SVAVAR KNÚTUR, 03.10.2012, Café Galao, Stuttgart

Svavar Knutur

Foto: Steffen Schmid

Ursprünglich wollte ich ganz gern ein kleines Loblied auf Bier einflechten. Darüber, wie toll Bier ist und auch darüber, wie großartig es schmeckt. Mach ich aber nicht. Außerdem hätte ich gern geschrieben, was für eine wundervolle Location das Café Galao am Marienplatz im Stuttgarter Süden ist. Dass es dort leckere Schupfnudeln gibt und gutes Bier. Und auch das Klischee des Wohnzimmers vor der Haustüre hätte ich gern verwendet. Ich hätte gern geschrieben, dass alles sehr gemütlich und schick eingerichtet ist und auch die Bilder vom Marienplatzfest auf der Bühne mit vielen bunten Schnörkeln und den Gesichtern hätte ich gern beschrieben. Dass der Raubvogel mich etwas einschüchtert und dass Felle auf Sitzbänken wirklich wohltuend sind. Ich hätte gern geschrieben, dass jeder Stuttgartbesucher unbedingt mal ins Café Galao sollte und dass es, abgesehen von ein paar wenigen kleinen Locations, etwas wirklich besonderes ist. Darüber, dass Galao ein portugiesischer Milchkaffee ist, habe ich schreiben wollen, und darüber, dass Wirt Reiner Bocka mit seinen kostenlosen Konzerten die Stuttgarter Kulturlandschaft sehr bereichert. Und dass die Homepage vom Galao wirklich heftigen Augenkrebs verursacht. Mach ich aber alles nicht, weil das total zweitrangig ist. Ach was, drittrangig. Denn heute werde ich Zeuge von etwas ganz großem. Auf ganz kleinem Raum. Mit Rücken.

Ich sitze schon ein Weilchen da, esse eine Kleinigkeit, trinke zwei Kleinigkeiten und unterhalte mich nett, da kommt Jack Black zur Tür rein. „Wahrhaftig: Er ist es“, denke ich mir und versuche, cool zu bleiben. Ist er aber gar nicht. Also der Jack Black. Cool schon. Es ist Svavar Knútur, isländischer Troubadour. Halt die Luft an, das reimt sich. Er umarmt Wirt Reiner, geht auf die Bühne, macht Soundcheck, singt was auf Deutsch und Englisch, ist irgendwann fertig, geht von der Bühne, setzt sich an einen Tisch und ist verschwunden. Aus meinen Gedanken. Zack, puff, weg. Im Vorfeld, und das muss man wohl dazu sagen, habe ich Freundin und Freunde nur Loblieder auf diesen bärtigen Menschen anstimmen gehört. Ich war arg gespannt, aber wie das nun mal so ist, versuche ich, die Vorfreude im Zaum zu halten, um etwaige spätere Enttäuschungen besser wegstecken und in den hintersten Kammern meiner Gedanken zu verstauen. Immerhin schreibe ich nach längerer Zeit mal wieder für den gig-blog.

Etwa eine Stunde später sehe ich, wie er auf einem kleinen Hocker hinter der Bar sitzt und etwas verloren wirkt. Er kommt auf die Bühne, setzt sich an den Rand – quasi neben mich – und wartet darauf, dass er angekündigt wird. Nach lautem Applaus stimmt Svavar sein erstes Lied an, Clementine. Das Galao ist mittlerweile gut gefüllt. Der Björn meint noch „80 sinds bestimmt“, wenn ich mir das aber im Nachhinein überlege, könnten es auch 100 gewesen sein. Das muss ich noch austrarie…, austrara…, ausrad…, rauskriegen. Zu Beginn bin ich nicht so sehr gebannt, muss ich sagen. Ich bin sogar etwas verwundert. Ja, naja – eine schöne Stimme hat er ja. Aber Kerle, lass die Schuhe an, da sind Flecken auf der Bühne. Lang dauert es jedoch nicht, bis ich immer mehr Gefallen an seinem Auftritt, seiner Art, seinem Wesen finde und mich einlasse, wirklich einlasse auf diesen wunderbaren Abend.

