GASLIGHT ANTHEM, 31.10.2012, Liederhalle, Stuttgart

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

Neulich schaute mein Stiefhund, die Doberfrau Luna, ein bisschen müde unter der Decke vor und sah dabei etwas aus wie Little Steven Van Zandt von Bruce Springsteens E-Street-Band mit seinen albernen Kopftüchern. Ich wollte ein Bild davon machen, es Brian Fallon von The Gaslight Anthem schicken und dazuschreiben: „Schau. Auch fast wie bei Springsteen“. Vielleicht auch noch „lol“ oder „rofl“. Geht immer. Fallon mag Hunde und den Springsteen sowieso.

Fallon müsse endlich einsehen, dass er weder The Boss oder Tom Petty sei, meinte kürzlich ein Freund. Das stimmt. Den Vorwurf kann man schließlich annähernd jedem Menschen auf der Welt machen, manchmal sogar Petty und Springsteen selbst.

Doch Rockromatiker deren Schlages schaden nie. Typen, die Geschichten erzählen, in denen man sich zu Hause fühlt wie auf einer durchgelegenen Couch, im Lieblings T-Shirt oder in den Armen eines guten Menschen. Selbst wenn man kein Wort davon versteht, was die erzählen oder sie eigentlich etwas ganz anderes meinen. Fallon ist so einer.

Als Gaslight Anthem im Hegelsaal „Blue Jeans & White T-Shirt“ spielen, ist das so genau so ein Moment – selbst für den passionierten Schwarzträger von nebenan. Es sind die freundlichen kleinen Zeilen, die dieses Fest zur Party machen. Wer allen Ernstes „We’re never going home until the sun says we’re finished / And I’ll love you forever if I ever love at all“ sagen kann, hat es geschafft. Da gibt’s keinen beschissenen bisschen Grund, länger auf das größte Fest des Lebens zu warten: leben.

Bei Schiffchenfilm „Titanic“ hieß das: „Wenn Du springst, spring‘ ich auch“, aber dieser Kutter hier ist weit davon entfernt, abzusaufen. Die „Sink or Swim“-Sache vom Debüt ist längst geklärt. „Check“ wie der Hipster sagen würde. Auch SWR3-Hörer mögen mittlerweile die Band aus Brunswick in New Jersey. Das ist gut, so viel sinnvolle Auswahl bietet ihnen ihr Lieblingsradiosender ja nicht. „Huch“ sagt erstmal der Rest, das liegt auch an der gruseligen Halloween-Gesichtsbemalung mit der Gaslight Anthem im Hegelsaal auf der Bühne stehen.

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

Brian Fallon singt seine Zeilen ohne jeglichen Anflug von Schmalz oder Ironie. An den miesen Tagen der Woche möchte man ihm für diese schamlos zur Schau gestellte Gutmenscherei echt eine reinhauen. An den anderen Tagen kann er sich genau deshalb eine saftige Umarmung abholen. Mittwochabend wird gelächelt.

Das Magazin Visions veranstaltete kürzlich einen mittelschweren Aufruhr, weil sie investigativ aufklärten, dass Fallon ein Christ sei. Sie feierten sich selbst mit dieser irren Enthüllung, als hätten sie eine Verschwörung aufgedeckt. Doch es könnte kaum etwas Egaleres geben: Fallon spielt seine Gitarre schließlich nicht mit einem Kreuz. Er tut es mit dem Herzen.

„Happy Halloween!“, sagt er und schaut sich ein paar verkleidete Fans im Publikum an. Dann zeigt er auf eine Frau: „Oh, bist du der Teufel?“. Dann muss er lachen: „Ja klar, Du bist eine Frau und der Teufel!“. Auch sonst gibt sich der Kerl kaum eine Blöße, plappert ein bisschen und manchmal wirkt er fast wie ein Kind, das kurz vor Weihnachten im Spielzeugladen vergessen worden ist. Nochmal Jackpot, bevor einem das Leben einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

Dann: „The ’59 Sound“ eines der schönsten Lieder der Welt und die  Rückversicherung, dass eine gute Plattensammlung Leben retten kann. In „45“ spinnen The Gaslight Anthem die einleuchtende Schnapsidee gleich weiter: „Turn The Record Over / See You on the Flipside“. Und ein paar „Hey, Hey, Hey“ später ist die Sache klar: Die Medaille mag zwei Seiten haben – und das ist meistens nicht richtig cool, deswegen sind gute Platten immer die bessere Option.

