Rückblick aufs SOUTHSIDE FESTIVAL 2013, 21.-23.6.2013, Neuhausen ob Eck
Argwöhnisch schau ich an diesem Freitag auf mein Handy. Wenn man sich nur eine der durchaus unterschiedlichen Vorhersagen der gängigen Wetterportale aussuchen könnte. Ja okay, sch…. drauf! Wir sind ja nicht aus Zucker. Ich rede mir das einfach mantramäßig ein, um mich selbst in Partylaune für das Southside zu bringen. Klappt auch bissle.
Spätestens als die Arbeit extrem früh beiseite gelegt ist und ich die üblichen Verdächtigen treffe, habe ich das Wetter fast vergessen. Schnell das Gepäck verstaut und es kann losgehen. Charlottes Isomatte scheint dabei das Volumen einer dieser großen blauen Turnmatten zu haben, die man früher im Schulsport hinter den Kasten gelegt hat, damit Leute wie ich sich nicht alles blutig schlagen. Lustig, dass sie später auf Grund von Platzmangel gar nicht zum Einsatz kommen wird. Dann schnell noch Batterien für die Mini-Anlage kaufen. Die werden später übrigens auch nicht zum Einsatz kommen. Ich werde sie routiniert im Auto vergessen. Halb so wild, da läuft eh immer und überall irgendwo Musik. Und meistens gar nicht mal so schlechte.
Auf der kurzweiligen Fahrt schau ich immer mal wieder skeptisch Richtung wolkiger Himmel. Bitte nicht wieder Regen und Schlamm und Mist. Bitte nicht. Auf dem Parkplatz des Southside angekommen, schnappe ich mir erstmal einen Ordner, der mir dann auch bestätigt, dass alles trocken ist. Viel schleppen müssen wir nicht, denn tatsächlich – wir haben dazu gelernt. Das Zelt in bester Lage samt Stühlen, Tisch und Sonnensegel wird sowieso seit ein paar Jahren gemietet und wartet quasi nur auf unseren Einzug. Die Verpflegung besteht einfach nur aus Wein. Was haben wir früher alles an Fressalien und Hartalk-Mischgetränken mitgeschleppt. Gegessen wird mittlerweile aber fast ausschließlich an den Fressbuden (Glutamat aus aller Herren Länder). Die Erfahrung der letzten Jahre hat uns ebenfalls gelehrt, dass man in drei Tagen Festival alkoholtechnisch ganz schnell mal zur Übertreibung neigt. Daher lautet das Motto: Wein und so am Zelt und kühles Bier vor der Bühne. Da verpasst dann auch keiner Bands wie Nick Cave oder muss zum Zelt geschleppt werden wie ein nasser Sack. Schöner so.
Vorbei geht es wie jedes Jahr an allerlei verrücktem Volk. Der Kreativität sind bei der Selbstdarstellung wie immer keine Grenzen gesetzt. Es werden Trinkspiele auf Skiern gespielt, Haltungsnoten für Vorbeigehende verteilt oder auch mal ein Pferdekopf aus Plastik getragen. Am Zelt angekommen öffnen wir entspannt den ersten 3-Liter-Pack Wein. Mittlerweile hat sich auch die Sonne ihren Weg durch die Wolkendecke gebahnt. Und sie wird an diesem Wochenende auch nicht mehr verschwinden. Kvelertak habe ich sowieso schon verpasst. Hätte ich gern mal gesehen, weil da so viele von schwärmen. Auch gut, dann hat man halt mehr Zeit zum Trinken und so. Alt-J sind dann der gelungene Auftakt für das Southside 2013. Passend zur Stimmung sehr entspannt. Auf FM Belfast verzichte ich dieses Jahr notgedrungen. Dummerweise überschneiden die sich mit The Gaslight Anthem. Die Isländer habe ich schon ein paar Mal gesehen habe, die Amis hingegen erst ein Mal. Später werden mir total verschwitzte Freunde erzählen, was für eine unglaublich tolle Party ich verpasst habe. Egal, für uns heißt es jetzt erstmal Rock aus New Jersey. Sänger Brian Fallon und seine Band klingen in schlechten Momenten wie Bruce Springsteen (übrigens auch aus New Jersey) in seinen guten. Klingt jetzt ein wenig abwertend dem Boss gegenüber. Ist aber eher aufwertend den Jungspunden gegenüber gemeint. Denn The Gaslight Anthem machen ihr Ding und das äußerst gekonnt und ziemlich sympathisch. Gute, leicht melancholische Rockmusik, die einen den Staub der Straßen New Jerseys förmlich spüren lässt und die Vergänglichkeit der Jugend vor Augen führt. Bier her. Und uns juckt es das erste Mal in den Beinen. Schade nur, dass sie meinen Lieblingssong „I coulda been a contender“ nicht spielen.
