LA CASA AZUL, 24.03.2012, Ocho y Medio, Madrid

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Foto: https://confesionestiradoenlapistadebaile.blogspot.de/

Gerne möchte man sich als aufgeklärte Bürgerin der Postmoderne sehen, total säkularisiert und eigentlich eh Agnostikerin, Personenkult und Heldenverehrung voll schlimm, null anfällig für religiöse Verzückung, das ganze Gauck-Ding war ja letztens auch erst wieder so arg.

Praktisch halt, wenn man selber die Regeln macht, weil manchmal ist Heldenverehrung dann doch extrem erlaubt, z.B. im Pop. Guille Milkyway von La Casa Azul ist so ein Kandidat, bei dem Genialität, Ausnahmetalent und Bescheidenheit in dermaßen unfassbarem Ausmaß zusammenkommen, dass man die gestrengen Normen der eigenen Sachlichkeit dann auch gerne mal aussetzen darf zu Gunsten von komplettem Ausrasten. „Guille is our god“ erklärt mir mein junger Co-Fan Luis, der sie mit Sicherheit ansonsten alle beisammen hat, aber wenn’s halt stimmt.

Zwei Abende hintereinander tritt Guille Milkyway aka La Casa Azul im Ocho y Medio in Madrid auf, einem Laden, der tausend Zuschauer fasst und beide Abende komplett ausverkauft ist (der Freitagabend wurde als Zusatzkonzert angesetzt, nachdem für den Samstag im Handumdrehen alle Karten weg waren).

Wir wollen natürlich dabei sein bzw. wir können ja auch emotional gar nicht anders, weil leider fürs seelische Wohlbefinden alternativlos der Trip nach Madrid. Und ist sowieso tausendmal geiler als Börsentermingeschäfte und Goldbarren, wenn man die Euros direkt in den Erwerb von guten Vibes und Band-T-Shirts investiert.

Gerne stehen wir zur unchristlichen Zeit auf und machen uns auf den Weg zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München (irrer Name auch wieder). Eine würdelose Sicherheitskontrolle später sitzen wir im Flieger nach Madrid, intonieren La-Casa-Azul-Hits und freuen uns über die extrem lustige Feuilleton-Titelstory von Oliver Maria Schmitt („Die Partei“) in der Samstags-FAZ. Ist das alles schon wieder schön.

Fällt mir erst jetzt auf, wie unser Treffpunkt mit super friend Carlos René in Madrid symbolisch auch wieder voll reinpasst: Im Park von Templo de Debod sind wir verabredet, das ist ein original altägyptischer Tempel, der komplett von Ägypten nach Madrid verfrachtet wurde, wie Wikipedia mir rückwirkend verrät. Mit antiker Hochkultur haben’s Reisepartner Lino und ich traditionell eher weniger, der Park ist aber auch so extrem hübsch, tiefblauer Himmel bei angenehmen 20 Grad, Palmen, bildschöne Spanierinnen und Spanier soweit das Auge reicht.

Als Carlos René schließlich eintrifft, sind wir auch schon wieder so gerührt, im Gepäck hat er nämlich nicht nur seine Gitarre, sondern auch Sangria, einen Sack voll Eiswürfel und frisch zubereitetes spanisches Omelette von seiner Mutter. Boah. So lecker und so nett. Als auch noch Fitness-Forever-Mastermind Carlos Valderrama (eigens aus Neapel angereist) auf unserer Picknickdecke Platz nimmt, kann die Jam-Session losgehen. Von unseren südländischen Freunden werden wir zärtlich damit aufgezogen, dass wir eine Auswahl an feinsäuberlich ausgedruckten Gitarrentabs, ordentlich in Plastikfolie einsortiert mitgebracht haben. Mangelnde Heißblütigkeit können wir damit natürlich nicht ausbügeln, aber so trägt halt jede und jeder zum europäischen Haus bei, was sie oder er kann. Im Fall von Lino und mir ist das vermutlich bedingungsloses Fantum, kombiniert mit leicht streberhafter Akribie. Dafür gibt’s noch keine hohe Beauftragte bei der Europäischen Union, wird vielleicht mal Zeit.

Bald kommen noch Marta, Antonio, José und Luis dazu, in die wir in Sekundenschnelle verliebt sind, die jungen Spanier machen es einem aber auch echt mal wieder leicht. Zusammen singen und spielen wir uns einmal durch das große Elefant-Records-Songbook. Wow. Als ob man im „Como un Fan“-Video drin wohnen würde. Das erreicht auf der Aktivitäten-die-das-Herz-erwärmen-Skala volle Punktzahl. The best things in life are free.

Nach dieser perfekten Einstimmung packen wir dann pünktlich zusammen, das La-Casa-Azul-Konzert soll um 22 Uhr anfangen, Ehrensache, dass man da rechtzeitig erscheinen möchte. Immerhin spitzt sich das Leben seit geraumer Zeit auf exakt dieses Ereignis zu.

Der Laden im Zentrum von Madrid ist dann auch schnell komplett gefüllt, wir erwerben noch schnell Merch (Wahnsinn, hier sind sogar die Merchandise-Beauftragten herausragend zauberhaft und nett) und bringen uns in Position. Das Ocho y Medio ist eine Location, wie man sie sich besser kaum hätte wünschen können. Modern, luftig, mit Emporen und guter Sicht von praktisch allen Plätzen.

