THE MELVINS, 28.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

MELVINS, 28.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Steffen Schmid

Als ich gestern Leonies Artikel gelesen habe, spürte ich ein wenig dem Eingangszitat nach und fand diesen Artikel, in welchem die nicht ganz neue Parabel von den drei Blinden erzählte wird, die einen Elefanten beschreiben sollen, den sie nur ertasten können: Der erste betastet den Rüssel und beschreibt das Tier als Schlange, der zweite, am Schwanz, hält ihn einem Seil für ähnlicher, während der dritte – er steht an einem der Beine – ihn mit einem Baum vergleicht.

Etwa so kommt man sich vor, wenn man die Melvins erfassen möchte – und zwar auch, wenn man alle fünf Sinne beieinander hat. Der Elefant, den ich da sehe und höre, ist fünfeckig, janusköpfig, neunarmig und muss von der Tarantel gestochen sein, denn er trampelt manisch umher und zerdeppert das ganze Porzellan.

MELVINS, 28.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Steffen Schmid

Macht aber nichts, denn es war wahrscheinlich ohnehin zu schön, zu wohlgeformt, zu gefällig, zu Standard, um mit dieser Art von Elefant in einen Raum zu passen. Und während es noch so scheppert, entsteht eine Trash-Ikone, ein Berg der Bedeutungslosigkeit – genauso, nur anders wie in diesem Jugendbuch. Für viele der Anwesenden ist sie offensichtlich Gegenstand der Anbetung. Vor allem aber trifft sie stilsicher eine Ästhetik des Abseitigen, Absonderlichen, Grotesken. Man muss sich ja nur mal die Albumcover ansehen. Sie stellen größtenteils – mit Ausnahme vor allem der „Trilogy“ bestehend aus „Maggot“, „Bootlicker“ und „Crybaby“ – irgendwelche Abfallprodukte der Mainstream-Kultur zur Schau: vom Poesiealbumbildchen über die Kitsch-Tapete bis zu Cowboy und Indianer. Wer sonst würde eine LP-Box in Form einer Pizza-Schachtel veröffentlichen? Perfekt!

Und weil sich diese Abkehr vom Gefälligen, Gewöhnlichen und allgemein Akzeptierten auch auf die Musik erstreckt, sind sie im Schoße von u.a. Mike Pattons nach der Brechpflanze benannten Plattenfirma Ipecac Recordings auch hervorragend aufgehoben, haben die es sich doch gerade zur Aufgabe gemacht, das musikalisch Grenzgängerische zu veröffentlichen. Dafür stehen Signings wie Fântomas oder Bohren und der Club of Gore, die uns am 23. November im Schocken beehren, oder eben die Melvins.

Das hat auch alles seine Richtigkeit, sonst hätten wir nicht die Möglichkeit der kreativen Freiheit von Musikern wie Buzz Osborne zu lauschen, der – äußerlich nicht minder frei – im schwarzen Cordsamtkleid, dessen Passe ein buntes, verdächtig nach Kinderschlafanzug aussehendes Pferdchenmuster zeigt, mit seinen eng bei einander stehenden Füßen und den breiten Schultern irgendwie aussieht wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck, inklusive – von wegen der weißen Mähne – einem Püschel oben. Dazu trägt er Schal und eine durchsichtige Gitarre mit Aluminium-Griffbrett. Passt alles nicht zusammen? Na eben. Darum geht es. So wie in der Musik. Und warum sich Schranken auferlegen? Nur so herum wird kein Schuh draus, sondern eine der einflussreichsten Bands im, äh, Rock-Underground – das mit der Etikettierung funktioniert hier nämlich nicht so richtig, denn die Melvins-Maschine wird vorne mit Punk und Hardcore gefüttert, während hinten fünfeckige Würfel herauspurzeln, die von anderen Bands zu Grunge, Stoner, Sludge – als dessen Erfinder die Melvins gelten – et cetera weiterverarbeitet werden oder wieder in die Ausgangsmaterialien eingehen. Wie sollte man das Erzeugnis also nennen? Glücklicherweise brauchen wir kein anderes Label als eben „Melvins“.

