CHIN MEYER, 24.03.2012, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Promo

Wie wird man in neunzig Minuten reich, sexy und erleuchtet? Chin Meyer, 52, Finanzkabarettist und Mystiker, hat diesen Zustand bereits seit längerem erreicht, wie er sagt, und möchte seine unzähligen Erkenntnisse und Einsichten dazu mit dem Zuschauer teilen. Das ungefähr ist (vermutlich) der Ansatz seines Programms ‚Grundlos Optimistisch‘.

Ein Titel, der durchaus passt.

Grundlos optimistisch jedenfalls gestaltet sich schon Chin Meyers Einstieg. Auf Ansage seines Klavierbegleiters betritt er die Bühne und erzählt von seinem früheren Leben als Taxifahrer – was natürlich in eine Startanekdote mündet. Jemand, ein Besoffener, möchte nach Bielefeld (Bielefeld-Witzchen inklusive), steigt aber nach wenigen Straßenecken wieder aus und hinterlässt dreihundert Euro. Ganz nach Kalkulationsplan folgt, wie originell, eine Umfrage im Publikum, deren sich noch viele, viele anschließen werden. Und zuletzt fängt Chin Meyer aus heiterem Himmel an zu singen. Zwar macht er das nicht schlecht, aber sowohl die thematische Auswahl von Songs wie Live-is-Life (Opus) oder Imagine (Lennon) als auch der Zeitpunkt scheinen, höflich gesprochen, unpassend.

In jenem früheren Leben war Chin auch in Indien, zur Selbstfindung in einer Sexsekte, Name unbekannt. Da er indes, und bereits jetzt schlüpft der erste Gähner an der erheblich unterfunktionellen Schilddrüse vorbei, keine Partnerin gefunden hat und die Zelte hellhörig waren, galt es darstellerisch zu improvisieren – eine zweistimmige Orgasmusimitation musste her. Nach längerem Abwehrkampf entlässt der Kehlkopf den zweiten Gähner, als es darum geht, wie Chin die Freundin beim Fremdgehen erwischt hat bzw. von einem fremden Mann auf dessen Freundin erwischt worden ist. Reichhaltig narkotisierend auch die nächste Blende, Chins Schleichweg vom Ehebett zum Klo und wieder zurück, pantomimisch durch ein paar Tai-Chi-Übungen dargestellt.

Sprich: Der erste Blick auf die Uhr ist unausweichlich, noch mindestens zwei Stunden Kampf gegen Langeweile, Müdigkeit und harte Sitzmöbel stehen an.

Also flugs eine eigene innere Umfrage erstellt: Wie übersteht man neunzig Minuten eines Kabarettisten, der reich, sexy und erleuchtet ist? Und wie übersteht man sie auch dann noch, wenn sich neunzig Minuten als grundlos optimistisches Versprechen herausstellen? – Man stellt sich vor, wie der Auftritt eines sogenannten Finanzkabarettisten sein könnte. Wie er mit Biss, Geist, politischem Anspruch und dem richtigen Timing hätte werden können. Während die schwach pointierte Sülze also weiter von der Bühne tropft, denkt man an diesen Kurzauftritt Chin Meyers, in welchem vieles steckt, was das Bühnenprogramm leider nicht hergibt.

Am Schluss kommt der indische Guru, stilecht mit kurzer Zunge. Indisch-Englisch beantwortet er Fragen aus dem Publikum, die während der Pause auf Karteikarten notiert werden durften.

‚Wie kann man einem Finanzminister trauen, der bei der Nationalhymne nicht aufsteht?‘ – Eine kleine, wenn auch platte, Bösartigkeit, die, sicher in anderer Form, dem Abend mit Chin Meyer gut getan hätte.

So ist keine Rettung in Sicht.

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