ESxSW-Festival, 1. Tag, 22.11.2013, Komma, Esslingen

Monsieur Mo Rio

Foto: Steve Sonntag

Ganz Gonzo machen wir das heute, sagt Christian Baudisch, beim ersten ESxSW-Festival – Esslingen by Southwest soll das heißen. Also: Ein paar Autoren schreiben irgendwas zu allem, bei dem sie dabei waren. Ohne Anspruch auf Objektivität, die aber ja per Satzung eh kategorisch ausgeschlossen ist.

Fünfzehn lokale Bands an zwei Tagen auf zwei Bühnen für zwei schlaffe Zehner (Euro). Mehr Preis-Band-Verhältnis geht wohl nicht. Vor allem, wenn man sich vors Ohr führt, wie geil diese Perlen unserer bescheidenen Neckartal-Szene sind! Doch der Reihe nach.

The Tremolettes

Foto: Steve Sonntag

Mit den The Tremolettes geht’s im großen Saal gegen 20:30 los. Der Raum ist ganz annehmbar gefüllt, und die drei Blog- Genies Deppen haben folgendes zu vermelden:

Claus: „Ich schreibe Haikus und emaile sie allen“, sagt Jack in Fight Club. So ähnlich ist das bei The Tremolettes: Vorne puschelig wie japanische Lyrik, zotig, zottelig mit viel 60er, hinten Punk faustdick. Schnuffig gemütlich kommen die Keyboards daher, die lässige Gitarre und der lockere Viervierteltakt. Schön Rock’n’Rollig. Mit Schmelz. Dann schnurrt die Gitarre mal ein bisschen The Who-mäßig. Die Keys spielen Ragtime. Das Ganze immer zwischen mellow und lärmig. Geil ist die Stimme des Gitarristen Elvis Brettschneider, die nuancenreich weich oder hoch zart oder lauter, mal schnarrend nasal ist, aber auch der Bassist Felix Keltsch singt als Backing Vokalist mit und der Keyboarder Magnus Sauer hat eine Menge Blues ist der Kehle. Die Ansagen sind sympathisch: Wie es ihnen peinlich ist, dass sie kein Vinyl haben. Wie sie uns viel Spaß auf dem ESxSW mit den „fantastischen Bands“ wünschen. Recht haben sie. Ein perfekter Auftakt!
Christian: Astreinen Südstaaten-Oldtimer-Rock gibt’s von den Burschen auf die Ohren. Ich würde vorschlagen jetzt müssten sie mal ein paar Beefheart-Platten hören und sich von den frühen ZZ Top und Screamin‘ Jay Hawkins verhauen lassen. Hier werden grad‘ die Weichen für die Zukunft gestellt. Spielt die Band in zwei Jahren auf der Bühne beim Strassenkreuzerfreundetreffen oder in den Clubs, in die der Türsteher CD-Käufer nicht reinlässt? Hören wir uns in drei Jahren auf dem Soundtrack vom neuen „Werner“-Film oder bei „True Blood“ (Staffel 66)?
Lino: Ich hatte die jugendlichen Herren ja schon mal gesehen, für ganz beachtlich gefunden, obwohl sie nicht unbedingt meine Stilrichtung sind. Aber seit heute bin ich Fan, zu gut einfach das alles. Songs, Können, Ausstrahlung, da geht einiges. Und bei der letzten Blues-Ballade, bei der die Kollegen zu Recht „Pink Floyd, Pink Floyd“ mir ins Ohr raunen, hätten Portishead vor Jahren ein Vermögen gezahlt, um paar Passagen daraus zu samplen.

JFR Moon

Foto: Steve Sonntag

Rüber in den kleinen Saal, besser Raum, wo Lichtverhältnisse herrschen wie in Barry Lyndon, wofür sich Stanley Kubrick anno dazumals von der NASA spezielle Linsen anfertigen ließ, um das einigermaßen scharf aufnehmen zu können. Wir sind in Gedanken bei unserem Fotografen Steve.

