O CHILDREN, 10.02.2013, Keller Klub, Stuttgart

O Children

Foto: Steffen Schmid

Klare Sache: spricht Kanzlerin Merkel das „volle Vertrauen“ aus, steht der Teufel längst am Grill. Ähnlich nachhaltig ist das mit der Liebe der „Blogosphäre“, oder wie Markus Lanz sagen würde: „der Netzgemeinde“. Möge es den postpunkenden Briten O Children besser ergehen. Die werden jetzt zumindest schon zwei Platten lang hart abgefeiert – aber vorwiegend eben online. Im Keller Klub zeigen sich am ärgerlich kalten Sonntagabend mindestens 120 Leute bereit, das Quartett aus London auch im echten Leben gut zu finden. Schauen, ob da echt was geht zwischen zweiminutenfuffzig auf Youtube und einem Gutfind-Daumen.

Auf Platte sind O Children natürlich viel zu schick, etwas zu cool und auch übertrieben sophisticated. Nun aber diese Oberflächlichkeit zu verdammen, um sich selbst auf nix anderes zu stürzen, führt auch zu nix. Zumal im Keller Klub ein Großteil ihres Studiobombasts wegfällt. Sonntagabend sind O Children im Rahmen ihrer Möglichkeiten roh – und gleichermaßen begrenzt wie unterhaltsam.

O Children

Foto: Steffen Schmid

„Malo“ und „Ezekiel’s Son“, auf Platte zwei kuntergraue Spaßlieder, verblassen live gleich mal. Kennt man die nicht in- oder wenigstens auswendig, wird’s schnell einerlei und auch ein bisschen egal. Keine Spur vom Bums und vom Zuckerguss der Platte, und kaum ausreichend Gewicht, um das live auszubalancieren. Teufelskreis, echt.

Die bewährte alte Dunkelromantik schimmert trotzdem durch: „If I lose you tonight, I lose you forever“. Ein super Satz, irgendwo zwischen bebilderter Statusmeldung, Instagram und kleinem Weltuntergang. „PT Cruiser“ und „Swim“ von der neuen Platte „Apnea“ werden gottseidank schon etwas bestimmter und bösartiger gereicht. Da tut sich langsam was.

O Children

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Sänger Tobias O’Kandi hat übrigens nicht nur die tiefste Stimme, die je durch den Keller Klub brummte, sondern auch die größten Hände der Welt. Wenn der mindestens vier Meter große Kerl die Hände um das Mikrophon legt, sieht man das Ding kaum noch. Irre. Manchmal hält er sich auch die Finger zur Pistole geformt an die Schläfe und drückt ab. Kannste immer bringen.

„Dead Disco Dancer“ kann auch was: gut schwingen zum Beispiel und zitieren. Zum Glück habe ich Sonntagabends nicht den Schalk im Nacken. Sonst hätte man auch mal rufen können: „Hey! Joy Division haben gerade angerufen. Die wollen ihre Lieder zurück.“ Das wäre allerdings nicht nur unverschämt, sondern auch dumm gewesen. Schließlich lag der Zauber von Ian Curtis und Co. eher in der abgefuckten Dunkelheit und der Verzweiflung – nicht im gut anpolierten Glamour-Goth von Leuten, die ihre Musik allen Ernstes „New Grave“ nennen.

O Children

Foto: Steffen Schmid

Da wiederum machen O Children keine Gefangenen. Ein Goldstück: ihr Schlagzeuger Sleath. Der sitzt da in aller Ruhe, schaut ab und zu, dass seine Kollegen im Takt bleiben, treibt sie vor sich her und knüppelt dann wieder recht bösartig auf sein Schlagzeug ein. Knaller, der Typ.

„I Know“ auch. Während „Oceanside“ zwar ein bisschen nach einer Hotelbar voll schmieriger Typen klingt, kommen die vier Briten nun langsam in Fahrt. Sich Sonntagabends mal eben die Depression wegkurieren zu lassen, funktioniert längst nicht mehr. Dafür fühlen sich die Londoner viel zu wohl in ihrem Tal der Tränen, das vermitteln sie auch gerne. Manchmal erwecken O Children dennoch den Anschein, sie würden Post-Punk für all die aufbereiten, denen die Muse/Zeit/Lust fehlt, sich eine ganze Platte von Joy Division oder Bauhaus anzuhören und lieber deren T-Shirts tragen.

O Children

Foto: Steffen Schmid

An guten Liedern mangelt es O Children trotzdem nicht: „Yours For You“ und „Fault Line“, boxen Interpol oder White Lies fies in die Nieren, beziehungsweise dem Mittelmaß, das die in den vergangenen Jahren angeboten haben. „Chimera“ sowieso. Im Keller Klub wird deshalb auch locker mitgewippt, Gothgetanzt und auch mal geklatscht. Ein paar Leute schieben sich in Zweiergruppen gegenseitig die Zunge in den Mund. Ich bin mir nicht sicher, ob O’Kandi schon vorher, oder erst danach die Zeile singt:

You leave a taste in my mouth.

Bei „Ruins“, dem letzten Stück, singt er: „They’ll kill you, if you come back again“. Ich denke, in Stuttgart braucht er sich da keine Sorgen zu machen. Auch wenn O Children mehr versprechen als sie dann letztendlich halten.

O Children

Foto: Steffen Schmid

P.S.:
Jesses! Fast vergessen: Vorneweg gab’s noch Die Selektion. Die zwei Stuttgarter bringen sogar eine Trompete und etwas Kunst-AK zum Post-Punk-Goth-Pop-Tanz. Kommt gut, wummert bestens und wenn es nicht Winter wäre, könnte man die sofort auf eines der großen Goth-Open-Airs schicken.

Auch noch dabei: Scarlet Soho. Die wollen wahrscheinlich lieber zu Rock Am Ring. Das britische Trio lässt zumindest nix aus zwischen Depeche Mode, White Lies, Erasure, IAMX und der Hitparade mit Dieter Thomas Heck. Blitzsauberes Pop-Einerlei. James Knights kann sogar singen wie Dave Gahan und Martin Gore gleichzeitig. Nix, weshalb man das Radio aus dem Fenster werfen würde – aber auch nix, wofür man es absichtlich einschalten würde. Scarlet Soho spielen wahrscheinlich irgendwann auf dem New Pop Festival vom SWR3.

O Children

Foto: Steffen Schmid

Ein Gedanke zu „O CHILDREN, 10.02.2013, Keller Klub, Stuttgart

  • 12. Februar 2013 um 21:08 Uhr
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    Schmoudi, mit dem Sänger musst Du mal Armdrücken. Das stelle ich mir vor wie 2 Schaufelbagger, die gegeneinander kämpfen.

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