WILLIAM FITZSIMMONS, 12.12.2011, LKA, Stuttgart

William Fitzsimmons

Foto: Steffen Schmid

Bei Kvelertak kann man sich auch mal anbrüllen. Bei William Fitzsimmons wird nicht geredet. Und nicht genießt. (Nicht mit genossen oder gar Genossen verwechseln). Meine Konzertnachbarn blicken das nicht. Die reden. Waren wohl noch nie bei Fitzsimmons. Ich zwar auch nicht, mag aber seine Musik. Auch das aktuelle Album „Gold In The Shadow“. Außerdem: Blinde Eltern – studierter Psychotherapeut – Multiinstrumentalist – noch nicht lang von seiner Frau geschieden. Paar Fakten schaden nie. Der Bart sitzt.

Das LKA ist nicht zum Bersten gefüllt, etwa 700 Besucher sind hier. Warm ist es trotzdem. Männer halten ihre Frauen, Männer ihre Männer und Frauen ihre Frauen im Arm, während Fitzsimmons mit rotem Holzfällerhemd, langem Bart und Brille die Bühne betritt. Präsent ist er. Als die ersten Töne seiner Gitarre durchs LKA klingen, kann man die Gänsehautwellen spüren. Alle sind still. Bis auf meine Nachbarn. Er sei heute hier, um Musik zu machen, sagt Fitzsimmons. Und das macht er. Sein „The Tide Pulls from her Moon“ scheint magisch. Sogar mit redenden Nachbarn und geschwollenen Füßen. In der Schweiz hat ein Konzertbesucher einem Bandmitglied ’nen Hut ins Gesicht geworfen. Kann nicht verstehen, warum. Der Bart sitzt.

In seinen Songs geht es um den Verlust von geliebten Menschen. Die Scheidung seiner Eltern und seine eigene wird thematisiert. Harter Tobak, der von Fitzsimmons glücklicherweise immer wieder aufgelockert wird, sogar auf Deutsch. Er sagt „vielen Dank“, „Prost“ und „ein William Fitzsimmons-Lied kann tödlich sein“. Vielen Dank. Das wäre sonst alles viel zu „fucking depressing“. Je leiser er spielt, desto leiser ist das Publikum. Bis auf meine Nachbarn. Einer pfeift. Der Bart sitzt.

Die Bandmitglieder sind auch alle Multiinstrumentalisten. Mindestens zwei beherrscht jeder. Sei es auch nur das „big and small piano“. Trotzdem sauber. Sie begleiten Fitzsimmons bei den meisten Liedern und erzeugen einen schönen Sound. Getanzt und gesprungen wird hier zwar nicht, aber wenn dann mal ein nicht vollkommen depressiver Song wie „The Winter from her Leaving“ gespielt wird, lassen die Techniker sogar die Bühnenbeleuchtung aufblitzen. Der Bart sitzt.

In der Psychiatrie, in der er arbeitete, sei es „awesome“ gewesen. Vielleicht fast so awesome wie dieses Konzert. Man muss sich einlassen auf ihn und seine Songs. Sonst wird es langweilig und ermüdend. „Beautiful Girl“ und „Ever Could“ folgen. Bei einem der letzten Songs stellt sich die Band im Halbkreis auf und begleitet Fitzsimmons beim Refrain. Nur mit Gitarre und Banjo. Ganz großes Kino. Der Bart sitzt.

„Pretty fucking sad“ seien seine Songs, sagt Fitzsimmons. Das sind sie. Aber eben auch wunderschön. Let’s get sad again.

8 Gedanken zu „WILLIAM FITZSIMMONS, 12.12.2011, LKA, Stuttgart

  • 13. Dezember 2011 um 21:57 Uhr
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    toller Text!
    chronologisch grad gut zum gig-blog passend, Ian Wigger Zitat zur neuen Rammstein-Platte:
    „Natürlich möchte man mit den üblichen Rammstein-Fans, die in immerhin selbstgemachten „Biernot Racing Team Alicante 2005″-T-Shirts und lustigen Winkehänden marodierend die jeweilige Welttournee begleiten, nichts zu tun haben. Mit den meisten Sensibilisten, die sich mit glänzenden Augen und Weihnachtsgesichtern andächtig William Fitzsimmons, Bon Iver oder Mumford & Sons live reinziehen, ohne nach spätestens 25 Minuten wegzupennen, doch aber auch nicht!“

  • 13. Dezember 2011 um 21:59 Uhr
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    Sauber. Als ich den Fitzdinsgbums das letzte Mal sah, hab‘ ich mich nicht drauf eingelassen – und fand die ganze Veranstaltung folgerichtig stinklangweilig. Die hippen New-Hippies nicht, die saßen im Schneidersitz auf dem Boden – voll knorke. Danach war mein Führerschein weg. Na ja, ich fand Bart eh schon immer Scheiße. Außer beim Setzer. Aber der geht nicht zu Fitzdingsbums.

  • 14. Dezember 2011 um 07:52 Uhr
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    Sauber! Gelungener Einstand würd ich sagen. Und nicht auf den Öli hören! Der mag den William nur nicht, weil danach der Lappen weg war. Und Bärte mag er bestimmt nur nicht weil er keinen Bartwuchs hat. So.

  • 14. Dezember 2011 um 08:25 Uhr
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    @cassi: Nö, Gesichtspullover sind einfach doof. Und der Text von David ist prima – da merkt man doch gleich, wo er sein Praktikum gemacht hat…

  • 14. Dezember 2011 um 09:37 Uhr
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    Niko gefällt das.

    (bin nicht mehr bei Facebook, das sind jetzt die Auswirkungen der Entziehungskur)

  • 15. Dezember 2011 um 10:53 Uhr
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    Mir gefällt der Text auch, sehr schön zu lesen.

    Und mir gefällt Nikos Facebook-Entscheidung.

  • 6. Januar 2012 um 02:14 Uhr
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    Blitzsauberer Text, kurz, prägnant, informativ, gerne mehr …

  • 10. März 2012 um 15:40 Uhr
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    Sauber. Schön geschrieben. Als ob man dabei war
    Der Bart sitzt auch. Sauber

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