Cl.: Das Bestechende an JFR Moon ist einfach diese Stimme des Singer-Songwriters, die sich sanft über die wohlgeordneten Songs ausbreitet und mal an Woven Hand, mal an The Smiths erinnert. Zusammen mit dem Klangteppich der Geige und dem mal atmosphärischen, mal zirpenden Spiel der begleitenden E-Gitarre ergibt sich ein dichter, wenn auch leiser Sound, der einfach nur schön ist. Ich bin ernsthaft in Gefahr, den heiligen Schwur zu brechen, keine Platten mehr zu kaufen … Dummerweise kann ich mich dann aber zurückhalten, denn JFR Moon hat gar keine dabei. War dieser Auftritt für mich schon der Grund her zu kommen, sind sie zusammen mit All diese Gewalt auch mein definitives Highlight am ersten Tag des ESxSW.
Ch.: Bands haben es bei mir ganz einfach, spielt da jemand auf der Bühne Bottleneckgitarre, fliegt ihm mein Herz zu. Der Rest ist auch spitze. Geige, Akustikgitarre und ein D’Artagnan-Schnauzer ergeben zerbrechlichen Singer-Songwriter-Kammer-Folk. Dass ein Kristalllüster das ganze Setting wunderhübsch illuminiert, ist das Tüpfelchen auf dem sprichwörtlichen „i“.
L.: Auch hier, so leise und folkig ist eigentlich nicht so meins, aber die heimelige Atmosphäre, die psychedelischen Einsprengsel der Gitarre, und ein Stück, das mich an 16 Horsepower erinnert, lassen mich dann doch das ganze Konzert gerne zuhören.

206

Foto: Steve Sonntag

Back in the große Saal. Diese enge Taktung hat was, von deren Funktionalität könnte sich Herr Grube für seinen Saftladen schön was abschauen.

Cl.: Diese Pink Floyd-der-60er-Einflüsse! Wunderbar. Bei Jamhed liegen sie vor allem in dem zweistimmigen Gesang von Gitarre und Schlagzeug. Darüber legen sich die gezupfte Gitarre, die lockeren Xylophon- oder Keyboard-Melodien, der flockige Bass, die akzentuierten Drums. Jamhed sind durchweg so schräg, wie es ernstzunehmender Drogenkonsum erfordert oder hervorbringt – jedenfalls zu der Zeit, als Pink Floyd ihren Anfang nahmen. Bei aller Musik am besten an diesem Auftritt: das Märchen, in welchen die Füchse die Hasen mit ihrem Friedensangebot in den Fuchsbau locken; und tatsächlich bekommen die Hasen dort ewigen Frieden beschert. Herrlich!
Übrigens – wie den Ansagen zu entnehmen ist – ist Stuttgart nicht „scheiße“, sondern „speziell“. Heute Abend merkt man das deutlich.
Ch.: Beim ersten Stück denke ich“Hui, die sind bestimmt auf dem Soundtrack von „Darjeeling Limited II“ dabei, oder helfen, dass „Hangover – The Bollywood Version“ ein ordentlicher Kassenknaller wird“, aber dann wurde die Sitar leider wieder eingepackt, und ich find’s nicht mehr soooo spannend. Aber für ihre liebevollst ausgesuchten T-Shirts kriegen die Herren alle Punkte, die ich dafür zu vergeben habe.
L.: So, von denen bin ich Fan, seit ich sie letztes Jahr sah. Das Debutalbum „Taken Apart“ hat mich genau so überzeugt, und so freue ich mich auf den Auftritt. Viele neue Stücke gibt es, die mir auch auf Anhieb gefallen. Im Gegensatz zum letztjährigen Konzert, ist das Ganze hier rockiger, weniger verspult psychedelisch, samt finalem Geschubse auf der Bühne. Für so eine kurze Auftrittszeit durchaus eine sinnvolle Option. Wo die Kollegen Pink Floyd und Bands, deren Namen ich mich hier weigere zu erwähnen, raushören, verorte ich die Jungs ganz eindeutig in die Ecke „Dandy Warhols“, „The Brian Jonestown Massacre“, also bei den Guten. Freue mich auf das neue Album!

All Diese Gewalt!

Foto: Steve Sonntag

Und da der Abend sich vorgenommen hat, einfach nicht scheisse werden zu wollen, geht es weiter mit dem nächsten tollen Konzert im kleinen Raum.