Sie spielen 19 Stücke von ihren 18 Alben. Die ältesten: „It’s Shoved“ und „Ligature“ von „Bullhead“ (1991). Sieben der Stücke sind von den letzten drei Platten. Insgesamt wohl eine gute Mischung. Da ist alles dabei, von den punkigeren zu den sludgeigeren zu den metallischeren Enden des Schaffens. Buzz hat oben auf die Orange-4 x 12“ einen Ventilator gestellt. Der pustet mir den kratzig scharfen Gitarren Sound über die zwei Meter Luftlinie nochmal verstärkt um die Ohren. Ja, ich weiß: Das ist musiktechnischer Quatsch, was ich das schreibe. Kein Quatsch ist, dass die drei Mikrophone zur Abnahme der Gitarre deren Klang entscheidend verdichten. Mehr Wumms! Vielleicht ist das bei Jared Warrens Bass auf der anderen Seite genauso – ich kann das nicht sehen – jedenfalls würde das erklären, warum an den wenigen ruhigen Stellen der mächtige Sustain des Viersaiters die Bierflaschen auf den Tieftönern links und rechts hörbar mitscheppern lässt, unterbrochen nur durch das gelegentliche Klirren, wenn eine herunterfällt.

Aber der Bass steht nur selten so im Vordergrund wie beim letzten Stück „Shevil“. Den meisten Krach macht sonst sicherlich die Gitarre, egal ob Buzz im ersten Stück bei 180 bpm mit dem Mittelfinger auf eine Saite eintrommelt, ob er drauf los schreddert oder komplexere Riffs runterzockt, ob er mal kontrolliertere, meist anarchischere Soli spielt. Melodien braucht es da nicht. Man hat ja auch zwei Schlagzeuger. Das gibt ein wenig die Richtung vor: vertrackt, rhythmisch, mit vielen Breaks. Daran sparen die Melvins sowieso nicht: Nur nichts Gewöhnliches bringen. Und das Publikum dankt es. Einer der grandiosesten Momente ist wohl, als es bei „The Water Glass“ vom neuen Album „The Bride Screamed Murder“ den Beweis antritt, dass es selbst die irrwitzigsten Gesangsfolgen des Ruf-und-Antwort-Spielchens zwischen Buzz und seinen Mannen mitsingen kann. Und zwar im Timing. Nicht so wie bei dem Dave Gilmour-Konzert, auf dem ich mal war: „Wish You Were Here“ plus/minus zwei Viertel im Takt mitgesungen. Schon peinlich. Hier aber: sauberer Punk-Gospel.

MELVINS, 28.10.2011, Manufaktur, Schorndorf

Foto: Steffen Schmid

Das Kernelement der Musik bilden aber wohl die zwei Schlagzeuger Dale Crover und Coady Willis. Die haben mich auf jeden Fall am meisten beeindruckt, denn zwei Drummer, die parallel das Gleiche spielen, müssen schon sehr genau auf dem Punkt sein, damit etwas Anderes als Soundbrei dabei heraus kommt. Dieses Handicap haben sie aber noch gesteigert, indem sie über weite Stecken doch recht abgefahrene Fills und mehr noch Rhythmuswechsel einbauen. Dennoch sind sie unglaublich tight. Selbst wenn sie langsam das Tempo verändern. Ich bin baff. Dementsprechend richte ich mein Augenmerk auch über weite Strecken auf die beiden in ihren Phantasieuniformen und kurzen Röckchen. Sie wurden in dem neuen Stop-Motion-Video zu „Electric Flower“ ganz richtig dargestellt: ein Wesen mit zwei Gesichtern. Nur die neun Arme wurden vergessen, denn nicht nur geben sie dem Rhythmus durch synchrones Spiel mehr Druck, sie nutzen auch die Vorteile ihrer größeren Anzahl von Gliedmaßen: Das Ganze ist mehr als seine Teile. Und warum nicht auch den Doublebass von Füßen spielen lassen, die nicht weiter oben zusammengewachsen sind?

Da schlackern mir nachher die Ohren. Pausen werden ja keine gemacht. Wer braucht schon Applaus? Das Publikum weiß ohnehin nicht, wie ihm geschehen ist. Auch Ansagen gibt’s keine. Das macht wohl nur, wer es nötig hat, dem Publikum zu gefallen. Und so geht Buzz mitten im letzten Song von der Bühne. Und genauso kommentarlos die anderen. Und Schluss. Wow!

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