MOTÖRHEAD, DUFF McKAGAN’S LOADED, GRAVEYARD, 27.11.2011, Schleyerhalle, Stuttgart
Was man am Sonntagabend in der Stuttgarter Schleyerhalle sieht, könnte man als die Lebensalter des Rock’n’Roll auffassen: geboren, verblasst, vergöttert – Graveyard, Duff McKagan und Motörhead. Letztere haben als dienstältesten schon alle Phasen durchlaufen. Der Rest wird sich zeigen.
Für die Schweden Graveyard ist die Schleyerhalle eine noch ungewohnt große Location, war doch ihr letztes Konzert in Stuttgart im damals ausverkauften 1210. Den Rest haben sie jetzt vorübergehend übersprungen, wobei es – wenn überhaupt – natürlich noch lange dauern wird, bis sie solche Hallen alleine meistern können. Hier haben sie die Möglichkeit ihren Seventies Retro Rock einem neuen Publikum vorzustellen, nachdem sicherlich die wenigsten wegen dieser Band hier sind. Wie schon im Partyzelt des Summer Breeze‘ verfehlen sie ihre Wirkung nicht.
Irgendetwas da trifft einfach den Nerv. Ich weiß nicht, was es ist, seien es die wirklich guten Songs wie „Ain’t Fit to Live Here“, „No Good, Mr Holden“, „Hirsingen Blues“, „Uncomfortably Numb“ … warte mal, zähle ich da gerade alle Songs von „Hirsingen Blues“ auf? – oder diese unglaubliche Whisky-Stimme, die einfach Durst macht. Aber der Aufforderung kommen die Leute hier natürlich gerne nach. Mitsingen kann man natürlich auch wunderbar, vorausgesetzt man kennt die Refrains mit ihren eingängigen Melodien schon. In „Ungrateful are the Dead“ singt Joakim Nilsson: „My path leads to hell“ – wenn es da so klingt, will man ja gerne mitgehen.
Trotzdem muss ich mir zwischendrin mal überlegen, ob ich die Band eigentlich wirklich auf einer so großen Bühne sehen will. Solche Läden wie das Münchner 59:1, wo sie für Witchcraft eröffneten oder unser 1210, wo man von wegen des oben erwähnten Durstes mit zwei Schritten zwischen Bühne und Bar pendeln kann, sind da doch irgendwie zu bevorzugen. Dennoch – vielleicht ist es ja der Anfang einer längeren und größeren Karriere – ist mir auch die große Halle recht, solange ich Songs wie „Bying Truth“ mitsingen kann: „When was the last time that you felt alive?“ – Graveyard sind und bleiben einfach „Satans Finest“.
Ganz „So Fine“ läuft es bei Duff McKagan seit seinem Ausstieg bei Guns N’Roses 1997 dagegen nicht. Ist ein Venue wie die Schleyerhalle für Graveyard neu und für Motörhead ein alter Hut, war der Amerikaner im vorletzten Jahrzehnt Anderes gewohnt. Sein Süppchen vermiesen lässt er sich dadurch allerdings nicht. Gut gelaunt geht die Band auf die Bühne. Leider meint es der Sound-Mann nicht so gut mit ihnen, denn das Ganze ist so tiefenlastig, dass man ganz vorne eigentlich gar nichts hört und auch ganz hinten in der Halle klingt Loaded nicht wirklich berauschend. Die Halle ist nun schon merklich voller. Das macht es, finde ich, merklich schwerer, abzuschätzen, wie gut die Band beim Publikum wirklich ankommt. Natürlich gehen in absoluten Zahlen deutlich mehr Leute mit als bei der ersten Band, aber ebenso gibt es eine sehr große Menge Leute, welche den Eindruck erwecken, sich bis Motörhead nur die Beine in den Bauch zu stehen und Loaded relativ wenig abgewinnen zu können. In jedem Fall erscheint McKagans abschließender Dank: „best audience ever“ eher traurig als nahe an der Wahrheit.
Das dürfte die vorne allerdings wenig interessieren. Die beschäftigen sich mehr mit dem geraden Sleaze-angehauchten Rock, dem man die GN’R-Vergangenheit von McKagan schon anhört. Musikalisch entstand dabei weder zu Poppiges noch andererseits wünschenswert Griffiges. McKagan, hier an der Gitarre, singt einen „Song about fucking“ oder über seine Abneigung gegen Los Angeles, wo er doch ein „Seattle Head“ ist. Die Riffs sind mal mid-, mal uptempo und grooven auch gelegentlich. Auffallend sind vor allem die sauberen Gitarrensoli, die – auch das meine ich schon von Axl Rose gehört zu haben – mit der Ansage „Guitar, come on“ heraufbeschworen werden. In der Summe aber erscheint mir die Band luftleer. Das ist sicherlich nicht McKagans Karrierehöhepunkt, auch wenn sein Name natürlich groß genug ist, um damit für „Duff McKagan’s“ Band Werbung zu machen. Als Loaded von der Bühne gehen, ist die Vorfreude sicherlich größer als das Bedauern. Aber es wird nicht das letzte sein, was wir von McKagan heute sehen.
