SEA + AIR, 29.01.2013, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

„’Sie und Er’“, fragte der Carschden neulich, „sind das die neuen ‚Ich + Ich‘?“ – und lachte sich in den Bart. Der Carschden hat, nebenbei bemerkt, einen ziemlich schönen Bart. Ich bin ja mehr so der Quartalsrasierer. Schont die Klingen und alles. In welchen Zeitabständen sich Daniel Benjamin von „Sea + Air“ seine aus früheren Evolutionsstufen gebliebene Gesichtsbehaarung entfernt, kann ich nicht so wirklich abschätzen, aber ’nen netten Zwirbelbart hat er trotzdem. Seine Frau, ich vermute sie ist „Sea“, heißt Eleni. Die hat keinen Bart. Danke dafür. Und fürs Konzert.

Aber kein Grund zur Sorge: Passt alles! Bis auf meine Instrumentenkenntnisse. Ja, ich brüste mich manchmal mit der Fähigkeit, ein Fagott von einer Oboe unterscheiden zu können, aber meine Einigung mit dem Huiss darauf, dass ein Cembalo „doch irgend so ein ‚Zupfdings’“ sei, war doch unpassend. Das Zupfdings, das ja keines ist, sondern ein komisch klingendes Klavier, passt übrigens erstaunlich toll in das Arrangement der beiden Multiinsturmentalisten. Hab neulich gelesen, das Cembalo sei das Lieblingsinstrument von Bach gewesen. Musikhistorie auf’m gig-blog, da hasches!

Aber zurück zur Instrumentalisierung: Das Ehepaar macht das wirklich großartig. Manchmal spielen sie bis zu drei Instrumente gleichzeitig und alles wirkt wie aus einem Guss. Wären sie nicht so toll beleuchtet in ihren schlichten schwarzen Klamotten, man würde meinen, die Musik kommt vonna Pladde. Nur die zwei, drei technischen Problemchen stehlen ihnen ein bisschen die ganz große Show. Aber den beiden macht das nix aus. Benjamin, Nachnamen klingen ja immer seriöser, ist auch ein ganz witziger Typ. Ähnlich wie beim gig-blog, wo die Coolness ja nicht nur im Subtext mitschwingt, gibt’s eine saubere Mischung aus gefühlvoller, sphärischer Musik, einer sauberen Dröhnung und lustigen Anekdoten. Darum erwähne ich hier auch nicht, dass die beiden aus Stuttgart kommen, schon seit zwei Jahrhunderten Musik machen, aber unter dem Namen „Sea + Air“ erst ein Album veröffentlicht haben.

Vor ein paar Tagen saß ich im Auto. Warum, weiß ich nicht mehr so genau. Aber im Radio kam „Do Animals Cry?“ von „Sea + Air“. „Gute Frage, hey“, hab ich mir gesagt und heute sag ich mir das auch. Das Lied kommt ziemlich am Anfang. Überhaupt sind die Texte in einigen Songs arg schön. Von der aufgewühlten See nach einem Sturm und dem Himmel nach einem Gewitter singen sie. Und natürlich vom Herzen des Regenbogens. Dazu kommen viele, viele Kubikmeter Dampf aus der Nebelmaschine und ich hoffe, dass der sich nicht auf die Lungen der beiden setzt wie bei besagtem Hahn.

Wohin mit all dem Hass?“ ist ja nichts Neues mehr, aber aus dem Mund des männlichen Benjamin klingt es gut. Ist ja auch nicht so einfach bei all der melodischen Musik. Wenn es dann, wie beim Applaus zu „Do Animals cry?“, nochmal richtig losgeht mit Ufftata und Dschingarassabumm, kommt auch ein wenig mehr Stimmung auf. Die können nämlich auch laut. Kürzlich habe ich den Björn gefragt, ob er denn Strom kann. Konnte er nicht. Ich auch nicht. Also tragen wir den Herd halt. Hätte das Publikum lieber auch mal den Herd getragen, meine ich. Das Laut schlägt sich dann nämlich im Klatschen der Konzertbesucher nieder. Der Micha schrieb mal in einem meiner Lieblingssätze auf dem gig-blog, die Dame vor ihm würde „vermutlich zur Getränkekarte tanzen“. Und auch hier klatschen ein paar ihre Namen in die Luft.

Gegen Ende dann liest der Tontechniker ein Kommuniqué aus der Feder von Daniel Benjamin vor, während Eleni Benjamin versucht, ihre Lippen synchron dazu zu bewegen. Das klappt eher so mittelmäßig und ich finde die Hälfte davon nicht halb so lustig, wie ich es gern möchte und mag weniger als die Hälfte davon nur halb so gern, wie sie es verdient hätten. Trotzdem schön. Mit den Zeilen „Heart Of The Rainbow“ neigt sich das Konzert seinem Ende zu. Als Zugabe gibt’s eine „Rockoper“, wie die beiden das bezeichnen und die geht wirklich lang und ist auch wirklich schön, während das Publikum mit ihren Schlüsseln herumklimpert. Dann ziehen sie sich schwarze Tücher über den Kopf, falten die Hände zum Gebet und verschwinden im Nebel. „Verfluchte Satanisten“, denk ich mir noch und bestelle ein Glas Wein.

2 Gedanken zu „SEA + AIR, 29.01.2013, Theaterhaus, Stuttgart

  • 31. Januar 2013 um 20:46 Uhr
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    Sehr cooler Text! Und Dank auch für das Kompliment über meinen Bart. Sauber!

  • 1. Februar 2013 um 12:50 Uhr
    Permalink

    „Verfluchte Satanisten“ nach einem, den christlichen Gott preisenden Lied zu denken, ist das Yin & Yang? ;-)

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