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Foto: Lluís Domingo

Im Vorfeld habe ich schon diverse You-Tube-Clips von den ersten Liveshows mit den Songs des neuen Albums „La Polinesia Meridional“ studiert. So ungefähr weiß ich also, was mich erwartet (aufwändig bespielte Videoscreens als Backdrop, ein extrem präsenter, strahlender Guille Milkyway, ein hoch euphorisiertes Publikum, das als textsicherer Chor praktisch jeden Song begleitet). Die schnelle Wirklichkeitsanalyse ergibt: in echt alles noch viel geiler.

Guille spielt 26 (!) Songs, darunter fast das komplette aktuelle Album und viele lieb gewonnene ältere Hits. Das Publikum singt tatsächlich jede Zeile mit und geht bei den schnelleren Stücken (also fast allen) ab, wie man es, denke ich mal, eher von HipHop-Konzerten kennt. Alle Hände in die Luft und springen, springen, springen. Von Reihe eins bis ganz hinten, und inklusive, denen, die an den Seiten stehen. Hier ist soviel Liebe und Verzückung, unglaublich.

Guille Milkyway ist der Meister der elektrisierenden Anfangsfanfare, der unwiderstehlichen Bridge, der einen perfekten Kontrapunkt bildenden Middle Eight, des explosiven Refrains, des zu Tränen rührenden Finales. Unmöglich zu sagen, welches Stück hier „der Hit“ ist, das sind nämlich einfach alle.

Perfekter Opener ist natürlich „Los chicos hoy saltáran a la pista“, das auch das aktuelle Album eröffnet. Vorneweg kommt ein grandioses Intro. Die Videoscreens zeigen eine Reise durchs Universum mit Zielort „Polinesia Meridional“, einer Art sonnedurchflutetes Himmelsparadies. Wunderschön, berührend, großartiger Sound. Ab jetzt ist es tatsächlich unmöglich, einzelne Stücke als besonders gelungen herauszupicken, hier ist original ein Höhepunkt am anderen, absolut atemberaubend.

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Foto: Lluís Domingo

Die Videoprojektionen sind aufwändig und detailverliebt und sehen fantastisch aus, hier hat jemand nicht nur extrem viel Hingabe und Können sondern mit Sicherheit auch einen Haufen Geld investiert. Besonders herausragend (und hochgradig romantisch) ist der Einsatz der Videoscreens, als sie für das Stück „La vida tranquila“ die La-Casa-Azul-Sängerin (und Milkyway-Lebenspartnerin) Silvia Sanz herbeizaubern, nicht in echt, als Projektion, die aber total realistisch aussieht und von Milkyway sogar sorgsam das (echte) Mikrofon zurechtgerückt bekommt. Das bringt vielleicht sowieso die Faszination des Milkyway-Kosmos auf den Punkt: Gefühle, die zu überwältigend sind, als dass man sie ohne Filter ertragen könnte, Liebe als Kristallationspunkt von allem, Authentizität kombiniert mit hochauflösendem Hyperrealismus. Mit ernster Miene trägt die (virtuelle) Silvia ihre Botschaft vor und blickt immer wieder zum Duettpartner, das alles mit so perfektem Timing als stünde sie hinter einer Glaswand oder wäre wirklich da.

Ich bin froh, dass ich mich die fast genau 120 Minuten, die das Konzert dauert, an meinem Bleistift festhalten kann und so halbwegs die Fassung wahre, weil eigentlich möchte man die ganze Zeit nur weinen vor Glück.

Die Setliste:

1. Intro & Los Chicos hoy saltarán a la pista
2. Chicle Cosmos
3. Succumbir
4. La Fiesta Universal
5. El Momento más feliz
6. La Polinesia meridional
7. Colisión Inminente (Red Lights, Red Lights)
8. Qué se siente al ser tan joven
9. Take On Me (brillantes A-ha Cover)
10. Esta noche sólo cantan para mi
11. Yo tambien
12. Cerca de Shibuya
13. Terry, Peter y yo
14. Medley (Galletas,C’est fini, Hoy Me Has Dicho Hola Por Primera Vez)
15. No más myolastan
16. Chicos malos
17. Tu me gustas
18. Por si alguna vez te vas
19. La vida tranquila
20. Europa Superstar
21. Superguay
22. Sálvese quien pueda
23. La nina más hermosa
24. La Revolucion Sexual (Zugabe)
25. Como un Fan (Zugabe)
26. Todas tus amigas (Zugabe)

La Casa Azul
(courtesy of: https://confesionestiradoenlapistadebaile.blogspot.de/)


(courtesy of: Lluís Domingo)

6 Gedanken zu „LA CASA AZUL, 24.03.2012, Ocho y Medio, Madrid

  • 26. März 2012 um 21:19 Uhr
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    Ganz, ganz große Schreibe. Muss ich neidvoll anerkennen.

  • 26. März 2012 um 21:21 Uhr
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    Ahhhhhh, danke!! *rot werd* means a lot. :)

  • 26. März 2012 um 21:36 Uhr
    Permalink

    + 1

  • 26. März 2012 um 23:50 Uhr
    Permalink

    das war ein so dermaßen wundervoller Tag, dachte nicht, dass man das in Worte fassen kann, aber geht ja doch!! Pop wonderland Madrid, ein Tag wie ausgedacht. Eines meiner besten Konzerte ever!!

    Eine von zig Lieblingstellen: „der sie mit Sicherheit ansonsten alle beisammen hat“!

    ich will da wieder hin…

  • 27. März 2012 um 09:35 Uhr
    Permalink

    brilliant

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