Von den Smashing Pumpkins kriege ich leider viel weniger mit als ich eigentlich gern hätte. Miese Überschneidungen auf der einen Seite und fiese Hungerattacken auf der anderen. Immerhin erlebe ich „Bullet with butterfly wings“ live und allein dafür hat es sich schon gelohnt. Ich war nie ein riesengroßer Fan von Billy Corgan & Co, aber ein paar der Songs sind schon grandios. Unter anderem dieser. Jedenfalls sind wir dann auch gleich in Stimmung für die Queens of the Stoneage. Auch ganz nett. Vor allem weil sie „Little Sister“ und „Make it wit chu“ spielen. So richtig vom Hocker hauen sie uns aber auch nicht. Egal, wir trinken Bier und grölen bissle mit.
Von Paul Kalkbrenner hingegen kriege ich mehr mit als ich eigentlich gern hätte. Der wummernde Bass verfolgt mich bis in den Schlafsack. Klingt aus der Ferne fast so als hätte der jetzt auf EBM umgesattelt. Die Müdigkeit (ja nennen wir es Müdigkeit) macht es trotzdem möglich, dass ich dem Wummerbeat trotze und rasant ins Reiche der Träume entgleite.
Der nächste Tag beginnt früh. Kein Wunder, hat die Nacht zuvor ja auch recht früh geendet. Schon um 7 Uhr treibt mich der Harndrang aus dem Zelt. Kann man mal in Ruhe die noch sauberen Keramikklos abchecken. Einschlafen kann ich jetzt auch nicht mehr. Egal, semmel ich halt bissle rum und hol mir einen Kaffee. Die anderen lassen aber auch nicht wirklich lange auf sich warten und ekelhaft früh wird dann auch wieder der erste Wein aufgemacht. Was für ein Leben. Wir haben nichts zu tun außer uns zu betrinken, Blödsinn zu reden und uns darüber totzulachen.
Musikalisch beginnt der Tag mit einem meiner Southside-Highlights – Mr. Danko Jones. Ich kenne keinen, der so charmant ekelhaft arrogant sein darf wie er. Die Texte handeln eigentlich nur vom vögeln und davon, was für eine coole Sau er ist (und in der Tat, das ist er wirklich). Die Musik geht gut auf die Zwölf und kommt ohne überflüssigen Schnickschnack aus. Punkrock pur. Und Rampensau Danko hat seine Fans voll im Griff. Er zelebriert gefallene Rock-Heroen und gibt seinen mit weniger Selbstbewusstsein gesegneten Fans mit seinem Mantra neuen Mut: „This heart gets stronger, this blood gets thicker, this mouth gets louder.“ Das soll jeder der Anwesenden jeden Morgen tausend Mal vor dem Spiegel wiederholen. Ah ok. Die ganz in schwarz gekleideten Kanadier rocken und wir mit. Jawoll… „Everybody is sexy in heaven!“
Nach einer Dreiviertelstunde dicke Hose geht es weiter zu den Shout Out Louds. Auch sehr schön, mir gefallen vor allem die ruhigeren Töne. Tegan and Sara höre ich nur vom Zelt aus. Klingt wirklich fein. Aber mich drückt eine unsichtbare Macht in meinen Campingstuhl. Den Dave zieht es aber sogar vor die Bühne. Verliebt hat er sich, meint er. Weil die so gut aussehen und wirklich schöne Musik machen. Ich glaub ja, dass es eher ersteres ist. Wir klappern erstmal Fressbuden ab. Ist ja auch wichtig. Und wenn man seine Ansprüche mal bissle zurückschraubt, gibt es ja auch ganz leckere Sachen hier. Der Barbarenspieß steht beispielsweise hoch im Kurs. Hotdog und Thaicurry sind aber auch nicht zu verachten. Frisch gestärkt geht es zu The National. Gefällt mir gut, der Indierock, den die da machen. Ich mag die tiefe Stimme von Sänger Matt Berninger. Und abgehen tut er auch ganz ordentlich.
