KLANGBAD FESTIVAL Tag 2, 05. – 07.08.2011, Alte Papierfabrik, Scheer

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Foto: Udo Eberl

Der Samstag ist beim Klangbadfestival immer der große Publikumstag. Abends sind auf dem Platz, der einst für die Lagerung von Holz genutzt wurde, geschätzte 2000 Besucher – vielleicht auch mehr und es ist nahezu trocken. Tagsüber allerdings tröpfeln eher die Musikspezialisten zu den Konzerten. Zum Beispiel zum Gig der Trembling Bells, denen man nachsagt, dass sie den Folkrock-Faden fortspinnen, der die legendären „Fairport Convention“ einst zum Erfolg führte. Hörer des frühnachmittaglichen Konzerts kommen ins Schwärmen, beklagen allerdings Soundprobleme.

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Foto: Udo Eberl

Mit Moebius + Tietchens verzaubern dann im Zelt zwei Altmeister der elektronischen Musik, die sich nie dem Erfolg um jeden Preis verschrieben haben. Nix da mit Anpassung. Moebius, seit Jahren ein Freund des Klangbads und Weggefährte des Machers Hans Jochen Irmler, kennt man unter anderem von Cluster. Asmus Tietchens ist Noise-Avantgardist und elektro-akustischer Vorreiter. Ambient, elektronische Klangflächen, gefilterte und zur Komplexität verdichtete Sounds kommen hier zusammen. Und dann ist da noch die Moskauer Elektro-Rockband T.Bird, die ihren Space-Rock schon vor recht großem Publikum zelebrieren kann. Treibende Drumbeats und pulsierende Bässe, Gewerkele an verschiedenen Synthie-Kisten und Effekten. Krautrock-Feeling made in Russia. Da gibt’s Zugabenrufe und im Publikum wird eine Seifenblasen-Maschine angeworfen.

Im Zelt wird das musikalische Gemisch mit den aus Birmingham angereisten Micronormous noch bunter. Vor der etwas unsortiert wirkenden Bilderwelt, die Pram-Filmemacher Scott Johnston (Film Ficciones) an die Wand wirft, entwickelt
Matt Eaton, Gitarrist der Band Pram, eine ganz eigenwillige Klangwelt. Elektronische Frickelei, Pop, reichlich bearbeitete globale Folklore aus dem Laptop, Jazz-Big-Band-Feeling – da kommt einiges zusammen, Höhen und Tiefen inklusive. Kalter Kaffee und skurriles Wagnis liegen sehr nahe zusammen. Die in Scheer unvermeidliche Melodika kommt zum Einsatz. Hier arbeiten gebeugte Männer im Heimkino. Im überfüllten Zelt ist die Begeisterung groß.

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Foto: Udo Eberl

Die Goldenen Zitronen standen bereits länger auf dem Wunschzettel der Klangbad-Füller. Nun waren sie also da, die Grundsteinleger der Hamburger Schule, die sich 1984 auf den Weg machten, um mit Punk den Schlagerkarren bewusst in den Dreck zu fahren und mit witzigem, leicht abgedrehten Text-Drive die deutsche Wohlstandsrealität anzupissen. In bizarren, handgeschneiderten Kaftans und Flügelklamotten machen sie wahr, was Sänger und Rezitator Schorsch Kamerun bereits beim Soundcheck mit einer „warmen Stimme mit einem schützenden Klang“ ankündigt: „Hier wird gearbeitet auf der Bühne – ein Gegenwert.“

