THE CHAP, 21.02.2013, Manufaktur, Schorndorf

The Chap

Foto: Steffen Schmid

Gerade isses schon hart. Die Sonne ist irgendwann mal Ende Oktober abgestellt worden, wahrscheinlich aus Energiespargründen. Siech, verschuppt und bleich grottenolmt man sich durch den Winter. Und kurze Stimmungsaufheller per amazon-Klicks muss man sich gerade auch verbieten, Verzeihung, muss man sich sparen. Das Aufgeilwort, um jegliches, lustfeindliches Verkneifen zu verschleiern. Gespart wird, überall, außer am Sparen. Einziger Trost, der Mitmensch um einen herum sieht genauso fertig aus (außer dem Fotografen, der mal wieder überragend aussieht), durch diesen Winter endgültig sturmreif geschossen.

The Chap ficht sowas wohl nicht an, denn die sind ja offensichtlich irre, wie ich letztes Jahr schon feststellen durfte. Zumindest auf der Bühne sind sie das. Erfreulicherweise haben sie diesmal auch Berit Immig dabei, deren Stimme und Keyboard den Gesamtsound harmonischer und facettenreicher macht. In den The Chap Gesamtkontext aus wahnsinnigen Grimassen, teils choreografiertem Abspacken, und Rock-Gesten-Persiflage fügt sie sich eh perfekt ein.

The Chap

Foto: Steffen Schmid

Ich kenne ja The Chap von Platte her fast gar nicht. Aber ihr Live-Auftritt vor elf Monaten war so dermaßen überzeugend, dass ich jetzt unbedingt wieder hin musste. So kann das auch funktionieren. Sich über geile Live-Performances seine Fans erspielen, wenn die schon mal zu faul sind, sich vorher die Platten anzuhören. Die Manufaktur ist ein wenig besser gefüllt, als das Schocken im letzten Jahr, aber natürlich immer noch zu leer für einen Act dieser Güte. Das sind nämlich Typen, die nicht nur hochinteressanten, modernen Pop-Krautrock-Postrock-Noise-Punk-Prog-Pop spielen, sondern auch auf der Bühne sich und den Instrumenten alles abverlangen. Die Instrumenteninventur wird am Ende des Abends zwei gerissene E-Gitarrensaiten, und zwei bis zur Unkenntlichkeit zerfranste Violinen-Cello-Bögen notiert haben.

The Chap

Foto: Steffen Schmid

Und trotzdem, anfangs das schon oft gesehene Phänomen des leeren Raums vor der Bühne. Schiefes Bild dazu: Petrischale angefüllt mit fiesen Erregern (wir Zuschauer), um das Penicilin (Band) herum Erreger freie Zone. Sänger Johannes von Weizsäcker kommentiert das anfangs auch mit „Ihr dürft auf gar keinen Fall näherkommen“. Aber die Band aus London/Berlin lässt sich davon nicht verunsichern, und zieht damit nach und nach das Publikum auf ihre Seite. Betourt wird ja immer noch das letzte Album „We Are Nobody“, mit so Hits wie „What Did We Do?“, die live ganz prächtig wirken. Aber auch ältere Songs dürfen nicht fehlen. „Ethnic Instruments“ zum Beispiel, laut Basser der World-Music gewidmet, die zu Großteilen „shitty“ sei. Das Stück selber ist dann so Afro-Funk-Heavyrock, mit dem vielleicht besten Gepose des ganzen Abends. Jeder macht seine ganz eigenen Moves dazu, Rockstarposen in der Geschlossenen könnte als Beschreibungsversuch vielleicht weiterhelfen. „Carlos Walter Wendy Stanley“ ist ebenfalls von der Vorgängerplatte und ein ganz formidables Krautrock-Pop Stück mit Primus-Einschlag, oder so.

The Chap

Foto: Steffen Schmid

Es gäbe so viel zu erzählen, man weiß gar nicht wo man anfangen soll. Zum Beispiel, dass man ein The Chap-Konzert auch nur damit verbringen kann, Drummer Keith Duncan (als formidabler Drummer mit Schuss muss man wohl Keith heißen!) zu beobachten. Spielt super, und zieht dabei die irrwitzigsten Grimassen, die man sich vorstellen kann. Die vielen mehrstimmigen Gesangsparts unterstützt er übrigens auch noch. Heute Abend fällt mir auch endlich ein, an wen mich der Bassist in seinen Ellesse-Sport-Shorts erinnert: Pete Sampras. Und siehe da, Panos Ghikas heißt der Mann, auch griechischer Herkunft wohl. Bassist ist übrigens nicht ganz richtig. Bassist, Gitarrist, Backgroundsänger und Noise-Violinist ist richtiger. Multitalent, da geht einiges. Über Keyboarderin und Sängerin Berit Emmig habe ich ja schon oben geschrieben. Ein Riesengewinn im Vergleich zum Vorjahr.

The Chap

Foto: Steffen Schmid

Sänger, Cello-Vandale und Sänger Johannes von Weizsäcker ist ebenso Blickfang wie der ganze Rest der Band, und langweilt sich auch ansonsten bestimmt nicht im Leben, da er noch für die Spex und die Berliner Zeitung schreibt, z.B. lesenswert über das neue My Bloody Valentines Album. Wenn ich mir meinen Lieblingsmoment von ihm heute aussuchen darf, dann wähle ich das Ende von „Proper Rock“, bei dem er, als die Musik schon zu Ende ist, wie von Sinnen ohne Mikro „Clubbing“ und „Girls“ ins Publikum brüllt. Einmal schreit er auch „facebook“, damit man sich einmal mehr fragen kann, was denn jetzt schon wieder kaputt ist.

The Chap

Foto: Steffen Schmid

Ein weiterer Höhepunkt, bei wie immer hervorragendem Sound in der Manufaktur, ist ein Instrumentalstück, bei dem Violine und Cello gequält werden, der Drummer anfangs Knistergeräusche mit einer Plastikflasche erzeugt, und zwischendurch das Ganze mit stumpfen Krautrock-Beats weitergeführt wird. Geil, trotz fies pfeifendem Feedback, das die Band am Ende des Songs minutenlang auskostet, und dabei wie zu Eis erstarrt ist.

Vor der Zugabe gibt’s noch ein Heavy-Rock-Stück, in der Zugabe selber wird so mit Falsett gesungen. Was ich aber eigentlich mit dem ganzen Bericht schon sagen will: Leute, wenn ihr nicht zu diesen Konzerten in Massen kommt, dann weiß ich ehrlich gesagt auch nicht mehr, was man euch noch bieten soll.

The Chap

Foto: Steffen Schmid

2 Gedanken zu „THE CHAP, 21.02.2013, Manufaktur, Schorndorf

  • 27. Februar 2013 um 16:30 Uhr
    Permalink

    Ach je, toller Bericht und tolle Fotos.
    Aber unwichtig. Denn: Wir müssen da was ändern, so orgamäßig. Ab jetzt sollte jeder Autor und Fotograf verpflichtet sein, vor einem solch großenkleinen Konzert alle anderen Autoren, Fotografen und Leser zu mobilisieren und im Notfall auch mit Geld/Gewalt locken/drohen. Bitte! Damit ich solche Konzerte nicht verpasse. :)
    Danke!

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