Im Anschluss folgt dann ein echtes Brett! Portishead wird uns richtig Zunder geben. Es ist dunkel und wir sind alles andere als nüchtern als Sängerin Beth Gibbons die Bühne betritt. Von der ersten Sekunde an sind wir voll in ihrem Bann, denn kaum jemand leidet so wunderschön wie sie. Die Augen fast konsequent geschlossen steht sie in ihrem Kapuzenpulli da, umklammert das Mikrofon und wirkt irgendwie verloren. Eine Triphop-Hymne nach der anderen bekommen wir an die Birne gewummert, während Beth Gibbons zerbrechlich ihr Innerstes nach außen kehrt… „Nobody loves me“ und „Roads“ beispielsweise. Wir sind ergriffen.
Eigentlich könnte man jetzt zufrieden zum Zelt gehen. Wäre da nicht noch was ganz Großes… SIGUR RÓS! Jawoll, die schreibe ich auch groß und mit Ausrufezeichen. Einfach nur, weil sie so geil sind. Wie immer haben die Isländer wunderschöne Visuals im Gepäck, viele Lichter und ganz viel Gefühl. Und wir sind hin und weg. Sänger Jónsi und seine Band haben einige Songs ihres neuen Albums Kveikur im Gepäck und klingen irgendwie rockiger als noch vor ein paar Monaten in München. So oder so der Hammer. Jónsi bearbeitet seine Gitarre mit einem Geigenbogen und singt so wunderschön seltsam, dass die Gänsehaut nicht lange auf sich warten lässt. Isländisch klingt einfach zauberhaft. Mein Highlight ist das etwas poppigere „Ísjaki“. Wunderschön. Wir grooven und schwingen mit geschlossenen Augen mit. Einfach wunderschön. Dave kann nimmer, sieht irgendwie bissle zerschlagen aus. „Portishead hat mich fertig gemacht“, murmelt er und wackelt von dannen. Fünf Minuten später steht er aber wieder bestens gelaunt neben mir, mit einer Tüte Mini-Donuts in der Hand. Aha, die zweite Luft. Gut so, denn sonst würde er das hier nicht erleben.
Zufrieden geht es zurück zum Zelt auf einen Absacker oder auch zwei. Ach ja, bissle Rammstein haben wir auch gesehen. Zwischen Portishead und Sigur Rós. Naja, bissle Feuer hier, bissle Raketen da, bissle mit einem Plastikpenis ins Publikum spritzen… pffffff. Den Fans scheint es zu gefallen. Ich frage mich halt, ob die sich nicht mal was Neues einfallen lassen wollen. Der Deger hat sich jedenfalls köstlich amüsiert. „Die sind schon ziemlich lächerlich“, lacht er vergnügt auf dem Heimweg. Spaß gehabt hat er aber wohl.
Der nächste Tag beginnt wieder äußerst früh und mit chillen vor dem Zelt. Erst am frühen Nachmittag zieht es uns nach vorne. Erstmal die tägliche Glutamat-Zufuhr und dann mal zu Frittenbude schauen. Und tatsächlich, das hat sich gelohnt. Vielleicht liegt es am Wein, vielleicht an der Sonne, vielleicht an dem Mädel, das vor uns unglaublich wundervoll tanzt, vielleicht an dem entspannten Gute-Laune-Beat, aber Frittenbude macht mir richtig viel Spaß. Vor allem „Bilder mit Katze“ ist klasse.
