COCOROSIE, 13.09.2013, Wagenhallen, Stuttgart
Selten habe ich so gegensätzliche Meinungen über eine Band gehört, wie über CocoRosie. Während die einen die Casady-Schwestern geradezu vergöttern und schon seit Monaten diesem Gig entgegenfiebern, entschuldigen sich andere mit dem Hinweis, dies sei unerträglich und so etwas wie das letzte Konzert wollten sie sich nicht nochmal antun. Das macht dann doch neugierig. Einigermaßen unbeleckt stelle ich mich dem Abend. Ohne das Gesamtwerk zu kennen, habe ich mich mit dem aktuellen Album „Tales of A GrassWidow“ vorbereitet, finde es sehr gefällig und kann den Disput erst recht nicht verstehen. Greifen wir vor: zwei Stunden später bin ich nicht wesentlich schlauer.
Auf ein skurriles Publikum müsse ich mich einstellen, erzählen erfahrene Cocorosianer. Tatsächlich: das ein oder andere Riot-Girl taucht in den gut gefüllten Wagenhallen auf, einige markante Gestalten, viele Stuttgarter Musiker und praktisch alle Konzert- und Kulturblogger sind anwesend, das Bild wird aber doch eher von Normalos dominiert. Am Merch-Stand werden außer Klamotten und Tonträgern ein selbstgestaltetes Tarot-Blatt und die Erstausgabe von Biancas feministischem Magazin angeboten. Zweifel regen sich: hätte ich mich vielleicht doch inhaltlich besser vorbereiten sollen?
Nun denn. Nach einem soliden Set der Stuttgarter Band Anna Gemina ist die Halle wirklich voll und CocoRosie beginnen um elf mit einem Intro sphärischer Ethno-Loops, die ihr sehr markanter, indianisch aussehender Keyboarder und Computerbediener einspielt. Die Kulisse ist bemerkenswert und sehr reduziert: auf einer quer über die Bühne gespannten Leine hängen diverse Kleidungsstücke, die sich die Musikerinnen im Laufe des Sets überstülpen werden. Mehr nicht.
Bianca und Sierra werden mit großem Jubel begrüßt und spielen prompt einige Titel des aktuellen Albums. Den eigentümlichen Reiz bezieht der CocoRosie-Sound natürlich aus den extrem unterschiedlichen Stimmen der beiden Schwestern. Während Sierra eine wohltönende, geradezu klassisch klingende Singstimme hat, wird Biancas etwas gequetscht klingende Mädchenstimme vermutlich zusätzlich elektronisch verfremdet. So markant das auch ist, auf die Dauer sägt dieser Sound dann doch etwas an den Nerven. Beide untermalen Ihren Gesang mit einer entrückten Gestik, die mich – insbesondere wenn Sierra singt – in ihrer Künstlichkeit dauernd an die Diva im Fünften Element erinnert. Ok, natürlich ohne blauen Schneckenkopf und Tentakeln am Rücken.
Sehr cool sind die kleinen Kameras über den Gesangsmikros, die das Bildmaterial für die Visuals liefern, die im Hintergrund auf die Wand projiziert werden. Durch die Übereck-Platzierung der Bühne bekommen diese Filme übrigens eine schöne Räumlichkeit, was den Auftritt optisch dann doch recht opulent wirken lässt. Was hier auf visueller Ebene geschieht – eine zusätzliche Ebene verstärkt das Gesehene – passiert genauso beim Sound. Hier wird elektronisch stark nachgeholfen, stellenweise so stark, dass ich manchmal zweifele, ob das Gehörte tatsächlich das ist, was da gerade live gesungen wird.
Dabei ist die Band mit vier Köpfen ja eher schmal besetzt. Beatboxer Tez macht den Rhythmus, der erwähnte Keyboarder produziert alles vom klassischen Piano bis hin zu Synthie-Gefiepse und die Sängerinnen steuern Harfe und Flöten bei. Das Solo-Beatboxing-Intermezzo ist übrigens einer der Höhepunkte des Abends und bringt zum ersten Mal Schwung in den Laden. Das übrige Set könnte man jetzt – positiv formuliert – als konsistent und atmosphärisch bezeichnen, jedenfalls ist es recht lang geraten und stellenweise etwas einförmig. „Langweilig“ raunt mir mein Nachbar zu, „Kate Bush für Arme“ konstatiert ein Blogger-Kollege. Soweit würde ich jetzt nicht gehen. Aber eine Frage drängt sich mir doch auf: was ist es eigentlich, was an dieser Band so polarisiert? Konzerte wie dieses können es ja kaum sein. Klar, das ist schöne Musik, unkonventionell präsentiert und mit hohem Wiedererkennungswert. Aber wahrlich nichts, worüber man in musikalische Grundsatz-Diskussionen verfallen muss.
Keine Ahnung, ob es den alten CocoRosie-Fans gefallen hat. Vielleicht ist das neue Album und das Konzert dazu ja auch für sie nicht mehr wirklich aufregend. Ich jedenfalls habe ein bestenfalls solides Konzert ohne große Höhepunkte gesehen. Ein unterhaltsamer Abend aber nichts, was mich zu einem weiteren Besuch animieren würde. Aber vielleicht hätte ich dies ja auch vorher schon aus den Tarot-Karten erfahren können.
Hallo, ich oute mich mal als so einer von den „alten CocoRosie-Fans“. Das erste Mal live habe ich CocoRosie in Schorndorf in der Manufaktur erlebt.
