VINCE EBERT, 24.11.2011, Theaterhaus, Stuttgart
Naturwissenschaft kreuzt Comedy. Wechselwirkung nennt man sowas, sagt der alte Physiker. Eine Schnapsidee nennt es womöglich der Comedian. Denn Formelfetischismus und Witz, Höchstmathematik und Humor, das passt nicht zusammen, selbst wenn der Witz von der blitzgescheiten Sorte ist, und der Abstraktionsgrad, wenn schon nicht erschwinglich, so doch einigermaßen verständlich daherkommt.
Vince Ebert, gelernter Physiker, wird nicht müde, den altehrwürdigen Wissenschaftler mit dem kalauernden Comedian an diesem Abend zusammenzubringen. Zuletzt, in der einzigen Zugabe, führt er sogar (absichtlich misslingende) Zaubertricks vor.
Was dazwischen war, das untersuchen wir im folgenden Artikel.
Die Randbedingungen: Theaterhaus, Außentemperatur bei 273 Kelvin, Publikumsdruck vollzählig, Halle T2, die Stimmung delokalisiert.
Zappenduster beginnt die Reise ins Licht. Umweht von Rauch erscheint Vince Ebert aus dem Dunkel, der Gestalt nach satanisch, wenig später in Anzug und Krawatte. Die Bemerkung, dass er neben Merkel und Lafontaine der dritte Physiker sei, der im Bereich Comedy und Kabarett seine Brötchen verdiene, bringt ihm die erste Portion Heiterkeit ein. Schon folgt eine klassische Publikumsnummer, die Handzeichenrunde: Welcher unter den Gästen hat sich wirklich freiwillig auf den Weg gemacht den Vince zu sehen? Aha, eher die Frauen. Wie meistens. Denn die Idee, abends auszugehen, ist Frauensache, Männer, tja, ziehen halt mit, manchmal.
Keine schlechte Einleitung auf das Thema des lockeren Abendvortrags „Freiheit ist alles“.
Anschließend beginnt Vince Ebert zu pendeln, vier oder fünf meist bedächtige Schritte nach rechts, zum Tisch, vier bis fünf Schritte nach links, zum Flipchart. Aufrecht, stets den Gästen zugewandt, die Hände geöffnet, die Gesten reduziert, die Rhetorik etwas überbetont, beinahe so, wie man das bei Präsentationsseminaren lernt. Immerhin gilt es, dem Zuschauer Botschaften zu vermitteln, eine Ansicht, mehr noch, eine Weltsicht, die wissenschaftliche, um genau zu sein. Unterstützt von manchen aufgemalten Schaubildern, von vielen Bemerkungen, Statistiken, und nicht zuletzt, als Geschmacksverstärker, von unzähligen Kalauern der Gattung Abschlusspointe.
Alleinstehende Männer gehen ein, ihr Zerfall folgt den Gesetzen der Physik, plus stoffabhängige Konstante (stoffabhängig=Alkohol). Gänse, die monatelang frei Haus zu fressen bekommen, entwickeln eine Theorie, welche spätestens dann falsifiziert ist, wenn Weihnachten vor der Tür steht. Weil wir, also der Mensch an sich, geschichtlich betrachtet zu 99 Prozent nomadenmäßig unterwegs waren, sind wir, also der Mensch an sich, evolutionsbiologisch alle zusammen Holländer.
Dort, in den allgemeinen, mehr unverfänglichen, dankbaren, ungefährlichen Betrachtungen, kann Vince Ebert durchaus punkten. Die Spitzen sind tauglich für einige angeklopfte Schenkel, es gibt richtig gute Standard-Pointen. Und, ja, man blickt durch Eberts Augen manchmal ein Stück weit hinter die Kulissen, lernt bisweilen etwas dazu, wenn es um Fakten geht.
Oberflächlich bis anbiedernd bis spießig wird es allerdings im gesellschaftspolitischen Bereich. Das Christentum (mal dazu gezählt) bekommt sein übliches Fett weg, hier physikalisch aufbereitet in einer Rechnung zum Temperaturunterschied zwischen Himmel und Hölle. Der Politiker an ist natürlich auch dran, tut immer gut, wenn alle einer Meinung und hinreichend das sind, was man verdrossen nennt.
Schwerer mit Allerweltsstatements wirds allerdings bei den soziale Schieflagen, hier reichen ein paar sanft aufgeflockte Popcorngags zur allseits geöffneten Schere nicht aus. Es könnte, dürfte, sollte, ein bisschen mehr Tiefgang sein, wenn die olle Freiheit die Botschaft sein soll, für die Vince Ebert einsteht.
Untersuchungsergebnis: Was war zwischen Vince Eberts Zauberzugabe und seinem Opener? Insgesamt Comedy ohne Höhen, mit Tiefen, ohne große Abwechslung. Gefällige Statements, fehlerlos vorgetragen, jede Menge Statistiken, ein stark am Publikum orientiertes Meinungsbild. Manche Belehrungen, die andere besser können. Insgesamt ein nettes, lockeres Seminar in Sachen Freiheit. Für ein Kabarettprogramm ist das leider ein bisschen zu wenig.
Durchschnitt.