Svavar Knutur

Foto: Steffen Schmid

Während er auf seiner Ukulele herumzupft und sein klarer Gesang das ganze Galao in Trance versetzt, fängt die Magie des Knútur an zu wirken: „Eine herzlich gute Abend“, ruft er in die Runde und herzlich gut ist er. Knútur ist ein Troubadour und Liedermacher, wie er im Buche steht. Ein bisschen bin ich nach Mittelerde versetzt, wenn er seine traurig-schönen Lieder über Liebe, Fehler, das Leben singt. Viele sind auf englisch, einige auf isländisch. Er sagt, dass singen zu den kompliziertesten Dingen auf diesem Planeten gehört. Schwieriger noch als der Bau einer Raumstation oder einer Atombombe sei es. Noch schwieriger, sagt er während er auf seiner Ukulele rumzupft, wären nur sprechen und spielen gleichzeitig. Er sagt Sätze wie „glücklich sein ist kompliziert“ und macht sich im nächsten Satz über Anwälte lustig. Er ist witzig und wandelbar und ich glaube, dass nicht er ein Jack Black-Double, sondern Jack Black ein Svavar Knútur-Double ist.

Er reicht ein Buch über die dreizehn isländischen Weihnachtsmänner durch die Reihen und bittet darum, etwas hinein zu schreiben, jedoch keine Penisse zu malen. Die Australier würden das machen. Und die Bayern. Plötzlich ist er amerikanischer Prediger, schreit sein Publikum an „let’s be thankfull to our foolish pride“ und outet sich nach dem nächsten Lied als großer Janosch-Fan. Er ist australischer Party-King und rassistischer Dänenhasser gleichzeitig. Er wechselt von Gitarre zu Ukulele und zurück, genau wie seine Masken. Wer weiß schon, ob all seine Geschichten stimmen? Darüber, dass seine Mutter nicht gesellschaftsfähig ist und sie für ein Kompliment über seine Augen zuerst sein komplettes Äußeres zu Hackfleisch verarbeitet. Und darüber, dass sein Vater noch verrückter sei. Und darüber, dass er bei Stirb Langsam wirklich horny wurde. „Fuck you, Bruce Willis!“, ruft er. Wir alle sind bei ihm.

Zu Anfang fordert er uns auf, bei den „Lalalala…“-Teilen seiner Lieder zu folgen. Gänsehautschauer jagen mir über den Rücken, wenn aus den hinteren Teiles des Wohnzimmers unaufgefordert schöne Stimmen erklingen und Tränen schießen mir vor Lachen in die Augen, als er Roger Whittakers Pfeifen imitiert. Er hat einen guten Bierdurst, nennt Annie Lennox, während er „There must be Angel“ covert „Motherfucker“ und preist die „Eurythmics“ als Liebslingsband seiner Jugend an. Konzert kann man es ja nicht mehr nennen, lieber Erlebnis – und das wird mit jedem Song und jeder Songunterbrechung besser und besser, während alle um mich herum schier ausflippen und ich mich dabei erwische, wie ich fast anderthalb Stunden ein fettes Grinsen im Gesicht habe. Nicht umsonst ist wohl der halbe gig-blog hier vertreten. Er spielt Songs seines neuesten Albums und auch einige vom ersten und zweiten. Manchmal verstehe ich nichts, manchmal alles – aber immer weiß ich, um was es geht. Hier die Setlist aufzuzählen würde gar nichts bringen, außerdem kenne ich sie gar nicht.

