KITTY, DAISY & LEWIS, 21.09.2011, LKA, Stuttgart
Rette sich, wer kann.
Irgendwie findet fast jeder gerade Kitty, Daisy & Lewis gut. Eine eigentlich rationale Dame meinte neulich sogar, sie würde das Rhythm’n’Blues-Trio aus London lieben. Sie sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, als würde so was einfach vom Himmel fallen. Tut’s zwar tatsächlich, aber halt sehr, sehr selten. Und bevor es sich als Illusion entpuppt, Katze lieber mal nicht im Sack gekauft und hingegangen ins LKA, zusammen mit 900 anderen Schaulustigen. Wenn’s nix wird, bleiben wenigstens Nutella und Slayer. Klingt nach einem guten Deal.
Eine Rechnung, habe ich mit den musizierenden Geschwistern aus England eh noch offen, denn Kitty, Daisy & Lewis haben mich kürzlich verarscht: 10″ EP gesehen, blind gekauft, aufgelegt und dann erst festgestellt: Das verdammte Ding läuft auf 78 Umdrehungen. Nur sehr alte Plattenspieler können so ein Tempo mitgehen. Ich bin zu langsam, mein Plattenspieler noch viel mehr. Jetzt steht die Platte in der Ecke und sieht nicht mal sonderlich gut aus.
Kitty & Daisy schon. Zwei hinreissende Damen, mit sehr dunklen Haaren, vorbildlich gekleidet, mit Lippen so rot wie der Brustring auf dem VfB-Trikot und mit so viel Anmut, dass ich es nicht wagen würde, sie dusselig von der Seite anzuquatschen. Auseinanderhalten kann man die Damen allerdings nur, weil Kitty eine Zahnlücke hat. So groß, dass man Schokoriegel durchwerfen könnte. Man müsste halt saugut zielen, sonst wird die wahrscheinlich stinksauer. Niemand lässt sich gerne ungegrüßt mit Lebensmitteln bewerfen. Zum Grüßen ist derweil kaum Platz, Hunderte stehen dichtgedrängt vor der Bühne.
Achso: Lewis sieht natürlich auch super aus, wenn man Jungs mag. Ich habe gehört, Frauen tun das manchmal. Neben mir steht eine von denen, sie schaut etwas entrückt und jauchzt verzückt als der schneidige Kerl auf die Bühne kommt. Jungs gucken derweil, welche nun die mit der Zahnlücke ist. Hier werden noch echte Traditionen gepflegt – abgesehen davon, dass ein paar Meter vor uns ein Kerl im Metallica-Tourshirt mitwippt.
„Mean Son Of A Gun“ – von Johnny Horton ist aber auch ein aufdringlich guter Start: schachmäßig eine spitzen Eröffnung. Damit schaffen Kitty, Daisy & Lewis gleich mal Vertrauen, gerade bei den skeptischen Rockabilly-Boys und -Girls, die sich zu Recht fragen, ob hier schon wieder Schindluder mit ihrer Musik getrieben wird. Doch Rockabilly ist das nur, wenn’s außer Frisuren nix geben würde. Das Trio aus London hat auch allerhand R’n’B, Hillbilly, Ska und Jazz anzubieten. Unterstützt werden sie von einem Gitarristen und einer sehr kleinen Dame am großen Kontrabass. Ich glaube, sie heißt Ingrid.
Kitty (vielleicht auch Daisy) bläst eine unanständig gute Mundharmonika, während Daisy (eventuell auch Kitty) am Schlagzeug rumhoppelt, als würde sie auf einer Luftmatratze sitzen, auf der mindestens drei Kinder zeitgleich Trampolin springen. Lewis versinkt zusammen mit seiner Gitarre.
„Authentisch“ sagt einer an der Bar, als ob das eine wirkliche Auszeichnung wäre. Dick Brave ist authentisch – der will nur sauberen Pro7-Spaß. Gut ist trotzdem was anderes. The Cure wiederum sind nicht authentisch, schließlich lebt Robert Smith noch. Ganz zu schweigen von Slayer. Wären die authentisch, müssten wir alle längst tot sein. Drehen wir einen Kettcar beziehungsweise Diedrich Diedrichsen draus: „Lieber peinlich als authentisch. Authentisch war schon Hitler“.
Peinlich ist hier allerdings gar nix, außer dem Trompeter aus Jamaica vielleicht, den sich das Trio auf die Bühne bestellt. Wahrscheinlich ein sehr vergnüglicher Kerl, bläst aber volle Kanne daneben. Auch sehr gut: eine Frau vor mir mit ausladender Frisur, die offensichtlich nicht zum Rhythmus, sondern eher zum Text oder eventuell auch zur Getränkekarte tanzt. Sauber.
