GREAT LAKE SWIMMERS, BARZIN, 22.04.2012, Kulturschranne, Dachau
Nach zweieinhalbjähriger Abstinenz haben es die Kanadier Great Lake Swimmers nun zum Glück und Gott sei Dank endlich mal wieder in die Nähe von Stuttgart geschafft. Zu wünschen bleibt da nicht mehr viel übrig. Gespannt warten wir auf eine Show, von der wir im Vorfeld schon wissen, dass es sehr, sehr schön werden wird. Also auf zur Kulturschranne nach Dachau. 2 ½ Stunden Fahrt. Highway to heaven würde ich sagen.
Angekommen erstaunt es einen ein wenig, die komplette Band beim etwas unbackstageartigen Abendessen anzutreffen. Sehr feine, vielleicht ein wenig zu stylische Einrichtung – aber dafür Rinderfilet für 14 Euro. Das braucht man nicht, wir sind ja in Bayern. Also ein Helles bitte, und warten. Ich gehe die Stufen zur „Kleinkunstbühne“ empor und wundere mich schon, dass da nur ein paar Menschen sitzen. Einige könnten meine Großeltern oder Eltern oder auch teilweise verstorbene Tanten sein. Und da sind wir Jungen. Generationsübergreifende Musik also.
Wie immer sind wir zu früh da, und zu schnell widmen wir uns dem Bier. Egal. Pünktlich um 20 Uhr stehen zwei wunderschöne Menschen einen Meter vor mir auf der doch sehr kleinen Bühne. Männchen und Weibchen. Akustische Gitarre, E-Gitarre unverzerrt, Gesang und Gesang. Das sind nicht die Great Lake Swimmers! Vorband, Barzin … Juhu oder naja … mal sehn. Erste Töne: Ich will schmelzen. Erster Gedanke: Liebe! Sehr viel Liebe! Ich würde gerne die singende und gleichzeitig E-Gitarre spielende Suzanne Hancock heiraten und mit ihr nach Kanada ziehen, um dort in einer kleinen Blockhütte im Wald ganz viel tolle Musik aufzunehmen. JA! Solche Gedanken ruft diese Musik hervor. Ein bisschen Iron and Wine, ein bisschen Belle and Sebastian und wieder ganz viele gebrochene Herzen und Fragen und lange nächtliche Autofahrten. Man kennt es, man liebt es. Sie spielen eine gute halbe Stunde und geben auch noch einige Coversongs von Songs: Ohia zum Besten. Mein Wunsch, diese Frau zu heiraten, wird übrigens nicht kleiner …
Vorband Ende, Great Lake Swimmers beginnen!
Tony Dekker und seine Mitmusiker drücken sich durch die inzwischen 100 (!) Besucher auf die kleine Bühne. Sehr, sehr fein. Akustische Gitarre, E-Gitarre, Kontrabass, Drums und Fidel (mit nächster potenzieller Ehefrau als Spielerin).
Wir sind gespannt. Tony Dekker packt seine wundervolle Stimme aus, und die Band klingt nach Harmonie. Pure Schönheit in Form von Klang. Country, Singer/ Songwriter, Folk, Folk-Rock? Drauf geschissen. Diese Band spielt Musik in Perfektion. Der erste Songblock beinhaltet hauptsächlich Songs vom neuen Album „New Wild Everywhere“. Brillant umgesetzt, vorzüglich gespielt. Kurze charmante Ansagen, kein dummes Gerede von der Bühne aus … so wünsch’ ich mir das.
Zweiter Block … Akt? Sex? Ja!
Die Band verlässt die Bühne und lässt einen schüchternen Tony Dekker alleine mit der Gitarre stehen. Es folgen vier unheimlich gute Songs. Alles Lieder von älteren Alben. Wundervoll. Dieser Mensch hat eine Stimme aus Gold. Er singt, und dein Herz verlangsamt sich automatisch um sehr, sehr viele Schläge. Plötzlich denkst du an deine verflossene Liebe, vielleicht die Eine. Du denkst und fühlst, und er tut es auch. Tony Dekker fühlt es ja so sehr. Bei diesem ganzen Fühlen ist es ihm wahrscheinlich auch egal, dass er ab und an vergisst in das Mikrofon zu singen, man hört ihn ja trotzdem. Was für eine Wonne. Was für eine Hingabe. Lyrics. Melodien. Und da kommt sie wieder … LIEBE! Es kann natürlich auch am Bier liegen oder am chronisch gebrochenen Herzen, aber ich liebe diese Band, den Sound, den Inhalt.
Letzter Block/Akt.
Die Great Lake Swimmers drücken sich wieder auf die Bühne, vorbei am Publikum. Sie spielen! Und wie sie spielen. Ich wünsche mir, dass diese Band niemals aufhört zu spielen. Da kann ich sogar über die dümmliche iPhone-Tante neben mir hinwegsehen und meinem Herzen beim Hüpfen lauschen. Das Konzert ist zu Ende. Natürlich gab es eine Zugabe, die angekündigt war – es gab nun mal keinen Platz um locker, lässig Backstage zu verschwinden und wieder zu kommen. Macht alles nur noch viel familiärer und intimer.
Die Band scheut sich nicht, sich nach dem Konzert blicken zu lassen: Autogramme geben, Smalltalk, Photos. Sehr, sehr nette Menschen. Sehr nette Musik. Ich werde auf jeden Fall wieder und wieder Alben kaufen und Konzerte besuchen. Bei einem derart durch Musik gerettetem Seelenheil ist auch die 2 ½ stündige Heimfahrt schön. Natürlich mit den Great Lake Swimmers im CD-Schacht.
Ach so, fast hätte ich es vergessen: Keine der beiden wollte mich heiraten … ich hab’ aber auch nicht gefragt.
Bin ganz überrascht die einzige Konzertkritik hierzu auf meinem „Heimatblog“ zu finden. Das nächste Mal sollten wir vielleicht eine Stuttgarter Fahrgemeinschaft bilden! Auch wenn das musikalische Angebot in Dachau immer mal wieder einen Ausflug wert ist, wäre es allerdings noch toller, wenn so wundervolle Bands wie die Great Lake Swimmers ein bisschen näher kommen könnten. Tony Dekkers Stimme … ein Traum … kleiner Kritikpunkt meinerseits: ich fand die Geige nicht ganz so überzeugend.