YO LA TENGO, 15.03.2013, Manufaktur, Schorndorf

Yo La Tengo

Foto: Steffen Schmid

Auch schon wieder 12 Jahre her die Sache mit Nine Eleven. Macht aber gar nix, ein netter junger Mann mit verschwörungstheoretischem Background wollte mir heute morgen um halb acht dennoch ein Flugblatt diesbezüglich in die Hand drücken. Satte 13 Jahre hingegen ist es her, als ich Yo La Tengo das erste und auch letzte Mal live sah (hier in der Manufaktur übrigens). Erste Schlussfolgerung: Ich habe keine Ahnung, was der numerologisch tiefere Sinn hinter dieser Zahlenfolge sein könnte. Zweite Schlussfolgerung: Haarsträubend konstruierte Artikeleinleitungen stellen ein weiterhin ungelöstes Problem dar.

Auf jeden Fall ist das heute ein Abend, bei dem man in größeren Einheiten denken muss. Yo La Tengo gibt es mittlerweile schon seit knapp 30 Jahren, die Manufaktur ist so proppenvoll wie selten in letzter Zeit, das Konzert wird am Ende länger gedauert haben, als es heutzutage üblich ist, und wir werden eine Spannbreite von laut-leise, brachial-delikat erleben, wie ich es so noch nicht erlebt habe. #Epochal wäre ein brauchbarer hashtag.

Yo La Tengo

Foto: Steffen Schmid

Irgendwann nach viertel nach neun geht es los mit „Ohm“ vom neuen Album „Fade“. Unfassbar zurückgenommen gespielt, reduziert, leise, trotz dreistimmigen Gesang und, jetzt kommt die Überraschung, keiner im Publikum plappert, alle hören gebannt zu. Das kennt man ja auch anders. Aber heute trifft große Musik auf ein großes Publikum. In dem Duktus geht es zunächst weiter. Bei geringer Lautstärke und Stecknadel-fallen-Hör-Atmosphäre präsentieren YLT die ruhigeren Songs aus ihrem Repertoire. Meistens singt Ira die Hauptstimme, aber auch Georgia und James haben ihre Parts. Getrommelt wird nur wenig, bei den meisten Songs gar nicht. Ab und zu gibt es Keyboardparts, meistens aber nur Akustikgitarre oder sparsam eingesetzte E-Gitarre. Mal könnte man es Retro-Pop-Folk nennen, mal Singer-Songwriter-Americana, ich denke „superschöne leise Musik“ trifft es besser. Bei einem Stück, das etwas bewegter ist, gibt es sogar ein psychedelisches Gitarrensolo per Fingerpicking auf der Akustikgitarre. Habe ich so auch noch nicht gehört. Ein Half Japanese Cover gibt es auch noch. Langweilig wird einem gar nicht. Bin ziemlich begeistert, und das als nicht so großer Fan von reduzierter, leiser Musik.

Yo La Tengo

Foto: Steffen Schmid

Gegen 22 Uhr kündigt Ira an, dass nun eine kleine Pause kommt bevor es weiterginge. Letztendlich werden Yo La Tengo ihre eigenen Vorband gewesen sein, die aus ihrem riesigem Repertoire ein Vorprogramm aus ruhigen Songs präsentiert haben. Nach ca. 20 Minuten geht es weiter, und der zweite Teil dieses Abends wird ganz anders. Aber so dermaßen anders.

Das bis dahin verdeckte Schlagzeug kommt nun zum Einsatz, die E-Gitarre wird nun meist dominieren. Von ihren Sonic Youth mäßigen Songs, mit fantastisch kreischend-brüllenden Feedback Gitarrensoli, über einen Psycho-Blues, zu dem souligen, im Falsett gesungenen Mr Tough, letzteres eines meiner vielen Highlights diesen Abends, bekommen wir ganz schön was geboten. Wenn man ihre Platten kennt, weiß man, dass YLT auch noch andere Stile drauf haben, von leichtem Pop über kleine Bossa Nova Juwelen. Aber alle Stücke eint diese Fähigkeit, schwerelose Melodien zu produzieren.

Yo La Tengo

Foto: Steffen Schmid

Beim Neil Youngesken Stockholm Syndrome gibt es eine Eruption der Gitarre, die einen mit offenem Mund und pfeifenden Ohren zurücklässt. Unvermittelt drischt die Sologitarre mit doppelter Lautstärke und einer Ungestümheit auf den Song ein, dass man vor lauter Begeisterung nur noch schreien möchte. Aber das wäre zwecklos, weil man bei der Lautstärke eh nix hören würde. Großartiger Kontrast, Musik die einem durch den Körper fährt.

Ein anderes Stück fängt erst in Velvet Underground Manier an. Der Vergleich ist ja selten falsch, wenn man von Gitarrenmusik mit gelassenen Vocals redet, und eine Frau stoisch auf das Schlagzeug klopft. Das Gitarrensolo wiederum fängt ebenso gelassen an, wie der Song. Aber Minuten später merkt man, dass hier unmerklich, Sekunde um Sekunde sich ein Tsunami aufgebaut hat. Diese Momente, wenn man wirklich alles vergisst, und nur noch die Musik auf der Welt existiert, und alles, aber wirklich alles andere egal wird. Nennt man glaub Ekstase oder sowas.

Yo La Tengo

Foto: Steffen Schmid

Das letzte Stück des Hauptsets ist ein unendlich langes Psychedelic-Stück, natürlich wieder garniert mit Yo La Tengos Eigenart liebliche Melodien zu komponieren. Und das Stück rüttelt einem mit seiner Intensität emotional so dermaßen durch, wie ich es selten live erlebt habe. Ruhig am Anfang, am Ende so aufwühlend, so laut, so mitreißend, dass man durch die Decke gehen könnte. Das sind diese Musikmomente, die einen für alles entschädigen, die einen so mit Glück vollpumpen, dass man die drei Leutchens aus New Jersey dafür einfach nur umarmen möchte und nicht mehr loslassen. #Epochal.

Dermaßen emotional zerrütet bekommt man als erste Zugabe eine Coverversion von ZZ Tops „Gimme All Your Lovin“ präsentiert. Macht Bock, geiles Stück, und der Humor holt einen auch wieder auf die Erde zurück, nachdem man zuvor ins All geschossen wurde. Ob sie im Zugabenteil dann noch, wie vor 13 Jahren, Ca Plane Pour Moi gespielt haben, bekomme ich leider nicht mehr mit. Aber das ist auch gar nicht mehr schlimm. War ja davor schon ein Konzert für meine ewige Bestenliste.

Yo La Tengo

Foto: Steffen Schmid

2 Gedanken zu „YO LA TENGO, 15.03.2013, Manufaktur, Schorndorf

  • 18. März 2013 um 00:05 Uhr
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    Was für ein Abend! Epochal trifft’s schon ganz schön gut. Ich glaube, ich stand vorallem im zweiten Teil eigentlich die meiste Zeit mit offenem Mund da. Sehr beeindruckend auch dieses insgesamt unglaublich liebenswerte, unprätentiöse Auftreten der drei.
    Vielen Dank für den schönen Bericht, der es hervorragend geschafft hat, auch mein persönliches „Wow“ in Worte zu packen!

  • 18. März 2013 um 10:11 Uhr
    Permalink

    Oha! Schoen!

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