KARL BARTOS, 26.01.2014, Wagenhallen, Stuttgart

Karl Bartos

Foto: Reiner Pfisterer

26. Januar 2014, Staples Center, Los Angeles: Der weltweit wichtigste Musikpreis, der  Grammy Award, wird heute verliehen. Die deutsche Elektropionierband Kraftwerk erhält zusammen mit The Beatles den Grammy Lifetime Achievement Award. Auf die Musik Kraftwerks ist – verkürzt gesagt – maßgeblich die elektronische Tanzmusik, der Technopop, zurückzuführen.

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Um Punkt 20 Uhr des selben Abend lässt Karl Bartos sein Konzert in den Wagenhallen, Stuttgart, mit einem Karlheinz-Stockhausen-Intro beginnen. Zu „Nummern“ betritt er mit seinen beiden Mitmusikern Mathias Black und Robert Baumanns die Bühne und wünscht einen guten Abend. Die etwa 300 Konzertbesucher applaudieren. Die drei älteren Herren zählen in weltbekannt verzerrten Stimmen. Auf den drei Screens oberhalb der Apple-Laptop- und Manual-Armada flimmern flotte Fliffern Ziffern, dann geht es in die „Computerwelt“. Erst der dritte Song „The Camera“ (zu Ausschnitten von Antonionis Blow Up, sehr schön) ist ein echtes Karl-Bartos-Stück. Bei „Das Model“ verlassen Black und Baumanns die Bühne und Bartos singt das Lied allein.

Karl Bartos

Foto: Reiner Pfisterer

Sie sieht gut aus und Schönheit wird bezahlt

Das Publikum ist angenehm verstört, weil… dazu muss weiter ausgeholt werden: Karl Bartos studierte Klavier, Vibraphon und Schlagzeug und war ab 1975 Mitglied der ________ (bitte ein episch-überbordendes Adjektiv einsetzen) Gruppe Kraftwerk. Wahrscheinlich genervt von der Dominanz der beiden Gründungsmitglieder Hütter und Schneider verließ Bartos die Band 1990. Seine letzten aktiven Arbeiten leistete er am letzten regulären Album „Electric Café“ (des Textautors Life-Time-meistgehörte und All-Time-Favourite-Platte). Er gründete das Projekt Elektric Music und produzierte u.a. für OMD oder sogar Deine Lakaien. Außerdem war er an Electronic (mit Bernard Sumner/New Order, Johnny Marr/The Smiths und zeitweise Neil Tennant/Pet Shop Boys) beteiligt, bevor er 1998 sein erstes Soloalbum veröffentlichte und seit seinem zweiten Album 2003 gelegentlich tourt. 2013 kam nun das aktuelle Album „Off The Record“ heraus, der Namensgeber der derzeitigen Tour.

Karl Bartos’ Repertoire ist also kein kleines, dass er allerdings auf seinem Konzert zwischen seinen Werken mit seinen Leuten die alten Kraftwerksongs in wohlgemerkt feinster Qualität  rauf- und runterspielt – das überrascht nicht nur den Autor dieses Textes, sondern auch die älteren Herrschaften des zu 90% aus Männern mit Prä-Hipsterbärten bestehenden Publikums. Darf-der-das-eigentlich-Diskussionen entbrennen. Aber Spaß macht es allen. Und die ältliche Aktualität der kraftwerkschen Punchlines passen nach wie vor zu unserem Leben heute:

Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard
Flensburg und das BKA, haben unsere Daten da

Eine Stunde nach dem Konzert wird die ARD das große Interview mit Edward Snowdon ausstrahlen.

Karl Bartos

Foto: Reiner Pfisterer

Andererseits irritiert es auch, Kraftwerkstücke nicht im Kraftwerksgewand, also mit den vier „Menschmaschinen“ an den vier Pulten zu erleben. Kraftwerk (seit 2008 nur noch vom Gründungsmitglied Ralf Hütter geführt) hat es durch die seltenen, perfekt arrangierten Auftritte, durch die beinahe Verweigerung jeglicher Interviews seit über 30 Jahren und natürlich durch außergewöhnlich langlebig-interessante Musik geschafft, eine unnahbare, entmenschlichte/maschinenhafte Aura zu schaffen. Kraftwerkkonzerte gleichen einer Messe. Sie sind Kunst und finden fast nur noch im Kunstkontext statt. Ihre jeweils aus acht Konzerten bestehende Reihe The Catalogue war binnen Stunden ausverkauft. Gespielt wurde u.a. im New Yorker MoMa und in London, in der Turbinenhalle der Tate Modern.

Karl Bartos demokratisiert Kraftwerk. Er bringt sie in die Wagenhallen nach Stuttgart. Er begrüßt das Publikum und signiert nach dem Konzert sein neues Album. Er gibt launige Interviews, in denen er z.B. bemerkt, dass er nur Beatles-Songs vom Notenblatt konsumieren könne – die eingespielten Songs seien zu perfekt, da kämen ihm die Tränen. Vom kraftwerkschen Auftrittsgehabe und dem reinen Verwalten des Band-Erbes scheint er nicht sonderlich viel zu halten. In seinem 2013 veröffentlichten Song „Without A Trace Of Emotion”, den er auch heute Abend spielt, heisst es in Anspielung auf Kraftwerks Dresscode:

Without a trace of emotion I see you right in front of me
Dresscode: red shirt, black tie – you’re history, you’re history

Dennoch gratuliert Karl Bartos auf seiner Homepage seinen ehemaligen Bandkollegen zum Grammy, er ist ja Mensch, nicht Maschine.

Karl Bartos

Foto: Reiner Pfisterer

Zum Ende des Konzerts konzentrieren sich Bartos und seine Mitmusiker mit „Communication“, „15 Minutes Of Fame“, „Ultraviolet“ auf eigenes Material. Die Demokratisierung und der Versuch der Weiterentwicklung bringt jedoch auch einen gewissen Grad an Trivialisierung mit sich. Die Wagenhallen sind nun mal nicht die Turbinenhalle der Tate Modern und die Songs haben zwar ein ähnliches Soundgewand, kommen aber in ihrer Qualität nicht ganz an altes Kraftwerkmaterial ran. Und der Refrain von „Ultraviolet“ zeigt auf eine Vergangenheit, die eben keine Aktualität mehr hat:

I have to return some videotapes

Zur Zugabe „I Watch TV“ werden auf den Screens Fernsehbilder der 1990er gezeigt. Guter Elektropop mit schöner Melodie und der Botschaft, dass Fernsehen alles sein kann: intelligent, informativ, idiotisch, ikelhaft– man muss es eben selbst auswählen.

I press the key, I watch TV

Mit diesem Song bewegt sich Bartos auf Augenhöhe mit seiner ehemaligen Band. Ein gelungener Abschluss. Gut, dass es beides gibt: Kraftwerk und Karl Bartos, Maschine und Mensch. Das beste aus zwei einer Welten.

Karl Bartos

Foto: Reiner Pfisterer

2 Gedanken zu „KARL BARTOS, 26.01.2014, Wagenhallen, Stuttgart

  • 28. Januar 2014 um 20:38 Uhr
    Permalink

    Schöner Text, lieber Bertram.
    Super finde ich „Karl Bartos demokratisiert Kraftwerk“ und dass der Fotograf heißt wie du! :-)

  • 30. Januar 2014 um 09:53 Uhr
    Permalink

    Gut gemacht, Pfisterers !! Weiter so !!

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