Dass Motörhead ein echter Crowdpleaser sind, selbst wenn Lemmy heute, wie manche sagen, vielleicht ein wenig zu betrunken ist und die Band auch in Stuttgart schon bessere Shows abgeliefert hat, zeigt sich von Anfang an. Die Leute drücken nach vorne, rumstehen ist nicht mehr, es wird begeistert mitgesungen, und die traditionellen Spielchen wie die Suche nach der „loudest crowd ever“ mitgespielt. Motörhead ziehen eben die Massen, was trotz der immensen Bekanntheit ihres Protagonisten wohl nicht zu allen Zeiten so gewesen ist, wenn man den einschlägigen Lexika glauben darf. Die Phase, in der Duff McKagan steckt, haben sie auf jeden Fall hinter sich. Als unzweifelhaft eine der angesehensten, wenn auch nicht kommerziell erfolgreichsten Metal-Bands haben sie und umso mehr die lebende Legende am Bass und Mikrophon ihren Platz im Olymp sicher.
Den brauchen sie sich heute also weder zu erspielen noch zu verteidigen. Sie spielen solide, mit sichtbarem Spaß und mit allen Klischees, die man mit der Band verbindet, wie die Widmung insbesondere an die Fans „with those beautiful tits“ oder der Fliegeralarm, mit dem das Konzert beginnt. Und die Fans machen alles mit. Das ist genau die „sklavische Ergebenheit“, von der ich gestern schon geschrieben habe. Natürlich wird auch an die Ehre appelliert: Als die erste Antwort auf: „How are you doing“, nicht laut genug ausfällt, sagt Lemmy nur: „You are Stuttgart, right?“ Na bitte, es klappt doch. Mit Stuttgart kennt sich Motörhead überhaupt gut aus, so stellt Wizzo fest: „Stuttgart is the home of Claus, right?“ Damn well it is!
Motörhead sind die Fortsetzung des Rock’n’Roll mit anderen Mitteln. Während böse Zungen ihnen nachsagen, dass sie seit 1977 dieselbe Platte aufnehmen, bieten sie eine ganze Menge abwechslungsreichen Rock im Sound-Gewand des Metal. Harter, weil mit Plektrum gespielter Bass, bellender Gesang, frickelnde Soli. Die obligatorischen Gitarren- und Schlagzeugsoli. Und die Fans freuen sich über all diese Songs, die sie schon hunderttausend Mal gehört haben und noch hören werden: „Metropolis“, „Going to Brazil“ oder „Damage Case“ und „One Night Stand“, das mir besonders im Ohr hängen bleibt. Viel Bier später – auch Motörhead machen schließlich durstig – werden sie alle zufrieden sein, die Teens mit ihren neuen Kutten, auf welchen der Motörhead-Patch nur mit Nadeln befestigt ist, weil sie noch nicht nähen können, wie jeder Metaller, dessen Mama so etwas nicht ins Haus kommt, die Fans mittleren Alters, die etwas verwetterten Gestalten, denen man zwanzig oder dreißig Jahre Rock’n’Roll ansieht, und die Pärchen, die man wohl als ältere Ehepaare bezeichnet. Zufrieden sind auch die jüngsten, zwei Mädchen mit ihren jeweiligen Vätern, wohl zwölf und vierzehn. Die einzigen, die wohl nicht da waren, sind „those of you with the walking sticks“, von denen Lemmy mal auf einem anderen Konzert sprach. Auch das Publikum also vereinigt alle Lebensalter des Rock’n’Roll.
Bei „Killed by Death“ sehen wir dann auch Duff McKagan wieder, der hier die zweite Gitarre übernimmt. Wie schon seit 1995 nicht mehr, sind Motörhead damit für einen Moment wieder zu viert. Nach „Ace of Spades“, der lange erwarteten Ansage „We are Motörhead. And we play Rock’n’Roll“, und, ich glaube, „Crazy Like a Fox“ endet das Konzert schließlich mit einer Verbeugung Arm in Arm. Auch da ist McKagan nochmal kurz zu sehen, bevor die vier vermutlich erst mal was gegen diesen verdammten Durst tun müssen.
„Stuttgart is the home of Claus, right?“ Damn well it is!
;-)
Stimmt, „crazy like a fox“ war echt der Knaller… ein wahrlich genialer Abschluss;-)
Ich glaube, das waren nicht zwei Mädchen, sondern ich und mein Schulkamerad, beide mit langen Haaren (auch 14&13) sein Vater und ein Arbeitskollege…:)(falls die „Mädchen“ in der ersten Reihe waren). Aber das Konzert war echt Hammergeil. Nächstes Jahr wieder, Fuck yeah!!!
Habt ihr eigentlich auch Bilder,
auf denen man das Publikum sieht?
…Masters of desaster…