Svavar Knutur

Foto: Steffen Schmid

Noch nie allerdings gingen für mich eineinhalb Stunden auf einem Konzert so schnell vorüber wie heute. Komm, dem kammer auch nen Fünfer ins Glas stecken. Er erzählt, dass er die Statistik über die Penisgröße der Isländer stark runterzieht, macht einen Abstecher in die Musikhistorie und erzählt über „The Smile Sessions“ und ihren Schöpfer Brian Wilson. Im Prinzip könnte man ihn als, wenn nicht total, zumindest als ganz schön wahnsinnig bezeichnen. Wunderbar schön wahnsinnig. Er singt, dass Brokkoli das gesündeste Gemüse überhaupt ist, singt wieder auf Isländisch, das sich in etwa so anhört wie ein eiskalter Gebirgsbach, der schleppend aber mit Kraft talwärts fließt. Er hat diverse Krankheiten wie Augenkrebs, verursacht beim Publikum das Stockholmsyndrom und gibt fast nebenbei den schönsten morbiden Song übers Sterben wider, den ich kenne. Mit Durchfall und allem drum und dran. Wobei ich so viele morbide Songs übers Sterben nun auch nicht kenne.

Er sagt, das Cole Porter sein Liebslingssongwriter ist und singt ein Lied über den Weltuntergang, während er seine Liebste im Arm hält. Mit seiner Ehrlichkeit und Offenheit hat er alle in seiner Hand und seinem Bann. Da steht einer auf der Bühne, der es wirklich ehrlich meint. Jemand, der Spaß daran hat und sich freut, wenn er Freude bringt. Gegen Ende singt das Publikum mit ihm im Duett die Zeilen „god only knows what I would be without you“, für mich der Höhepunkt des Abends. Knútur, seine Musik, sein Witz, sein Charme und seine unglaubliche Präsenz machen diesen Abend zu etwas wirklich besonderem. Ein Wahnsinnstyp. Enttäuscht wurde ich ganz und gar nicht. Was mir gesagt wurde, stimmt. Den ehrlichsten und schönsten Satz des Abends hebt er sich für den Schluss auf: „I just walk around the earth and bring joy.“ Und das tut er, joy bringen. Wirklich. Sauber. Wirklich sauber!

Svavar Knutur

Foto: Steffen Schmid

9 Gedanken zu „SVAVAR KNÚTUR, 03.10.2012, Café Galao, Stuttgart

  • 5. Oktober 2012 um 07:41 Uhr
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    Das war eines der allerbesten Konzerte in meinem Leben! Und der Bericht ist ebenfalls ganz großes Kino. Alles supersauber!

  • 5. Oktober 2012 um 08:04 Uhr
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    Brilliant, David! Dein Artikel ist genau so intensiv wie das Konzert. Besser hätte man’s nicht schreiben können.

  • 5. Oktober 2012 um 12:09 Uhr
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    Schön, die zweite Gänsehaut!

  • 7. Oktober 2012 um 04:31 Uhr
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    Ein wunderbares Erlebnis und der Artikel bringt es auf den Punkt.

  • 11. Oktober 2012 um 22:29 Uhr
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    Schön, wenn man das alles noch mal nacherleben kann. Der fehlt mir schon, der Svavar, Mensch. Der soll mal schnell wiederkommen ins Galao, am besten als Resident, jeden Montag, Mittwoch und Freitag und zwischendrin auch kurz.

  • 13. Oktober 2012 um 21:33 Uhr
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    ich tät auch nochmal kommen …

  • 16. Oktober 2012 um 11:04 Uhr
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    ich war schon traurig als ich nur daran dachte das Konzert zu verpassen. Aber nun bin ich schwerst deprimiert nach diesem Text, der so gut geschrieben ist als wär man dann doch da…nur eben ohne Musik und aktuell ohne Bier! Ich muss ihm gleich schreiben dass er doch ganz bald nochmal joy bringen muss! Nur der Dänenhass muss nochmal ausdiskutiert werden!

  • 4. November 2012 um 17:31 Uhr
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    Seufz… hach, war das schön!

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