MARKE MENSCH // KOMÖDIE DER EITELKEIT, 21.07.2012, Gress Friseure, Esslingen

MARKE MENSCH

Foto: Patricia Werries

Nach „Das Bildnis des Dorian Gray“ widmet sich das Freie Ensemble SpielZeugen diesmal der „Komödie der Eitelkeit“ des deutschsprachigen Literatur-Nobelpreis-Trägers Elias Canetti. Eine Gesellschaft, in der Eitelkeit verboten ist – ist das möglich? Und wenn ja, wie wirkt sich dies auf Menschen aus?

Gewohnt ungewohnt – so starten die SpielZeugen auch diesmal ihre Vorstellung: Vor den Spiegeln vier Personen, welche geschminkt und gestylt werden, dazu hört man Musik, die einen ein wenig an den Zirkus erinnert. Es dreht sich alles nur um das Aussehen der Menschen. In der 1932 entstandenen „Komödie der Eitelkeit“ wird dem eine gesellschaftliche Utopie entgegengestellt: Das Verbot von Spiegeln und Bildern soll die Eitelkeit des Einzelnen unterbinden und eine bessere Gesellschaft ermöglichen. Der Aufbruch zur Verwirklichung der Utopie beginnt mit dem ersten Satz des Stückes:

»Und wir, meine Herrschaften, und wir und wir und wir, wir haben etwas vor!«

Doch schon auf dem Weg zur Bilderverbrennung zeigen sich andere Eitelkeiten, denn im Besitz möglichst vieler Fotos zum Verbrennen zu sein, ist ebenfalls Anlass für übermäßigen Stolz.
Ein Schnitt, zehn Jahre später: Aus Zeitungen sind mittlerweile alle Bilder herausgeschnitten worden, alle Spiegel sind verschwunden. „Bilder-Dealer“ treten auf, welche versuchen, den Menschen illegal und zu hohen Preisen Fotos anzubieten. Auf der Straße werden heimlich Blicke in eine winzige Spiegelscherbe verkauft.
Schließlich erkrankt der Machthaber an der „Spiegelkrankheit“: Weil er seit Jahren aufgrund seines fehlenden Spiegelbildes keinerlei Möglichkeit zur Selbstreflexion mehr hat, verfällt er in eine Art Starrkrampf. Erholen kann er sich von dieser Krankheit nur, weil ihm sein Assistent heimlich einen Spiegel vors Gesicht hält. Schließlich befindet sich die Mehrzahl der Bürger im Sanatorium – sie sind verrückt geworden, sind keine Individuuen, kein „Ich“ mehr. Das Stück endet damit, dass den Menschen im Sanatorium seit Jahren zum ersten Mal wieder ein Blick in den Spiegel ermöglicht wird, was ihnen allen psychisch sehr zusetzt.

Johanna Diekmeyer, Bettina Hedrich, Kathrin Röhlich und Magdalena Scharler, die Schauspieler der SpielZeugen spielen sehr emotional, glaubwürdig und auch ein wenig überdreht, was den Zuschauer zu Anfang erst mal ein wenig verwirrt zurücklässt. Doch genau das ist das Ziel der Vorführungen: Die Besucher zum Nachdenken über unsere Gesellschaft anregen.

»Jeder führt eine Ehe mit seinem Spiegelbild.«

Dieser Satz aus dem Stück prägt sich einem besonders ein. Sind wir wirklich nicht fähig, uns über etwas Anderes als unser Aussehen zu definieren? Oder spielt das äußere Erscheinungsbild tatsächlich die so große Rolle, welche ihm die meisten Menschen zugestehen? Ein Leben ohne Spiegel wäre für die meisten von uns unvorstellbar, doch verliert man dadurch wirklich so leicht seine Persönlichkeit?

MARKE MENSCH

Foto: Patricia Werries

Wer die SpielZeugen kennt, weiß, dass sie sich nicht mit „normalen“ Inszenierungen zufrieden geben, ebenso wenig wie mit normalen Vorstellungsorten. Marke Mensch will künstlerisch das untersuchen, was die Identität des modernen Menschen ausmacht, das Konzept lautet dabei aber auch: „Raus aus dem Theatersaal und rein ins wirkliche Leben“. Genau deshalb wird die „Komödie der Eitelkeit“ auch nicht in einem Theaterhaus aufgeführt. Für Regisseurin Sabrina Glas war von Anfang an klar: Sie will einen Friseursalon, einen Ort der Eitelkeiten, als Kulisse. So sitzen das Publikum heute sozusagen in der zweiten Reihe hinter den Friseurstühlen und beobachtet, wie die vier Charakterdarsteller sich – wie sagt man so schön – aufhübschen lassen. Was normal hinter der Bühne geschieht, wird hier also zum Spiel. Was eine alltägliche Form der Eitelkeit ist, wird vorgeführt. Der gewachste Zwirbelbart und die Hutkreation werden dabei herausgeputzt von den Auszubildenden des Friseurbetriebes – Sara Rogulja, Ahmet Sarimehmet, Larissa Schneider, Janina Wulff. Aber sie spielen nicht nur mit: Unter der Leitung der für Konzeption und Ausstattung zuständigen Katrin Wetzel haben sie auch die Frisuren, Kostüme und Masken mit entwickelt, wofür sie nach ihrer regulären Arbeitszeit mit Begeisterung oft noch Stunden ihrer Freizeit geopfert haben.

Die Wahl des Stückes ist diesmal auf die „Komödie der Eitelkeit“ von Elias Canetti gefallen, weil sie wie das zuletzt inszenierte Werk „Dorian Gray“ etwas mit Oberflächlichkeit zu tun hat, „aber in eine andere Richtung geht“. Anders als bei Oscar Wilde geht es bei Canetti nicht bloß um die Eitelkeit ob des eigenen Aussehens, sondern um jede Form der Eitelkeit: bezogen auf Besitz, die eigene Rolle in der Gesellschaft oder die eigenen Intelligenz. Zugleich sollen alle Gesellschaftsschichten dargestellt werden, damit deutlich wird, dass Eitelkeit bei jedem von uns eine Rolle spielt. Durch das Verbot von Spiegeln sollte eigentlich das „Wir“ in der Gesellschaft gefördert werden, jedoch war eine nur noch größere Ich-Sucht das Ergebnis, die sich dann im letzten Satz des Stückes spiegelt:

»… und ich und ich und ich und ich!«

Eine Hauptrolle gab es diesmal nicht. Viel wichtiger war Sabrina Glas, jede einzelne Person fast schon karikaturenhaft auf ihre eigene Art und Weise eindrücklich wirken zu lassen. Und es lässt sich nicht bestreiten, dass ihr dies zum wiederholten Male geglückt ist – die Inszenierung der „Komödie der Eitelkeit“ durch die SpielZeugen ist mehr als empfehlenswert.

Weitere Aufführungen:
Montag, 30. Juli
Ort: Gress Friseure, Esslingen, Roßmarkt 13
Kartentelefon: 01 63/6 33 25 64

MARKE MENSCH

Foto: Robert Seidel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.