(Laut Manufaktur-WebSite soll das 2007 gewesen sein, kommt mir aber länger vor, immerhin kam 2007 ja schon das 3.Album „The Adventures of Ghosthorse and Stillborn“ raus (oder?) und bei meinem ersten CocoRosie-Konzert haben die in meiner – durchaus auch fehlbaren – Erinnerung von dem bestimmt nix gespielt.)
Bei meinem ersten Mal also kannte ich von CocoRosie nur „La Maison de Mon Rêve“ und einen Beitrag in Arte (Tracks?) über die beiden spinnerten Schwestern mit ihrer unglaublichen Familien-Geschichte und dem Musizieren mit Wecker und Plastikspielzeug im Badezimmer. Das hat mir alles sehr gefallen, aber ich war mir nicht sicher, ob das auch auf einer Konzertbühne geht (Badewanne?) und ob man sich das dann auch irgendwie anhören kann. Man konnte. Ach was , es war einfach umwerfend! Phantastisch! Wirklich tolle Musik, fast aus einem anderem Zeitalter und trotz und wegen aller – auch naiven – Experimente mit Hingabe und sehr viel positiver Energie dargeboten. Keine überheblich-arroganten Lärmversuche oder unernste Slapstik-Guggenmusik. Für mich eine ganz tolle Konzerterfahrung. Tja – und seitdem bin ich den beiden verfallen. Meistens jedenfalls. Ich habe nach den ersten drei ganz tollen Alben auch „Grey Oceans“ und das furchtbare „Coconuts, Plenty of Junk Food“ ertragen überstanden und gehe immer noch zu ihren Konzerten. Inzwischen nicht mehr so ganz enthusiasmiert und ja, ich glaube das neue und naive Ausprobieren, das für mich auch ihre Musik ausgemacht und ihr einen gewissen Zauber gegeben hat, ist – wie Karim es beim Konzert gesagt hat – einem „sie haben ihren Stil gefunden“ gewichen und ja, ich gebe zu das kann man zwischendurch auch mal „recht lang geraten und stellenweise etwas einförmig“ nennen. Ich habe also schon zugegeben, daß ich CocoRosie schonmal besser fand. Und natürlich liegt (oder lag) meine CocRosie-Begeisterung auch daran, daß ich bei meinen ersten drei CocoRosie-Konzerten das Glück hatte in Begleitung von überragenden Mitbesuchern diese Abende zu erleben, die die (übrig gebliebene) Erinnerung daran weit über die reine musikalischen Erfahrung erhebt.
Aber immer noch blühe ich innerlich auf wenn ich Biancas Stimme höre und immer noch haben CocoRosie einen ganz eigenen unverwechselbaren Sound der mich packt, sobald ich ihn höre. Und auf jeden Fall sind für mich die ersten drei Alben („La Maison de Mon Rêve“, „Noah’s Ark” und “The Adventures of Ghosthorse and Stillborn”) außergewöhnlich und besonders schöne Scheiben. Wer CocoRosie nicht kennt oder vor diesem Konzert nicht kannte und noch etwas auf der Suche nach dem Zauber ist, der die Zuschauer in die Wagenhalle geführt hat oder von dem er bisher nur gehört hat, der sollte in eines der frühen Alben der Beiden einmal reinhören.
Aber „Kate Bush für Arme”? Davon sind sie dann doch noch ein ziemliches Stück weit weg. Finde ich. Auch wenn Kate Bush heutzutage vielleicht so klingen wöllte, wenn Sie es könnte :-)
Viele Grüße, Georg
Und noch ein Kommentar eines Alt-CocoRosie- und Alt-KateBush-Fans.
CocoRosie haben sich über die 3 Konzerte die ich erleben durfte enorm weiterentwickelt. Leider haben Sie einen großen Schluck aus der „Mainstreampulle“ genommen und sich damit neue Türen geöffnet und benötigen vielleicht sogar bald größere Hallen.
Die neue gefällige Platte hat es schon gezeigt wohin die Reise derzeit geht. Entsprechend wurde die „Performance“ durch einen Klasse-Beatboxer zeitgemäß „aufgepimpt“. So entwickeln sich Bands häufig wenn ein Plattenlabel aus etwas Kantigem mehr Rundungen vorschreibt.
Bei mir hat es sich so ausgewirkt, dass ich das Konzert bereits am nächsten Tag fast vergessen hatte. Die Konzerte davor empfand ich als Kunstwerke, die mich stellenweise an die Relativitätstheorie von Albert Einstein heranführten. Am Bier lag es nicht. Der Raum wurde immer größer, dafür war die Zeit (und später das Geld fast) weg.
Was bleibt sind 2-3 Fünfsterne-Titel und ein wehmütiges: Schade ich bin wohl draussen. Weniger war viel mehr! Aber Fan ist Fan, oder?!
@Georg: Du hast wöllte und könnte in deinem Schlusssatz verwechselt. Hör dir die neue Kate Bush an. Sie singt immer noch wie ein Rotkehlchen mit ihrem Sohn zusammen.
Hi Karim, ich wollte Kate Bush nicht ihre Sangeskunst bzw. -vermögen absprechen, nur das sich „CocoRosie“ und „Kate Bush“ unterschiedlich anhören. Aber wenn sich das bei dem letzten Album von Kate Bush in Richtung CocoRosie geändert hat, höre ich vielleicht doch einmal rein. Vor allem wenn ich mir das Bild „Rotkelchen musiziert mit Jungen“ vorstelle …
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