Danach geht zu Bloc Party. Auflösen werden sie sich nach ihrer Tour, erzählt die Ansagerin. Schade. Aber umso schöner, dass ich sie heute nochmal sehe. Sänger Kele Okereke ist so sympathisch, mit dem möchte man mal um die Häuser ziehen. Stilecht trägt er ein Cats-Shirt. Muss man sich auch erstmal trauen. Bloc Party machen Stimmung mit Hits wie „Helicopter“ und „Banquet“. Nur auf „Two more years“ warte ich leider vergeblich.
Wir strollen noch ein wenig übers Gelände, nicht ohne nochmal Glutamat zu tanken. Da schläft einer vor den Dixie-Klos, hier pennt einer auf einer Mülltonne… ja ja, das Southside fordert seinen Tribut. Wir schauen uns jetzt noch die Editors an, unsere letzte Band. Kenne ich kaum, aber Charlotte will die unbedingt sehen. Also warum nicht. Erinnert mich bissle an The National und gefällt mir gut. Leicht düsterer Indie-Rock. Nervig sind nur die Typen, die mich heute seltsam oft anquatschen. Ich unterhalte mich extrem ungern während eines Konzerts. Nicht mal mit Freunden und schon gar nicht mit Fremden. „Cooler Bart“, sagt einer und hat den Finger schon halb in meinem Gesicht. „Ja ja“, sage ich und schiebe ihn beiseite. Ein Vollbart ist ja auch echt was ganz was Ausgefallenes. „Cooles Shirt“, sagt der nächste. „Ja ja“, sage ich wieder.
Das war’s für dieses Jahr. Die Bands, die jetzt noch spielen, jucken mich nicht so wirklich. Die Aussicht auf eine heiße Dusche und ein weiches Bett sind auch recht verlockend. Also sitzen wir eine Stunde später ziemlich fertig und vollkommen dehydriert im Auto und fahren Richtung Heimat. Wir hatten perfektes Wetter, haben viel getrunken und noch mehr gelacht, tolle Menschen um uns herum gehabt, sind nicht beklaut worden und durften grandiose Konzerte erleben. Das Southside 2013 war ein dickes Ding! Und nach dem Southside ist ja bekanntlich vor dem Southside.
Ich habe Rammstein beim Southside das erste Mal ein bisschen angehört und gesehen und ich empfand irgendwie etwas ganz anderes als erwartet. Es war wie die Erste Allgemeine Verunsicherung mit härterer Musik und alle lustig angemalt. Showmäßig hat es mich ans Variete erinnert. Ich war total gelangweilt und kann jetzt endlich aus Erfahrung sprechen, wenn ich sage: Ich mag die nicht.
FM Belfast (Sound war leider blöd, die Zelte könnten sie abschaffen), Smashing Pumpkins, Portishead waren der Knaller, leider war ich schon arg reizüberflutet und durchgefroren, als endlich Sigur Ros gespielt haben. Die waren mein absolutes Highlight und ein Grund, mal wieder irgendwohin zu reisen, um ein Konzert zu besuchen. Aber aufs Southside will ich nicht mehr, der menschliche Verfall dort geht mir zusehends auf den Keks …
Was meinst Du denn mit menschlichem Verfall Maren? Leute, die alkoholtechnisch ihre Grenzen nicht kennen? Immerhin ist es absolut friedlich. Bei der Menge an Menschen und dem Alkoholkonsum auch nicht ganz selbstverständlich. Wenn ich da ans Bierzelt denke… Probier es doch mal mit dem Green Camping. Machen wir nächstes Jahr auch.
Bei menschlichem Verfall denk ich eher an die Hitparade der Volksmusik. ;-)