ÚTIDÚR, 04.07.2012, Café Galao, Stuttgart
Island hat gerade mal gut 300.000 Einwohner, ein Drittel davon lebt in Reykjavik, und die gefühlte Hälfte davon sind international bekannte Musiker. Mit Útidúr versuchen nun acht von diesen, im kuscheligen Galao Platz zu finden.
Eigentlich besteht Útidúr aus zwölf Musikanten, da aber – so berichtet Sänger Gunnar Öre nach dem Konzert – der Gruppenrabatt von Iceland Air nur für acht Personen gilt, musste man für die Sommertour ein paar Mitglieder zu Hause lassen. So müssen wir nicht nur auf weitere Geiger und Bläser, sondern auch auf raumgreifendes Equipment wie den Kontrabass und das Akkordeon verzichten. Für den Abend im Galao ist das auch ganz gut, denn schon so ist die Bühne mit einem Stage-Piano, Schlagzeug, Bass, Trompete, großformatigen Verstärkern und Ersatzinstrumenten komplett vollgestopft. Sängerin, Geigerin, und Gitarristen finden nur noch im Zuschauerraum Platz. Jeder Instrumentenwechsel ist eine Übung in 3D-Tetris uns sorgt für Erheiterung.
Útidúr haben gerade eine vierwöchige Kanada-Tour hinter sich und sind anfangs noch ein wenig müde. Beim ersten Track gehen die feinen Harmonien zwischen Trompete, Geige und Frauenstimme prompt ein wenig schief. Aber die sympathischen Isländer gehen schmunzelnd drüber weg und spielen sich schnell warm.
Dass der Útidúr-Sound nicht ganz so orchestral rüberkommt wie auf ihrem Album, das sie im Studio von Sigur Ros aufgenommen haben, lässt sich leicht verschmerzen. Es ist auch in der kleinen Besetzung opulent, was sie da produzieren: Breitband-Kino für die Ohren, Soundtrack für melancholische Filme. Kaurismäki lässt grüßen. Auch die immer wieder bemühten Vergleiche mit Beirut und Calexico kann man gelten lassen. Auf jeden Fall ist das Ganze vielfältig und überraschend. Gesungen wird in englisch und isländisch. Und mit zunehmenden Verlauf drehen Útidúr immer mehr auf.
Spielen sie in der ersten Hälfte des Konzerts noch eher die ruhigen Titel ihres Erstlings-Werks „This Mess We’ve Made“ wie zum Beispiel „Ballaðan„, wird es später immer flotter. Kein Titel ohne vielfältige Rhythmus- und Harmoniewechsel, da gibt’s musikalische Abwechslung satt. Vom Walzer über Mariachi-Trompeten bis zu Afro-Gitarren-Pop. Und absolut prägend: Gunnar Örns Gesang, der immer wieder an den formidablen Crooner Jay Jay Johanson erinnert. „This Mess„, „Up & Down“ und „The Glow / Retreat“ haben absolute Hit-Qualitäten und könnten ein etwas mutigeres Publikum durchaus zum Mitsingen animieren.
Geradezu tanzbar ist der neue Útidúr-Sound, der demnächst auf einem zweiten Album zu finden sein soll. Wenn sie nicht, wie Gunnar erzählt, die Titel auf der Suche nach einem immer besseren Sound, permanent neu aufnehmen würden, wäre es schon längst fertig. Jetzt verbringen Sie die restlichen Sommerferien jedenfalls noch auf Tour durch Deutschland und England. Im Herbst, wenn sie wieder ihre Studien und Ausbildungen fortsetzen – ja, Útidúr sind wirklich jung, der jüngste gerademal zarte achtzehn – soll das lang erwartete Album fertig sein.
Beim diesjährigen Iceland Airwaves Festival sind Útidúr zwar nicht im Lineup, aber nach dieser Sympathie-Offensive – und nach der Schwärmerei der anwesenden Island-Kenner – bekommt man ganz gewaltig Lust, das hochkarätige Festival auf der Wikinger-Insel zu besuchen.
ein musikalisch sehr abwechslungsreiches Konzert einer sehr sympathischen Band. Ihr Album läuft seither auf heavy rotation!
Thomas, das geht mir genauso: das Geld für die CD war gut angelegt. Gute Laune auf Knopfdruck – das kann man schon manchmal brauchen. ;)
Mist, ich war krank. Sonst wär ich gern selbst dagewesen. Schade, dass sie nicht auf dem Airwaves spielen. Gelungener Text auch.
Danke Carsten. Freut mich, dass ich dich angemessen vertreten konnte.
ich hatte ne sitzung und konnte nicht – und wollte so gern. danke für den text und das miterleben lassen … cd: haben will ;-)