Support von Fitzsimmons: Denison Witmer. Aber über den müsste ich mal was ganz eigenes schreiben.

William Fitzsimmons

Foto: Heike Pannen

Ein Gedanke zu „WILLIAM FITZSIMMONS, 27.02.2014, Jugendhaus Hallschlag, Stuttgart

  • 3. März 2014 um 12:37 Uhr
    Permalink

    Lieber Felix,
    wieder einmal ein sehr guter Bericht zu einem hochinteressanten Künstler !!!
    Bitte weiter so !!!
    Sehr schön die Geschichte mit Frau Frentzel.
    Ich hatte ebenfalls die Ehre, die alte Dame damals in den alten Tagen in Freiburg kennenlernen zu dürfen.
    Liebe Grüße,
    The Firestarter

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