DIETER MEIER mit OUT OF CHAOS, 05.05.2012, ZKM, Karlsruhe
Wenn es darum geht, ein Best-of der Kultureinrichtungen Baden-Württembergs zusammenzustellen, wird es nicht viele geben, die es wagen könnten, dem ZKM das Wasser zu reichen.
Schon die Eröffnung im Herbst 1997 war ein kultureller Paukenschlag. Kraftwerk gaben eines ihrer damals mehr als raren Konzerte. Das Zentrum für Kunst-und Medientechnolgie machte sofort deutlich, dass es sich als die neue Speerspitze von Innovationen versteht.
Ich habe über die Jahre einige der Wechselausstellungen besucht. Ich möchte nicht behaupten, dass ich alle verstanden habe, schließlich kenne ich die Grenzen meines Intellekts, und wir haben uns beide sehr gut arrangiert. Aber eines war ich nach jedem Besuch in Karlsruhe: inspiriert. Die Veranstaltungen und Ausstellungen sind immer ein „kick in the ass“ seine eigenen Arbeiten voranzutreiben.
Vor einigen Wochen starteten wir mal wieder einen klassischen Sonntagsausflug mit den Kindern ins ZKM und das erste, das mir beim Gang auf die Eingangstüre auffiel, war die Ankündigung einer Ausstellung über das Werk von Dieter Meier. Ja, der Dieter Meier von Yello, den ich mit 15 in mein Teenagerherz schloss und stolz im damaligen Musik-Markt im Bietigheimer Aurain alles auf Vinyl kaufte, was es von den Schweizern gab.
„Claro que si“ und natürlich „You gotta say yes to another excess“, das waren meine Liebligs-Yello-Alben und als sie dann für einige Jahre richtig groß und berühmt waren, habe ich sie nicht mehr ganz so intensiv verfolgt. Doch jeder hat ja so ein paar Musiker, die in der ganz privaten Champions League spielen. Bei mir sind das Künstler wie David Sylvian, Holger Czukay, Ryuichi Sakamoto, David Byrne oder Mark Hollis, aber eben auch Dieter Meier. Denn sie waren und sind immer bestrebt ihre Musik als einen Teil des großen Ganzen zu sehen und Grenzen zu anderen Kunstformen zu überschreiten oder gar neu zu definieren.
Und als ich nun eher zufällig davon erfuhr, dass noch bis August das Lebenswerk von Meier in Karlsruhe gezeigt wird, fiel mir auf, dass er einer der ganz wenigen meiner Lieblingskünstler ist, die ich nie live gesehen habe.
Mittlerweile stand ich direkt vor dem Ausstellungsplakat und traute meinen Augen nicht, denn da stand die Ankündigung eines Konzertes von ihm mit der Band „Out of Chaos“ am 5. Mai. Ich weiß zwar zu gut was Chaos ist, aber mit „Out of Chaos“ hatte ich bisher nichts zu tun. Ich ging stechenden Schrittes auf die Infotheke im ZKM zu und fragte, beinahe schüchtern, nach Eintrittskarten für das sehr exklusive Konzert, denn ich war mir sicher, dafür kann es keine Tickets mehr geben. Doch es gab noch Karten und auf meine Frage nach dem Preis sagte die freundliche Dame „Au, die sin deuer…“ Dass es bestimmt dreistellig werden würde, damit hatte ich mich schon abgefunden und gedanklich bereits die Kreditkarte gezückt. Und die Dame wiederholte „Die sin richdig deuer. 25 Euro!“ Mein Erstaunen über dieses Schnäppchen konnte die Dame nicht nachvollziehen, musste sie auch nicht. Ich war im Besitz von 2 Karten, nur das zählte!
Einige Wochen später stand ich also tatsächlich mit 350 anderen Besuchern im Konzertsaal des ZKM und man spürte bei ganz vielen das Prickeln „endlich mal Dieter Meier zu sehen“ und ich glaube, dass außer meinem alten Bekannten Marko, der sich nach dem Konzert nicht sicher war, ob jetzt zuviel oder zuwenig von Yello gespielt wurde, sich alle einig waren, Zeuge eines besonderen Abends geworden zu sein. Es war so großartig, dass man sich vielleicht noch etwas kritischer überlegen sollte, zu welchen Veranstaltungen man geht, denn irgend etwas Spannendes gibt es fast jeden Tag.