Aus Versehen klärt Brian Fallon auch noch das filmische Oeuvre von David Lynch auf. „Wer ist jetzt eigentlich tot?“ fragt er bei „Mullholland Drive“. Hier im Hegelsaal ist niemand tot. Höchstens die Logistik. Unendliche Warteschlangen an den Getränkeständen und dann geht auch noch das Bier aus. Gaslight Anthem retteten mit ihrer besänftigenden Art zumindest den Haussegen an diesem Abend. Bei Motörhead wäre der Gastronom am Kragen zur Tanke geschickt worden, Bier holen. Aber zackig.

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

Mag der Punkgeist ihrer früheren Jahre mittlerweile nicht mehr ganz so laut sein, das Gewissen ist noch immer da. Wer aus New Jersey kommt und am 31. Oktober kurz „Halloween“ „Astro Zombies“ (Danke Stephan. Du Besserwisser) von den Misfits aus New Jersey raushaut, der kennt sich aus in Geschichte. „I Walked With A Zombie“ von Rocky Erickson spielen Gaslight Anthem auch an. Gottseidank kürzen sie es ein wenig, da das feine Lied eigentlich nur aus einer ständig wiederholten Tatsache besteht: „I Walked With a Zombie Last Night“.

„I‘ da Call You Woody, Joe“, der romantische Traum davon, eine Gang zu sein. Zwei Mitglieder reichen aus, so lange sie mit ganzem Herzen dabei sind. Fallon und seine Freunde sind mittlerweile zu fünft. Ian Perkins, Fallons Gitarrentechniker und Bandkumpel bei The Horrible Crowes unterstützt The Gaslight Anthem mittlerweile bei Konzerten. Sehr gut. Die Fünfergang spielt so gut wie nie zuvor. Toll auch Bassist Alex Levine, der ein bisschen aussieht, als hätte man Barbies Kumpel Ken eine Lederjacke angezogen.

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

„Casanova, Baby!“ auch so eine miese Art, die Romantik zu preisen: „We could run all night / And dance upon the architecture / Come and take my hand / I’ll do the very best I can / Boy, I still wanna be your man / I’m still these nervous feet and heart of stone /Forget this dead mans town / I’ll take you home“ Das sind Zeilen, die man sich an Körperstellen tätowieren möchte, an denen es richtig weh tut. Nur für den Fall, dass mal der Lesestoff oder das Glück ausgehen mag.

Wie man’s dreht oder wendet, wer sich gut fühlt, der lächelt selig. Wer gerade nichts zu Lachen hat, der lächelt trotzdem. Denn Gaslight Anthem singen ein fortwährendes Loblied auf das Happy End. Möge es niemals enden. Oder Bruce Springsteen bitteschön jetzt auf die Bühne laufen, Fallon auf die Schulter klopfen und sagen: „Ach, gut gemacht, Junge!“.

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

„Maybe I should call me an Ambulance“ singt Fallon und jeder weiß, dass nur die härtesten Mutterficker sich selbst einen Notarzt rufen. Keiner weiß, was danach kommt: Aber mindestens sieben Lieder von The Gaslight Anthem, darunter auch „The Patient Ferris Wheel“, möchte ich bei meiner Beerdigung in circa 86 Jahren hören. Meine besten Freunde einladen, ein letztes Mal durchdrehen, tanzen, trinken, lachen und dann endgültig umfallen. „Sleep where we’re falling“. So schön ist das. Einladungen gehen nächste Woche raus.

Zugabenblock. „Here’s Looking At You, Kid“. Fallon macht es alleine – nicht ganz. Irgendwas im grünen Ganzkörperanzug rennt über die Bühne. Bei „Halloween“ „Astro Zombies“ (Danke Stephan. Du Erbsenzähler) von den Misfits gesellt sich auch nochmal der unvermeidliche Dave Hause dazu. Der sympathische Singer/Songwriter/Weinflaschenträger eröffnete den Abend. Blood Red Shoes auch, die habe ich aber nicht angeschaut. Vor fast genau zwei Jahren habe ich die mal im Aer-Club gesehen, während ein Mann in Wasen-Lederhosen gerade unter einen Tisch kotzte. Ich denke nicht, dass das deren Schuld war.

