ART BRUT, 12.09.2011, Schocken, Stuttgart

Art_Brut

Foto: Steffen Schmid

Im einem Paralleluniversum hätte Art Brut vielleicht einen Sänger gehabt, der diesen Namen verdient. Dann hätte das Debüt bestimmt wie eine Bombe eingeschlagen. Danach wären die bemitleidenswerten, imaginären Art Brut dieses Paralleluniversums aber genauso in den ewigen Indiejagdgründen verschwunden und vergessen worden wie ihre Leidensgenossen von The…äh…The…The Dings.

So aber, mit dem mal rezitierenden, mal dozierdenden, leicht aufgedunsenen Dandy Eddie Argos an der Spitze, der alles außer singen tut, hat das Debütwerk „Bang Bang Rock’n’Roll“ damals nur so halb eingeschlagen, Art Brut wurden nicht ganz in den Indie-Himmel katapultiert, um dort mit Hurra an der Betonwand aka zweites Album zu zermatschen, und haben sich seither eine so solide Fanbase erspielt, dass das furchtbar heiße Schocken auch an einem Montagabend aus allen Nähten platzt.

Warum Eddie Argos nicht singt? Weil er es erstens nicht kann, das aber, zweitens und viel wichtiger, im Gegensatz zu anderen auch eingesehen hat und es deshalb konsequent lässt. Das ist sowieso fast das beste an Art Brut: Die Musik ist schon okay, guter Indierock mit bisschen Punk-Gewürz, kann man nichts sagen. Aber diese ständigen Kommentare über die eigene Mittelmäßigkeit, das ist schon eine mutige Sache im Dicke-Eier-Rock-Business, wo es nicht selten darauf ankommt, die eigenen Werke ernsthaft und mit einer ordentlichen Portion Leid und Pathos im Hundeblick vorzutragen, um damit den schweren Prozess des künstlerischen Schaffens zu unterstreichen: Kunst ists nur, wenns weh getan hat, das Notenblatt mit Blut und Tränen getränkt. Alltagstaugliche Metapher: Kunst ist ein Toilettengang mit Verstopfung, Chart-Pop ist Durchfall.

Los geht’s mit Formed a band, dem Opener des ersten Albums, dann sofort My Little Brother mit der Liedzeile „Oh why don’t our parents worry about us?“, zu der es den ersten Exkurs gibt. Argos erläutert, dass sein kleiner Bruder mittlerweile 29 und Lehrer ist, er selber, Argos, sei nun Objekt der Sorge seiner Eltern, obwohl er schon 32 sei. Das Rezept to make your parents worry about you: „First, start a band. Second, release four albums, of which only the first one is known.“ Freut sich über die gelungene Referenz an sich selbst, eine Seilspring-Einlage mit dem Mikrokabel. Und so geht es weiter: Die Lieder werden bis zur Bridge durchgespielt, die Band verharrt im Hintergrundmodus und lacht sich scheckig über das, was Argos vorne minutenlang erläutert, erklärt, improvisiert, an Parolen rauslässt.

Art Brut wissen, dass sie musikalisch nichts neu erfunden haben. Aber sie wissen auch, dass poppiger Indiepunk das, allein von seinen Zutaten her, auch gar nicht wirklich zulässt, sondern eine riesige Spielwiese für eine Menge Spaß sein kann, wenn man sich selbst nicht so ernst nimmt. Emily Kane über die erste Liebe, Sealand über Sealand, TOTP über die eigene Eignung für TOTP: Eine spaßige Lesung mit musikalischer Untermalung, könnte man auch sagen. Ohne Sprecher Eddie Argos wäre es niemals so weit gekommen.

Art_Brut

Foto: Steffen Schmid

3 Gedanken zu „ART BRUT, 12.09.2011, Schocken, Stuttgart

  • 16. September 2011 um 12:54 Uhr
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    Großartiger Beitrag und großartige Fotos zu einem großartigen Konzert. Wäre noch hinzuzufügen, dass Art Brut meist gute Support Acts mitbringen. So auch diesmal: die Dada-Punks Lovely Eggs waren für diesen Abend ein wirklich erfrischender Opener.

  • 21. September 2011 um 18:45 Uhr
    Permalink

    Die Saison hat wieder begonnen. Freu! Sagenhafter Fotoauftakt. Wie hast Du das im Schocken nur hinbekommen?

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