Ich möchte aus einem Konzert mit einem Lächeln im Gesicht heim gehen, weil es der Band wichtig war, ihrem Publikum etwas mit auf den Weg zu geben, und nicht wie etwa bei den Kings of Leon beim Southside 2009. Die hatten überhaupt keinen Bock zu spielen, ignorierten ihr Publikum, und seither habe ich mit der Band weitestgehend abgeschlossen. Mittelstürmer müssen Tore schießen wollen und Künstler müssen mich begeistern oder bewegen wollen. Sonst kann ich auch zuhause bleiben.
Und genau das gelang Dieter Meier mit seinen fünf hochkarätigen Musikern. Meier, mittlerweile 67 Jahre alt, ist ein ganz großer Erzähler. Und so war der Abend voller Anekdoten seines Werdegangs. Von seiner frühen Karriere als Pokerspieler, über den Kauf seiner ersten Gitarre und der Bekanntschaft mit Boris Blank, dem musikalischen Kopf bei Yello.
Und dazwischen gab es Musik, handgemachte Musik, mit viel Herz und Zwischentönen aus Piano, Schlagzeug, Kontrabass, Gitarre und Geige. Ich kannte bis auf die wenigen Yello-Stücke nichts davon, aber da war sofort so eine Vertrautheit mit den Rhythmen und der Musik da, dass man sich einfach fallen lassen konnte, ein bisschen bewegen und schwelgen. Und textlich ging es, wie Meier es formulierte, um die Dinge, die in der griechischen Mythologie bereits ausgiebig erzählt wurden und seither immer wieder wiederholt werden. „I know she is dangerous, I know I should stay away…“
Da der Tag nicht nur aus einem bezaubernden Konzert am Abend bestand, sondern bereits mit einem anderen Highlight begann, hier das Geschehen des 5.Mai 2012 in seiner Gesamtheit. Am Morgen hatte ich ein Fußballturnier in meiner alten Schule. Jährlich treffen sich ehemalige Abijahrgänge und spielen, als ob es um das letzte EM-Ticket mit Jogis Jungs ginge. Mein Jahrgang bereitet sich momentan mental auf das 25-jährige Abitreffen vor und wir sind mit Abstand die Rentner bei diesem Turnier. Gleich das erste Spiel war gegen den Abijahrgang 2003, immerhin 16 Jahre jünger und mehrmaliger Turniersieger. Erst in der letzten Sekunde mussten wir den 3:3 Ausgleich hinnehmen, dann noch mal ein Unentschieden und 2 knappe Niederlagen. Aber wir hatten uns wacker geschlagen, dabei sein ist alles.
Weiter ging es, dass ich um 17.00 Uhr meinen Bruder und meine Schwägerin abholte, die beide erst vor kurzem ihren 50. Geburtstag feierten. Das Geschenk meiner Familie war ein Überraschungsabend für die beiden. Denn, gig-blog sei dank, war ich mittlerweile akkreditiert und konnte frei über die beiden gekauften Tickets verfügen. Also fuhren wir einfach mal los.
Ich hatte mich Tage vorher verplappert und sie wussten, dass wir zu einem Konzert fahren würden. In Stuttgart gab es an dem Abend NKOTBSB, Bushido und Zaz, und bei allen Dreien waren sie skeptisch, ob ich sie dahin entführen würde. Bei jeder Autobahnausfahrt bis Karlsruhe brodelte im Auto die Gerüchteküche. Ten Years After in Heimsheim? Golden Earring in Neuenbürg? Ich fuhr einfach unbeeindruckt bis Karlsruhe-Durlach weiter.
Als wir dann nach Karlsruhe einbogen und dem ZKM immer näher kamen, ahnten sie zwar die Endstation, aber immer noch nicht, wer sie da erwarten würde, und als ich schliesslich das Geheimnis lüftete, sah ich ein ehrliches, überraschten Lächeln in ihrem Gesicht und war glücklich. Den Geschenkkorb und die Stützstrümpfe gibt es dann zum 60. Geburtstag.
Ein befreundeter Journalist lässt in seine Texte gerne Zitate einfliessen, und würde er mich zwingen, dies auch zu tun, so würde ich mit Lou Reed enden wollen „Oh, it´s such a perfect day…“
Danke für diesen Satz: „Mittelstürmer müssen Tore schießen wollen und Künstler müssen mich begeistern oder bewegen wollen. Sonst kann ich auch zuhause bleiben.“ Könnte als Motto über dem Gig-Blog stehen.
Bin mir immer noch nicht sicher…