„Everybody leaves, so why wouldn’t you?“. Ja, noch „Great Expectations“ und dann ist Schluss. „Und? Wie lange haben sie gespielt“. Keine Ahnung. Ich war zu froh, um auf die Uhr zu schauen, als es losging – und zu traurig, als es wieder zu Ende war. Daran erkennt man das gute Leben.

The Gaslight Anthem

Foto: Steffen Schmid

The Gaslight Anthem

Blood Red Shoes

Blood Red Shoes

Foto: Steffen Schmid

Dave Hause

Dave Hause

Foto: Steffen Schmid

14 Gedanken zu „GASLIGHT ANTHEM, 31.10.2012, Liederhalle, Stuttgart

  • 1. November 2012 um 16:33 Uhr
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    Leckmichamzipfel. Das sind unglaublich schöne Bilder, Schmoudi.

  • 1. November 2012 um 17:03 Uhr
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    und Laura-Mary Carter sieht auch mit Halloween Bemalung noch schnucklig aus :)

  • 1. November 2012 um 17:12 Uhr
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    wirklich tolle live-bilder. kompliment. und was die band angeht, die R.E.M. des 21. jahrhunderts?

  • 1. November 2012 um 19:16 Uhr
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    Danke, aber halt auch ein sauguter Text!

  • 2. November 2012 um 13:04 Uhr
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    Ähm, der Aufruhr in der VISIONS drehte sich darum, dass Fallon Creationist ist, nicht Christ. Kleiner Unterschied, der dem ein oder anderen halt komisch aufstößt. Mir isses egal. ;)

  • 2. November 2012 um 13:31 Uhr
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    @Andy: Stimmt. Aber für die Black Sabbath Fans unter uns macht das keinen Unterschied.

  • 2. November 2012 um 16:20 Uhr
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    Das Misfits Cover, bei dem auch Dave Hause auf die Bühne kam, war doch „Astro Zombies“, oder ?

  • 2. November 2012 um 16:56 Uhr
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    Jetzt, wo du das sagst: bin ich mir nicht mehr ganz sicher. Ich glaube, Du hast aber vollkommen recht.

  • 2. November 2012 um 17:02 Uhr
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    Service-Information: Habe gehört, das Bier sei drei mal aus gewesen. Aber okay, in der Liederhalle wird wahrscheinlich sonst auch eher Doppelherz bestellt.

  • 2. November 2012 um 17:04 Uhr
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    „Astro Zombies“ wurde definitiv gespielt, ich kenne den Song in- und auswendig, die einzige Frage ist, ob das zusammen mit Dave Hause war, aber auch da bin ich mir relativ sicher. Zu 99%. :)
    Davon abgesehehen, ein sehr schöner Artikel, der lässt einen den ganzen Abend noch einmal erleben, großes Kompliment!

  • 2. November 2012 um 17:51 Uhr
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    Die erste Zugabe von Brian alleine, bei dem zum ersten Mal das grüne Morphsuit Männchen über die Bühne gehüpft ist war „National Anthem“ :) „Here’s looking…“ wurde zwar auch gespielt aber von der kompletten Band

  • 2. November 2012 um 20:12 Uhr
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    Echt? Mein Souffleuse ist hiermit gefeuert. Kommt ins Tierheim.

  • 9. November 2012 um 11:50 Uhr
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    Eines der besten Konzerte, die ich bis dato mitmachen durfte, also auch etwas für „ältere“ Leute wie mich. Die „Mucke“ hab´ ich von meiner Tochter, ich hab´ ihr die Karte geschenkt und jetzt hab´ ich mir alle Alben gekauft. Nur ein Lied hat mir zur absoluten Perfektion gefehlt: „Old Haunts“.

  • 25. November 2012 um 18:10 Uhr
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    Genialer Artikel, danke. Spiegelt genau meine Gefühle an diesem Mittwoch wieder. War das beste Konzert, was ich bis jetzt sehen durfte, auch andere Gaslight Anthem Konzerte eingeschlossen.

    Ich persönlich mag Kreationisten überhaupt nicht, aber es darf doch jeder glauben, was er will.. Ich fand auch komisch, dass er angeblich keinen Alkohol trinkt, aber das wäre wohl Geschichte! ;)

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