DEINE LAKAIEN, 18.05.2012, Liederhalle, Stuttgart
Sie sind immer von einer besonderen musikalischen und emotionalen Qualität, diese Deine Lakaien-Konzerte. Abgesehen aber von dieser Gemeinsamkeit sind sie sehr unterschiedlich. Mal präsentiert sich der Dark Wave Avantgarde Pop wie auf Platte im experimentellen elektronischen Soundgewand, mal akustisch – und in beiden Fällen mal mit mehr, mal mit weniger Musikern.
Auf der letzten Tour zum achten Studioalbum „Indicator” gab es Elektronik und Streichinstrumente, nun sind Ernst Horn und Alexander Veljanov also wieder und zum insgesamt fünften Mal akustisch unterwegs. Am Freitag treffe ich sie in meiner seit dem Live-Album „Acoustic“ bevorzugten Minimalbesetzung – präpariertes Klavier und Gesang – an.
Durch die Minimierung des Klangs auf ein, wenn auch verfremdetes Instrument gewinnen Deine Lakaien etwas Unmittelbares. Es steht nichts mehr zwischen dem Hörer und den Stücken. Vor allem kann sich die volle, tiefe und warme Stimme von Alexander Veljanov frei in den Raum ergießen. Er ist vielleicht nicht ganz auf der Höhe heute, aber dennoch ist es vor allem diese Stimme, welche emotional anrührt.
Demgegenüber spricht das Klavier Gefühle und Intellekt gleichermaßen an. Man kann gebannt auf den kompositorischen Ideenreichtum und die spielerischen Feinheiten von Ernst Horn achten oder sich von den unerbittlichen Crescendi aufpeitschen lassen. Die auf John Cage zurückgehende Idee, den Klang eines Flügels durch auf die Saiten gestellte Flaschen, eingeklemmte Hölzchen, Gummis et cetera zu manipulieren und das Instrument zugleich nicht nur über die Tasten zu spielen, sondern die Seiten direkt anzuschlagen oder zu zupfen, kommt einem Klangkünstler wie Ernst Horn natürlich zu pass. Zunächst sind da die normalen Mittel: das Aufbauen zarter Melodien in piano, plötzlich einsetzendes Forte, große Intervalle zwischen den satten Akkorden und den hohen, teilweise schneidenden Melodien sowie Tempowechsel. Aber das Klavier wird nicht nur in Akkorden und Einzeltönen gespielt, sondern auch mit der flachen Hand oder dem Unterarm angeschlagen. Und dann kommen die Flaschen, welche auf den Saiten des Klavieres klirren oder als Bottleneck eingesetzt werden, das Zupfen mit den Fingern oder Stöcken und schließlich die radikale Methode: mit dem Drumstick direkt auf die Saiten. Das ist dann nicht mehr fortefortissimo, denn so sehr könnte keiner in die Tasten greifen.
Zunächst aber wird es so still im Saal – die Aufmerksamkeit des Publikums angesichts der leisen Melodien, die Ernst Horn seinem Instrument entrückt, ist so gespannt – dass man das Klicken der Spiegelreflexkameras bis in die letzte Reihe hören kann. Entschuldigung, aber ohne das wäre unsere Fotogalerie ganz schön leer … Die Stille, mit welcher das Publikum zwischen dem lautstarken Applaus auf Deine Lakaien reagiert, ist aber auch die einzige Möglichkeit, sich dieser Musik ganz zu öffnen – sonst würde hier tatsächlich stimmen, was ich in einer Persiflage auf das „Thick As A Brick“-Plattencover in meinen Ian Anderson-Bericht geschrieben habe: Die feine emotionale Textur würde zerreißen. So legt sie sich wie ein Schleier über uns.
Aus dem melancholischen Melodien und der Dunkelheit der Texte taucht etwas Innerliches auf, etwas Altes. Für diese Musik ist dieser Saal jedoch schon zu groß und sicherlich auch zu voll, wo sich doch so viele der Texte um Verlassenheit und Einsamkeit drehen. Melancholie ist keine Emotion für große Gruppen. Einmal schließe ich die Augen und habe das Gefühl, der ganze Raum würde in mich zusammen schrumpfen. Eine solche solipsistische Wahnvorstellung funktioniert aber auch nur bei diesem Soundtrack. Zugleich sind Deine Lakaien immer ein Wechselbad der Gefühle, denn, sich über die Songauswahl zu freuen und von der Musik begeistert zu sein, holt einen immer wieder ins Dämmerlicht der Live-Performance zurück.
Ein bisschen habe ich den Eindruck, dass sich an diesem Abend die ruhigen Stücke verdichten, je weiter die Show voranschreitet, so wie sie im der Bandgeschichte einen immer größeren Raum eingenommen haben. Selbst Alexander Veljanov betont: „Ihr mögt es eben romantisch“. So wird bei aller musikalischen die emotionale Qualität immer wichtiger. Wer diesen Eindruck zuhause nachempfinden will, kann es ja mal mit folgender Playlist probieren: „Where You Are“ – „Second Sun“ – „Who’ll Save The World“ – „The Game“ – „Follow Me“ – „One Night“ – „A Fish Called Prince“ – „The Mirror Man“ – „Return“ – „Gone“ – „Without Your Words“ – „Fighting The Green“ – „Vivre“ – „Over And Done“ – „Away“ – „Blue Heart“ – „Dark Star“ – „Bei Nacht“ – „Wunderbar“ – „Love Me To The End“.
So ungefähr bei „Gone“ fällt mir ein, dass es immer schon schwierig war, nach Deine Lakaien – wenn man an einem Abend erst einmal damit angefangen hat – etwas anderes zu hören als Deine Lakaien. Weil sie sich wie Bänder ums Herz legen. Und so verstrickt man sich eben im schmerzhaften „Away“, verläuft sich in „Wunderbar“, dem schönsten Song überhaupt, und schneidet sich schließlich am ultimativen Liebeslied „Love Me To The End“.
this night forever
no morning will come
love me,
love me to the end
Danach kann man wirklich nichts anderes mehr hören. Auch nicht von Deine Lakaien.