„I’m Sorry“ ist deshalb, trotz Ska und dem schiefen Gebläse ein schmissiger und guter Zeitvertreib. Nix für die Ewigkeit, aber super für die Zeit dazwischen. Den Rest erledigt die Dame an der Bar, die frohen Mutes und manchmal sogar mit einem Lächeln reihenweise Gäste anschnauzt: „Was willst du?!“.
Lewis singt derweil „Don’t Make A Fool Out Of Me“. Passt auch, muss sich trotzdem keine Sorgen machen. Wer Dinge vom Herzen tut, kann sich schließlich kaum dabei blamieren. Kitty, Daisy & Lewis nimmt man wiederum ab, was sie da tun. Das ist kein Kasperletheater und auch kein Karneval. „I’m Going Back“, vorgetragen von Kitty (eventuell auch Daisy) klingt auch mehr wie eine Drohung als eine Feststellung. Irgendwie toll. Da wird keine alberne Nummernrevue à la Boss Hoss oder Dick Brave aufgefahren, sondern den alten Helden der nötige Respekt gezollt. Kitty, Daisy & Lewis tragen sowohl Herz als auch den Arsch am rechten Fleck.
Manchmal ist das trotzdem sehr langweilig. Kurz auf die Bar geklettert und die Dame mal gescheit ins Gebet genommen: „Kitty, äh, Daisy, äh egal, verflixt nochmal“, hab‘ gesagt. „Auch wenn Du mich noch tausend Mal fragst ‚Why are you messing with my life?‘ – ich weiß es auch nicht.“ Und trotzdem: Nur zum Bossen, singt sie’s gleich nochmal: „Why are you messing with my life?“. Wobei sie „life“ irgendwie wie „loif“ ausspricht. Ich kenne Männer, die das sehr sexy finden.
Aber sexy ist halt nicht alles. In den Liedern des Trios passiert manchmal trotzdem zu wenig – gemessen daran, wie lange sie dauern. Da wiederholen sich Kitty, Daisy & Lewis wie Leute, die halt weniger zu sagen haben, den einen Satz aber ständig wiederholen. Irgendwo zwischen Mantra, Wiederkäuer, Vehemenz und halt auch etwas Langeweile. Ab und an beschleicht einen auch der Verdacht, es könnte wahnsinnig mehr Spaß machen, diese Lieder selbst zu spielen, als sie anzuhören. „What Quid?“ zum Beispiel. Da bewegen sich die Zeiger auf der Uhr nur, damit sie nicht einschlafen.
Etwaige Spannungsdürre, lässt sich aber trotzdem super bewässern. Mit Fragen wie beispielsweise: „Hat Daisy etwas mit ihren Zähnen gemacht?“. Denn alle drei sind Geschwister, aber nur Daisy hat halt keine Zahnlücke. Ich denke, ich bin da etwas großem auf der Spur.
Die drei schippern sich derweil vergnüglich und fast keimfrei durch „Smoking in Heaven“, ihr kleine Hitplatte. Gut ist das allemal, aber halt nicht so bemerkenswert, dass man eine sms an die Stuttgarter Nachrichten fehlleiten möchte oder gar eine Postkarte heimschicken würde. Lieber nochmal kurz an der Bar anschnauzen lassen: „Was?!! Schorle?!“, „Äh, ja Verzeihung“.
Nix schlimmer, als wenn man denkt, ich könnte locker mal kurz rausgehen und eine rauchen. Leidenschaft sieht anders aus. Niemand rennt auf den Balkon und zündet sich eine Zigarette an, wenn’s drinnen richtig saugut wird. Gasoline sagt: „Ich ruf‘ Dich an wenn was passiert“. Das ist das Kreuz mit dem Blues: ohne Arme keine Kekse. Und wahrscheinlich wäre all das hier im Zwölfzehn oder zuzüglich etwas Leidenschaft wesentlich mehr zu Hause. Ob das Kitty, Daisy & Lewis künftig in die Porsche Arena oder in die Röhre führen wird – keine Ahnung.
Das Irre: den ab und an fast frenetischen Jubel haben sich die Geschwister trotzdem verdient. Denn die Rockabilly-R’n’B-Nummer ironiefrei ins Dudelradio zu führen ist eine Leistung, die man ihnen gar nicht hoch genug anrechnen möchte.
Ach komm … liebe sich, wer kann.
Der peinliche Trompeter hat allerdings mal mit Jimmi Hendrix in einer WG gewohnt – reicht mir, um ihn cool zu finden… Und auf Revolver von The Beatles hat er auch trompetet.
Huch, 1976 sah ich auch noch geil aus in Badehosen.