KETTCAR, 26.02.2012, LKA, Stuttgart

Kettcar bei einem Auftritt im LKA/Longhorn in Stuttgart-Wangen im Jahr 2012

Foto: Steffen Schmid

Ein Kettcar ist ein Fahrzeug, das für Kinder konzipiert wurde. Vier Räder, zwei Pedale, Lenkrad, Kette, Sitz. Drumherum das Gestell und vielleicht noch ’ne schicke Hupe. Alles haben sie angeboten bekommen: Liederhalle, Schleyerhalle, Porschearena. Doch sie entscheiden sich für’s LKA. Wegen der Showtreppe. Unprätentiös von wegen. Hier stehen fünf berechnende Profis auf der Bühne, die ihren Zuhörern unter allen Umständen das Geld… Haltstopp! So ist es gar nicht.

Doch erstmal von Anfang an: Während mir die Bühnenlichter die Augen aus den Höhlen brennen (bin etwas mide und gemitlich müde und gemütlich), spielt die Vorband „Patrick Richard“. Kenne ich bisher nicht, den Patrick. Weiß auch nicht, ob er jetzt eher so englisch (Pätrick Ritschord) oder sogar dialektisch (Baddrigg aus Bamberch) ausgesprochen wird. Singt aber auf deutsch und klingt gut dabei.

Mit einer halben Stunde Verspätung betreten dann fünf freundliche Herren zu den ersten Akkorden von „Rettung“ die Bühne. Über die Showtreppe. Die Menge applaudiert. Sie touren, um ihr am 10. Februar 2012 erschienenes Album „Zwischen den Runden“ vorzustellen. Würde ich das Lied nicht kennen, wäre es arg traurig. Denn Marcus Wiebuschs Gesang ist kaum zu verstehen. In „Rettung“ geht es, wie in vielen Texten des neuen Albums, um Liebe. „Es ist nicht das, was man man empfindet, nicht nur das was man fühlt, nicht, was man voller Sehnsucht sucht. Liebe ist das, was man tut.“ Nicht nur die immer schönen, immer glänzenden, immer weichgespülten Momente werden besungen. Liebe ist, wenn man seinem Gegenstück die Kotze aus dem Haar klaubt, alles wegwischt und danach einen Zettel mit „Guten Morgen, Liebe meines Lebens“ hinterlässt. Ohne Gegenleistung, ohne Erwartung. Mit Sabberfäden am Ohr.

Kettcar bei einem Auftritt im LKA/Longhorn in Stuttgart-Wangen im Jahr 2012

Foto: Steffen Schmid

Es folgen „48 Stunden“, „Schwebend“, „Graceland“ und „Kein Außen“. Wiebusch hat sich Chucks gekauft, um jünger zu wirken. „Vielen Dank. Wir sind Kettcar aus Hamburg.“ Dicht gedrängt steht das Publikum, das LKA ist mit 1.400 Besuchern voll. Leider schlägt sich das auch im Klima nieder. „Mumbai in Stuttgart“ sagt die Anja. Bei „Kein Außen“ möchten ein paar ausflippen. Klappt aber nicht, ist zu eng. Das Tanzen verkommt zum Weinstampfen. Wie in der Antistax®-Werbung. Schön mal rotes Weinlaub zertreten und alles. Los!

Die Texte der Band handeln von Situationen aus dem Leben. Liebe, Sex, Streit, Tod. Und alles andersherum. In „Balkon gegenüber“ besingt die Band das dahinsiechen nach einer Trennung, in „Ausgetrunken“ heißt es „Home is, where your Heart is“. Beide kommen vom Album „Du und wieviel von deinen Freunden“. Viel Glück heut‘ Nacht und viel Glück demnächst. Die Gesichter leuchten Orange, Grün, Blau. Es folgt „Kommt ein Mann in die Bar“ vom neuen Album. „Vielleicht, vielleicht ist es nicht leicht, das alles zu ertragen“ geht eine Zeile. Das ist die richtige Mischung aus Indie-Rock und Pop: Gitarrenpop, wie Bassist Reimer Bustorff (schicker Name) die Musik bezeichnet. Aus seiner Feder stammen fünf Lieder auf dem Album. Und die Erkenntnis, dass ein Bier in Hamburg 2,85 Euro kostet, in Stuttgart nur 2,-. Sauber sag ich! Das Publikum ist gut drauf, die Band auch. Nicht zu schwer und nicht zu leicht, wie Loriot sagen würde.

