ELECTRIC WIZARD, KADAVAR, 08.08.2012, Universum, Stuttgart

Electric Wizard

Foto: Steffen Schmid

Electric Wizard sind der B-Movie unter den Bands. Urgewaltig, atmosphärisch, stilsicher, provokant. Man nehme nur mal den Titel der neuen Electric Wizard-EP „Legalise Drugs and Murder“. Auf einer dieser Beamer-Projektionen, die es seit einiger Zeit in den Stuttgarter U-Bahn-Stationen gibt, steht schon über Texte von Sabaton, sie seinen „streitbar“. Was soll man dann über diesen Titel sagen? Geht gar nicht? Kindische Provokation? Ja, schon. Aber eigentlich kann man es damit nur genauso halten, wie Slayers (katholischer) Leadsanger Tom Araya mit deren Albumtitel „God Hates Us All“:

God doesn’t hate. It’s just a great fucking title. I wanted to make that an album-title. I was like: God, that’s really fucking good. This is really going to piss people off.

Electric Wizard sind der B-Movie unter den Bands. Provokant, urgewaltig, atmosphärisch, stilsicher. In diesem ästhetischen Bereich ist so eine Textzeile einfach zu gut, um nicht verwendet zu werden, so wie manche Bilder einfach erschaffen werden müssen. Die Musik der vier Briten will mit ihrer Orientierung an den Klassikern des Horrorfilms aus den 70er Jahren auch nicht richtig in eine der naheliegenden musikalischen Schubladen Sludge, Stoner oder Doom Metal passen. Die krassen Bilder der Filme werden einfach in Sound gemeißelt. So entsteht etwas Eigenes, das zugleich unbedingte Kopie und Originalschöpfung ist.

Kadavar

Foto: Steffen Schmid

Mehr Kopie bekommt selbst die Vorband Kadavar nicht in ihrer Musik unter. Und auch nicht mehr Originalität, obwohl man kaum mehr nach Black Sabbath klingen kann. Statt von den offensichtlich mit Leib und Seele verehrten 70er Jahren abzuweichen, werden sie einfach überboten: Es gibt mehr Tempowechsel, mehr Soli, mehr Licks, mehr Soundeffekte, mehr abgedrehte Ideen und mehr Druck. „Krass“, „Hammer“ oder auch „wegen euch sind wir da“, hört man als Zwischenrufe aus dem Publikum, das gut mitgeht und hier in den vorderen Reihen einen auffällig hohen Mädchenanteil aufweist. Kadavar bietet eben viel: vom wohlgeformten Oberkörper des Schlagzeugers („Tiger“) über die Details, wie ein Bassschlüssel-Tattoo auf der Hand des Bassisten („Mammut“), zum Puschelbart des Sängers und Gitarristen („Lindemann“ – was ist ein Lindemann?). Und natürlich der Klang. Hier wird sehr viel Augenmerk auf Originalequipment gelegt. Nur so bekommt man auch den richtigen Retro-Sound.

Electric Wizard

Foto: Steffen Schmid

So viel 70er bekommen nicht mal Electric Wizard in ihrer Musik unter. Trotz der auch hier gepflegten Arbeit mit Originalequipment – zumindest im Studio. Obwohl sie ja in einem Punkt exakter sind als Kadavar. Denn woran erkennt man sofort, dass Kadavar keine 70er Band sind? Richtig: An den Karottenjeans. So etwas gibt es bei Electric Wizard nicht. Da haben alle Hosen einen extremen Schlag. Seit dem Ausstieg von Tas Danazoglou sind die Tattoos hier zwar nicht mehr so spektakulär, dafür sieht Liz Buckingham – dank weniger heroin chic – besser aus denn je. Sogar bei Jus Oburn wird auf die Figur geschaut, wenn sie auch ganz anderer Natur ist als bei Tiger: „Das ist der erotischste dicke Mann der Welt“, sagt ein Mädchen neben mir. Doch zurück zum Sound:

Electric Wizard sind der B-Movie unter den Bands. Stilsicher, provokant, urgewaltig, atmosphärisch. Und insofern sind sie auch das Hörspiel unter den Horrorfilmen. Wenn man klingen will wie Black Sabbath, ist das nicht schwierig. Aber wie schafft man es, wie ein Horrorfilm zu klingen? Indem man sich an The Goblin hängt, Dario Argentos Haus- und Hoflieferanten für Soundtracks? Das könnte man machen. Aber Electric Wizard gehen den schwereren und letztendlich originelleren Weg: Sie zeichnen akustisch nach, was ein Horrorfilm zeigt. Und wenn man sich da so ansieht, welche Filme in der ausgedehnten Beschreibung der einzelnen Alben im englischen Wikipedia genannt werden, weiß man auch, was einen musikalisch erwarten wird. Es sind keine der aktuellen hektisch geschnittenen Streifen darunter. Filme wie „The Devil Rides Out“ oder „Living Dead at The Manchester Morgue“ sind langsam und atmosphärisch und gegebenenfalls auch brutal. Da werden Bilder und Stimmungen langsam aufgebaut und gegebenenfalls – in wörtlichem oder übertragenem Sinne – mit dem Holzknüppel zum bleibenden Eindruck verstärkt.

Electric Wizard

Foto: Steffen Schmid

Und so funktioniert das hier auch musikalisch. Was uns Electric Wizard heute bieten, ist nicht hektisch oder extrem abwechslungsreich. Es ist atmosphärisch. Und es ist langsam. Das Eröffnungsstück „Supercoven“ gibt da gleich die Marschrichtung vor: Jus schlägt einzelne Akkorde an und geht mit dem ganzen Körper mit, als würde er so den druckvollen Sustain aufbauen, durch welchen sich das Stück wie eigentlich alle Werke der Band zu einem dichten Klangteppich verbinden, der atmosphärisch und niederdrückend ist, wie die Szenen aus den zitierten Filmen. Liz und ein wenig auch der neue Bassist Glenn Charman tun es ihm mit ihrem Einsatz gleich. Die über weite Strecken konstanten Strukturen und die stampfenden Drums des ebenfalls neuen Simon Poole haben etwas fast Hypnotisches an sich, in das sich schnell auch das Publikum ergibt: Das Universum ist ein Raum voller sich bangend in den schweren Rhythmus ergebender Leiber. Alle Stücke sind lang und bis auf eines – das als Finale gespielte „Funeralopolis“ – gleichermaßen schleppend wie eine Horde Zombies (nicht vergessen: Zombies sind langsam). Dieser gesamte Charakter der Musik und der seit „We Live“ bedrückt wirkende Gesang mit all den Horrorfilmanspielungen in den Lyrics verdichten sich auch während des Auftritts in meinem Kopf immer wieder zu Bildern aus Filmen wie „The Night Of The Seagulls“ oder „City Of The Living Dead“ – letzterer natürlich vor allem bei „Dunwich“, das wir heute leider nicht hören. Die Musik hat dieselbe Stimmung, wie diese alten Filme, ohne auch nur im Entferntesten ähnlich zu klingen.

Ich sag’s ja: Electric Wizard sind der B-Movie unter den Bands. Atmosphärisch, stilsicher, provokant, urgewaltig. Es kann ja keinen geileren Sound geben, als diese ins Extrem verzerrten Gitarren, die bei voller Lautstärke gar nicht einen gleichbleibenden Sound erzeugt, sondern irgendwie auseinanderbrechen wie der Klang einer riesenhaften Maschine mit Fehlzündungen. Und da liegt auch die ungeheuerliche Kraft dieser Band, deren Fans ganz zu Recht dieses „our witchcult grows“ aus „Witchcult Today“ mitsingen: Stimmung und Atmosphäre eines Horrorfilmes einzufangen ist eine Sache. Aber den Schrecken der Bilder nachzumalen, gelingt nur in dieser Klangfarbe. Und dieser Lautstärke. Und dann geht eben auch alles: der Aufruf zur „Black Mass“ und den „Satanic Rites of Drugula“, es geht der Titelsong der neuen EP und natürlich „The Chosen Few“, worin es heißt:

hail covens this is it
a 1000 amps toll the end time riff […]
take up a knife end all life
legalise drugs and murder

Electric Wizard

Foto: Steffen Schmid

Electric Wizard

Kadavar

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