Cl.: Mit All diese Gewalt! komme ich zum Höhepunkt des Abends. Das Sideproject des Die Nerven-Gitarristen Max Rieger reibt sich mit rohem Akustik-Post-Postrock mit E-Instrumenten rau am Publikum. Die drei Stücke, die man nachher teilweise auch für 5-7 Euro auf CD mitnehmen kann (Mist, wortbrüchig geworden), sind schwer zu schlucken. Atmosphärisch. Herb. Krachig. Auf der Bühne wird der Solist unter anderem vom Rest der Nerven unterstützt. „Ich berühre Dich nicht“ wird dann in einer der wenigen Passagen mit Text hinausgeschriegen. Stimmt nicht. All diese Gewalt ist schmerzhaft echt. Da kann einem echt einer abgehen.
Ch.: Laut und heftig werden hier gewaltig und brachial die Drones um einen Teenagerpunklebensschmerzvers gehauen. Wie der Steh- und der Sitzdrummer gemeinsam ihr Set verhauen ist hörens- und ihre Grimassenschneiderei dabei sehenswert. Klingt als hätten sie die Improteile auf den Tortoise-Alben der grossen Brüder immer nur auf 45 gehört. Ohrstöpsel sollte man einstecken haben.
L.: Beeindruckend intensiver Auftritt. Teils brachialer Drone-Psychedelic-Krautrock, der mich an Godspeed You! Black Emperor oder an Ulan Bator erinnert. Fesselnd, hypnotisch und bedrückend, also geil bedrückend.

Monsieur Mo Rio

Foto: Steve Sonntag

Kleine Pause jetzt, kurz Zeit um mit Christian einvernehmlich festzustellen, dass das unsere Festivals sind, nicht diese Veranstaltungen, wo man in menschenunwürdigen Zeltbehausungen übernachtet, die zynisch das Schicksal von Erdbebenopfer verspotten. Nebenbei gibt es noch alternativlos vegane Burger, und oh Wunder, das lächerliche Drama um den fleischlosen Kantinendonnerstag noch im Kopf: die Welt geht ja gar nicht unter. Zurück in den großen Saal, in Zweierbesetzung, Monsieur Mo Rio spielen.

Ch.: Kennt man ja und liebt man eh‘. Zu diesem Auftritt ist leider zu sagen, dass die Band sehr mit dem Sound zu kämpfen hat. Wer schuld ist, Mischer, Anlage, Wetter,….? Das müssen andere klären. Aber die schönen Gesangsharmonien der filigran-verspielten Songs und alles andere kommen leider sehr vermatscht beim Publikum an und die Bandmitglieder wirken allesamt etwas unglücklich darüber. Na gut, ich bin absolut sicher, an den Musikern und am Kassettenrekorder liegt es nicht. Es ist wohl auch eine schwierige und kitzlige Angelegenheit, so viele verschiedene Bands in so kurzer Zeit auf einer Bühne nacheinander auftreten zu lassen. Machen wir’s einfach so, ihr vertont jetzt zum Geldverdienen alle guten Brigitte-Bardot-Filme neu und mit der Kohle in der Tasche sollte dann der nächste Auftritt garantiert ohne Klangprobleme für alle über die Bühne gehen. Ich komme – hiermit in die Hand versprochen!!
L.: Die technischen Probleme stören mich nicht so, ich erfreue mich eher an den neuen Lieder, die mich wirklich begeistern. Der Jamhed-Philip ist mittlerweile dabei, hautptsächlich an der Orgel. Bin ja eh schon Fan von MM, und die neuen Songs scheinen so nach dem ersten Eindruck catchier zu sein als die alten. Toller, melodiöser Chamber-Sunshine-Pop, der in Deutschland seinesgleich sucht. Die Ungeduld auf die neue Platte ist schier unerträglich.

Levin Goes Lightly

Foto: Steve Sonntag

Und nochmal rüber in den kleineren Saal, zu something completely different, Levin Goes Lightly.