Kettcar bei einem Auftritt im LKA/Longhorn in Stuttgart-Wangen im Jahr 2012

Foto: Steffen Schmid

„Balu“ bezeichnet die Band selbst als Mädchenlied. Fast alle Männer singen mit. „Nach Süden“ handelt von einer Krankenhausentlassung und in „Money left to burn“ wird gehüpft und getanzt. Halleluja Ding Dong Happy klingt fast ein bisschen wie Chitty Chitty Bang-Bang. Nur weniger aggressiv. Das nächste Lied vom neuen Album ist „R.I.P.“ Vollgestopft mit Geigen. Und wär’s nicht von Kettcar, wär’s vielleicht sogar kitschig. „Wenn das der Frieden ist, musst du den Krieg nicht noch erfinden“, recht haben sie.
Ein Berliner Stadtmagazin hat Marcus Wiebusch als „Barry White des Indie-Rock“ bezeichnet. Er sänge so tief. Das einzige, was ich bei den Textzeilen „Thomas und Mareike“ denken kann, ist, warum denn nicht gleich „Maik und Chantal“? Naja, bin auch schon müde. Der Rest des Publikums nicht.

Knapp die Hälfte der Leute hier (etwa drölftausend) sind mehr als 50km zum Konzert angereist. Kettcar funktionieren. Gegen Ende spielen sie „Im Taxi weinen“. Das Lied macht es richtig und schickt die Besucher nach Hause. „Und jeder bringt sich selbst allein nach Haus, und fast vernünftig, aber raus, die Kuh vom Eis und was es heißt, ab jetzt wird eingetauscht.“ Richtig. Und zwar LKA gegen mein Bett. Bin raus!

Kettcar bei einem Auftritt im LKA/Longhorn in Stuttgart-Wangen im Jahr 2012

Foto: Steffen Schmid

3 Gedanken zu „KETTCAR, 26.02.2012, LKA, Stuttgart

  • 28. Februar 2012 um 09:55 Uhr
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    gefällt mir!

  • 29. Februar 2012 um 12:40 Uhr
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    Wundern uns doch sehr. Warst Du auf einem anderen Konzert? Es scheint Dein erstes gewesen zu sein, wenn Du die Ironie in der Chucks-Ansage nicht mitbekommen hast und Zeilen zitierst, die in den letzten Jahren schon jeder andere zitiert hat. Aber wahrscheinlich ist auch der Einstieg zum Gähnen, weil Du halt einfach müde warst?
    „Kein Außen“ heißt übrigens „Kein Außen mehr“ und keine Sorge, weiter vorn konnten Menschen dazu tanzen, auch wenn es voll war, es war genügend Platz.

    Welches Lied handelt eigentlich von Sex?

    „Reimer Bustorff (schicker Name)“ ist fast schon lustig.

    „Das einzige was ich bei den Textzeilen “Thomas und Mareike” denken kann, ist, warum denn nicht gleich “Maik und Chantal”? Naja, bin auch schon müde.“ – Das einzige, was wir bei diesen Zeilen denken können, warum nicht gleich aufhören zu lesen, schlechter kann es nicht werden? Na ja, wir sind auch schon genervt.
    „Im Taxi weinen“ kam noch vor beiden Zugabeteilen, aber Du warst wohl von Anfang an am Ende oder im Delirium, oder war es die Hitze von Mumbai?
    P.S. Schöne Fotos übrigens!

  • 29. Februar 2012 um 22:25 Uhr
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    Hallo Sara, hallo Steffen,

    es freut mich, dass ihr meinen Bericht so aufmerksam gelesen und euch damit auseinander gesetzt habt.
    Wie in allem hat jeder seine eigene Sicht auf die Dinge – es ist schön,
    dass ihr einen tollen Konzertabend hattet.

    Bis bald mal wieder, vielleicht im LKA. :)

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