CAMERA, 29.01.2013, Schocken, Stuttgart
Kann ich ja nix dafür, dass ich damals noch zu jung war, als Can und Neu! ihre Hochzeit hatten und live spielten. Und immerhin bin ich im Gegensatz zu Herrn James Murphy noch so ehrlich und behaupte nicht „I was there in 1968. I was there at the first Can show in Cologne.“ War ich nämlich gewiss nicht, und Murphy übrigens auch nicht. Eigentlich habe ich, um ehrlich zu sein, Krautrock erst Ende der 90er kennengelernt. Viel zu spät natürlich, aber dank Camera erfährt diese Spielart ein topmodernes Update, welches man heutzutage goutieren kann.
Schon sehr angenehm, dass man, temperierten, atlantischen Luftmassen sei Dank, auf dem Weg zum Schocken die Schultern nicht mehr vollverkrampft bis zu den Ohren hochziehen muss. Gig-blog-Debütant Micha hat das Trio übrigens schon zufällig mal auf dem Kurfürstendamm spielen gesehen, in einem ihrer Spontan-Gigs, mit denen sich das Trio einen Namen gemacht hat. Der Vorverkauf hier lief wohl nicht so dolle, weswegen der Auftritt im Untergeschoss des Schockens stattfindet. Der füllt sich dann aber noch ordentlich, laut „Rainman“ Jenny sollen das 80 Leute sein. Mag sein, um 22 Uhr ist auf jeden Fall Beginn, im Publikum ebenfalls die Psychedeliker von Jamhed.
Langes Synthie-Intro, der Schlagzeuger, immer im Stehen, unterfüttert das psychedelische Stück mit einem lockeren Beat, die Gitarre perlt vor sich hin. Klingt jetzt eher nach reduzierten, frühen Pink Floyd ala Ummagumma oder Live In Pompeji, als nach Krautrock. Aber Schicht für Schicht wird es lauter, das Stück baut sich auf, wird laut, um dann schlagartig in das wohl zweite Stück zu wechseln. Und da ist er dann, der unverwechselbare Beat, der so symbolisch für diese Musik steht, und wie man ihn z.B. auf Hallogallo von Neu! bestens bewundern kann. Stoisch, hypnotisch, sich langsam steigernd. Irgendwann wird auch auf der Gitarre richtig verzerrt gerifft, womit dann auch die headbangenden Metal-Typen in der ersten Reihe auf ihre Kosten kommen.
Danach kommt wieder ein Ambient-Intro, und die verhallte Gitarre spielt eine Melodie dazu. Weiter geht’s dann aber irgendwann wieder mit diesem oben benannten Schlagzeugbeat. Irgendwie schwanke ich hin und her, und ohne Gig-blog Kraut-Koryphäe Tox fällt es mir schwer zu erklären, was es ist, das mich dann nicht 100%ig ausflippen lässt. Ist es die etwas fehlende Raffinesse? Vielleicht habe ich ständig nur die großen Vorbilder im Gehörgang, und vergleiche unrechtmäßigerweise den Sound von Camera damit. Andererseits spielen die aber mit so einer Energie und Elan, dass sich in den besten Momenten dank des Mittels der Repetition doch dieser hypnotische Sog entwickelt. So vergehen die 70 Minuten dann doch sehr kurzweilig und spaßig. Alleine dem Schlagzeuger zuzusehen ist das Eintrittsgeld wert. Ständig im Stehen gebeugt, die Haare im Gesicht hängend und bei den Höhepunkten die Drums schier kaputtschlagend.
Und beim Schreiben dieses Berichts, mit 39 Grad Fieber, kommt mir noch ein andere Erklärung in den Sinn, warum der Funke nicht komplett auf mich übergesprungen ist: die verdammte aufkommende Grippe hat mir meinen Krautrock-Travel wohl etwas vermasselt.
Sauberer Einstand, Micha! Und dir gute Besserung, lieber Lino.