BON IVER, SAM AMIDON, 31.07.2012, Freilichtbühne Killesberg, Stuttgart

Bon Iver

Foto: Steffen Schmid

Was heute Abend mit Tausenden begeisterten und euphorisierten Menschen, die aus dem Killesberger Höhenpark strömen, endet, begann vor knapp fünf Jahren in den Wäldern von Wisconsin. Justin DeYarmond Edison Vernon zieht sich, nach einer Bandauflösung und Trennung, für den Winter zurück in die Nähe seines Heimatortes. In die väterliche Hütte. Irgendwo im Wald in Wisconsin. Ohne vorherige Absicht dazu, nimmt er Songs für mindestens ein Album auf. Später veröffentlicht er ein Teil dieser auf dem ersten Bon Iver Album „For Emma, Forever Ago“.

Inzwischen wurden in Milwaukee und Eau Claire in Wisconsin Bon Iver-Tage eingeführt und die Band mit gleich zwei Grammys ausgezeichnet. Mit ihrem zweiten Album „Bon Iver, Bon Iver“ im Gepäck macht Justin Vernon mit Bon Iver diesen Sommer auch in Stuttgart Halt.

Und das obwohl so viele immer das Gefühl haben, in Stuttgart wäre nichts los, vor allem was Konzerte anbelangt. Und dann ist ja grade auch noch das Sommerloch. Trotzdem kommt Bon Iver, neben Hamburg und Köln, für das einzige Konzert im Süden Deutschlands nach Stuttgart. Und wenn Bon Iver nach Stuttgart kommt, wollen das natürlich auch einige sehen. Genauer gesagt knapp 3500 zahlende Zuschauer, nicht wenig Zaun- bzw. Parkgäste, die zufällig oder geplant im Park liegend zuhören und sogar der, dieses Jahr so viel gescholtene, Sommer, der sich heute von seiner besten Seite zeigt.

Bon Iver

Foto: Steffen Schmid

Alles in allem ein Publikum wie es bunter nicht seien könnte; von alt bis jung, von Musik-Nerd bis Gelegenheitstäter, von Titus Verkäufer bis Mata Hari Bedienung, von Pärchentänzer bis Rudelmensch, von Undercutträger bis Cordhosenfetischist, von Musiker bis Rhythmuslegastheniker, alle sind da. Gekommen aus allen Himmelsrichtungen. Und so wird Stuttgart doch hin und wieder zum musikalischen Zentrum, von zumindest Süddeutschland und zumindest für einen Abend. Und das alles wegen einer Hütte im Wald.

Den Abend aber eröffnet Sam Amidon. Um 19.30 Uhr. Denkste… Kurz nach sieben, noch im Höhenpark liegend, nehme ich die ersten Akkorde war. Soundcheck? Dafür geht’s dann aber irgendwann zu lange und ich versuche schnell auf’s Gelände zu kommen. Weil sich das mehr Leute denken, klappt das nicht so richtig. Ungeschickt für den Künstler und die Zuschauer, früher als angekündigt anzufangen. Die letzten fünf Lieder bekomm ich trotzdem noch mit.

Die meisten ’seiner‘ Lieder schreibt Sam Amidon nicht selber. Trotzdem sind sie keine Cover, sagt er. Es sind Traditionals. Im Unterschied dazu sind sie nicht das Produkt einer einzelnen Person, sondern das im Laufe der Jahre durch Weitergabe und Überlieferung gewachsene Produkt sehr vieler Menschen. Das aktuellste Glied in dieser Kette ist eben er, Sam Amidon. Auf der Bühne dann noch unterstützt von Geige und Blasinstrumenten. Eine durchweg gute musikalische Leistung die aber im allgemeinen Kampf um ein kühles Bier, ein sauberes Dixi-Klo oder den besten Platz ein wenig unter geht. Hätte aber auf jeden Fall Potenzial zu mehr und die Aufmerksamkeit verdient.

Während dem Umbau sticht mir zum ersten Mal die Bühne ins Auge; herunter hängende braune Stofffetzen und sehr viele grünliche Glühlampen. Schon im hellen erinnert das ehr an Unterwasser Szenen in Musicals als an die Bühnendeko bei Großkonzerten. Der Rest der Kulisse, die Freilichtbühne Killesberg, ist natürlich gigantisch.

Bon Iver

Foto: Steffen Schmid

Justin Vernon ist, fünf Jahre nach den Anfängen, schon lange nicht mehr alleine unterwegs und Bon Iver ist mittlerweile neun Mann stark. Diese neun, ähnlich bunt wie das Publikum gemischten, Männer betreten um viertel nach acht einfach so die Bühne und legen los. Die Fülle an Instrumenten und Klängen, die sich aber erst im Laufe des Konzertes komplett offenbart, ist bombastisch. Unter Anderem zwei Schlagzeuge, bis zu drei Gitarren, Bass, Synthesizer, Blasinstrumente, darunter ein Bass-Saxofon und natürlich der Gesang von Justin Vernon unterstützt durch bis zu sieben seiner Mitmusiker.

„Perth“ und „Minnesota WI“ machen, wie auch auf dem aktuellen Album, den Anfang. Geredet wird auf der Bühne nicht viel und so soll es auch den restlichen Abend bleiben. Beim Intro zu „Beach“, als die beiden Schlagzeuger zum ersten, und leider einzigen mal, gleichzeitig zeigen, was sie wirklich können, springt der Funke auch bei mir über. Das Doppelschlagzeugsolo sollte nicht das einzige an diesem Abend bleiben. Die meisten Soli sind allerdings kaum in die Lieder integriert und stören somit den Fluss fast ein wenig. Besonders deutlich wir dies vor „Skinny Love“ als Vernon teils in seiner viel gefeierten Kopfstimme und mit viel Vocoder ganz alleine singt. Auch hier fallen, wie des öfteren im Set, kleinere technische Schwierigkeiten auf. Als Vernon fertig ist, setzen die Schlagzeuger mit einem Abschlag ein und starten mit „Skinny Love“. Kurz danach schließt, parallel zum Anfang, nun das letzte Lied des aktuellen Album „Beth/Rest“ das Hauptset ab.

Bon Iver

Foto: Steffen Schmid

Die erste Zugabe ist in diesem Falle ein echtes Cover. „Who Is It“ von Björk wird zu einem der absoluten Highlights des Konzertes. Mit Beatbox und Kastagnetten im Hintergrund und dem unverwechselbaren Gesang von Justin Vernon sorgt es eindeutig für Gänsehaut. Nachdem sich Justin Vernon ausgiebig und unglaublich ehrlich fürs Zuhören bedankt hat entlässt Bon Iver das Publikum mit „The Wolves“ und „For Emma“ wieder in die Realität.

Dieser kann man, für die Dauer des Konzerts, aber nur entfliehen wenn man sich auf Bon Iver einlässt. Bei einem Konzert das, mit seinen Mitsingaufforderungen, Würstchenbudengesprächen und teils zu großen Gesten, hart an der Grenze zum allgemeinen Sommer-Open-Air-Konsens kratzt, ist das nicht immer leicht.

Wer es aber schafft, wird mitgenommen in die geheimnisvolle und womöglich auch unverständliche Welt des Justin Vernon. Dies geschieht auch dank der neun begnadeten Musiker auf der Bühne, die wirklich noch Spaß an der Sache haben und dabei durchaus auch faszinieren.

Bon Iver

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