Ch.: Iggy Pop und David Bowie haben vor 16 Jahren noch einmal zu sammengefunden und dabei wurde ein Pop-Prinz gezeugt. Der ist rasend schnell groß geworden und hat sich, kaum war er trocken hinter den Ohren, eine Leggins angezogen und die weisse Gitarre umgeschnallt, um in den Clubs des Planeten den Uneingeweihten zu beweisen, dass Pop ohne großes Pathos und die richtige Pose immer nur Schlager bleibt. Schnell ward ein Label gegründet, denn dieser Rohdiamant musste geschliffen, gefasst und der Welt präsentiert werden. Nun steht die Eroberung der Weltherrschaft an. Stuttgart ist im Sturm gefallen, nun ist Esslingen dran. Heimspiel, Satz und Sieg. Das geht nun so weiter, Platte für Platte, Club für Club, Leggins für Leggins. Wenn irgendwann Luc Besson anruft und den Soundtrack für „Subway II“ bestellt, dann hat Levin es geschafft, kriegt dafür definitiv den Oskar und Chrisopher Lambert bekommt noch einmal die allerletzte Chance zu beweisen, dass er nach „Highlander I“ doch noch einen guten Film hinbekommen kann.
L.: Androgyn and beyond. Auch das wieder auf seine ganz eigene Art und Weise ein beeindruckender Auftritt, und das liegt nicht nur an dem übermassiven Einsatz der Nebelmaschine. Mit welcher Aura und Ausstrahlung der junge Mann hier seine irgendwie dunkel-erotischen Wave-Pop Songs darbietet, ist schon sehr groß. Könnte man sich problemlos in einem David-Lynch-Film vorstellen, irgendeine Bar morgens um 5 mit lauter sehr, sehr seltsamen Gestalten, die Stehblues zu diesem morbiden Sound tanzen. Wow!

Torben Denver Band

Foto: Steve Sonntag

Wir haben es fast geschafft, Autoren gingen verloren, ein einsamer Blogger noch, der uns über den Auftrit von Torben Denver Band berichtet.

L.: Aber Leute sind noch genug da. TDB habe ich ja dieses Jahr auch schon gesehen, mir gleich die Platte gekauft, die mich trotz manch folkigem Parts sehr überzeugt hat. Der Abend heute zeigt, wohin die Reise mit der zweiten Platte gehen wird. Weg vom folkigen, mehr 70ies Soft-Pop, Soft-Rock, wie auch das super Cover von „I Saw The Light“ von Todd Rundgren zeigt. Die neuen Songs gefallen mir auf Anhieb sehr, klingen wunderbar harmonisch, gehen ins Ohr trotz aller komplexen Harmonien. Auch hier, die Frage: Wann kommt das neue Album? So gute Musik muss doch unters Volk. Im übrigen gibts es noch ein paar Songs vom Debutalbum, darunter meine Lieblinge wie „Leaving All My Monsters“, „New Hare“ und „Wife In Pieces“, letzteres ohne Pauki an der Stimme, trotzdem toll.

Die meisten der hier auftretenden Bands kann man übrigens auf einem aktuellen Vinyl only-Sampler nachhören, namens Von Heimat kann man hier nicht sprechen. Ach so, rundum gelungener, großartiger Abend war das. Erstaunlich wie viele gute, interessante Bands es zur Zeit in Stuttgart und Umgebung hat.

The Tremolettes

JFR Moon

Jamhed

All Diese Gewalt!

Monsieur Mo Rio

Levin Goes Lightly

Torben Denver Band

7 Gedanken zu „ESxSW-Festival, 1. Tag, 22.11.2013, Komma, Esslingen

  • 25. November 2013 um 21:39 Uhr
    Permalink

    Hey Lino, ich brauche diese Nasa-Linsen von Kubrik…

  • 26. November 2013 um 13:28 Uhr
    Permalink

    Zehn kleine Bloggerlein oder wie?
    Es hat übrigens noch ne Band gespielt.
    Also acht insgesamt…

  • 26. November 2013 um 13:38 Uhr
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    Gab’s nach Torben Denver Band noch was? Da war unsere Kondition schon alle (–> alte Leut‘).

  • 26. November 2013 um 14:02 Uhr
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    Aber ja. UMWURF haben noch gespielt. Da war in der Tat nicht mehr viel los. Wir haben aber trotzdem 2 Zugaben (die überraschenderweise eingefordert wurden) gegeben.

  • 26. November 2013 um 14:18 Uhr
    Permalink

    verdammter Mist, sorry, ich hätte euch noch gerne gesehen. Hoffe ich habe demnächst die Gelegenheit dazu das nachzuholen!?

  • Pingback: Lärm nur von fünfbisneun – am besten mit Punkt und ohne Komma? - Doodad

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