Auf ihren jüngsten Scheiben bewegten sich die Hamburger in Richtung Elektro-Beats, verquastem Hiphop und Klangexperiment, ohne dabei ihren politischen Krawall-Auftrag zu vergessen. In Scheer setzten sie live mehr auf den bewährten Rumpelsound früherer Jahre. Klare Sache, die Herren wollten bei diesem Familienausflug in den Süden an erster Stelle Spaß haben, lassen sich vom Publikum schon mal das eine oder andere Schnäpschen aus dem Flachmann einschenken und geben in Sachen Punk und Co dafür auch eine ordentliche Lokalrunde aus. Die einst so radikal wirkenden Stücke sind heute bisweilen eher ein nostalgischer Spaß, andere kratzen noch immer am Lack der Gegenwart. „Die Menschen sind ehrlich und somit sind sie gefährlich“, stellen sie fest und fühlen sich in einen Turnschuh hinein, checken die Notbeleuchtung, verstricken sich in „Widersprüche“ und feieren sich selbst: „Ein toller Erfolg.“ Bereits nach 50 Minuten und andauernder Instrumenten-Rochade gehen sie von der Bühne ab. Das Publikum will mehr, und Schorsch Kamerun widmet den Applaus den USA: „Die heißen ab heute USB. Wie eine Schweizer Bank, die auch ihre Probleme hat.“ Kompagnon Ted Gaier kritisiert zwar diese US-Kritik, doch Kamerun kontert, er betrachte die Situation rein ökonomisch und gebe sein Rating ab. Der Songsatz zur Ansage: „Menschen haben keine Ahnung.“ Und da das so ist, muss im letzten Lied die nackte Wahrheit in die Nacht geplärrt werden. Mit „Angst und Bange am Stück“ für ein geschocktes Klangbad und dem definitiven Kantinen-Kernsatz: „Es gibt keine einzige Mahlzeit, die keinen Preis hat.“

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Foto: Udo Eberl

Um Mitternacht treten dann noch Wire auf, denn beim Klangbadfestival wird auch fast vergessenen Bands eine Bühne bereitet. In diesem Fall ist es diese aus London stammende Band, der nachgesagt wird, sie habe den Postpunk kreiert, als es diesen noch gar nicht gab. Heute nennt man so etwas Alternative oder einfach nur Rock. Gitarrist Colin Newman und Bassist Graham Lewis, die abwechselnd und gemeinsam singen, sind seit dem Start im Oktober 1976 dabei. In all den Jahren bewegte man sich vom Punk in Richtung komplexerer Rockmusik, baute auf „Chairs Missing“ Synthesizer in die Songs mit ein, um sich dann mit viel Spiellust und -wut auch Drumcomputern und elektronischem Kram zuzuwenden. Über die Jahre wurde aus Wire sogar Wir. In Scheer waren’s dann nicht Wi, sondern wieder Wire.

Kantige Rockriffs, mit Effekten aufgepimpte Gitarren- und Basssounds, relative durchsichtige Songstrukturen – Wire sind verglichen mit den Zitronen sicherlich nicht der Headliner des Abends. Das klingt bemüht, bisweilen auch anachronistisch. Darüber können auch die in großer Stückzahl aus der blauen Ikea-Tasche geholten Effekt-Tretminen nicht hinwegtäuschen. Besonders die Stimmen der beiden Ur-Mitglieder haben über die Jahre hörbar gelitten, und die Band versteht es leider viel zu selten, die vokalistische Brüchigkeit gewinnbringend einzusetzen. Dann klingt es ein wenig nach David Byrne in Rock. Aber naja. So darf dieser Auftritt eher unter der Rubrik gelebte Pop-Geschichte eingeordnet werden. Man ist dabei gewesen. Für einen größeren Nachhall sorgten die meisten Songs nicht.

3 Gedanken zu „KLANGBAD FESTIVAL Tag 2, 05. – 07.08.2011, Alte Papierfabrik, Scheer

  • 8. August 2011 um 16:10 Uhr
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    Wire ist natürlich ein großer Name… aber man kann sich gut vorstellen, wie nur das Echo vergangener Zeiten heutge Auftritte besonders machen.

    Aus der Abteilung „Trivia“: DAF traten 1980 im Vorprogramm von Wire auf und, so Robert Görl, „spielten Wire an Wand“.

    Volles Line-Up Klangbad siehe
    https://www.klangbadfestival-scheer.de

  • 9. August 2011 um 21:59 Uhr
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    Lieber Udo Eberl, irgend wie kommt es mir vor als ob man hier am Gedanken des Klangbad vorbei gehört und geschrieben hat!
    Von den eigentlichen Attraktion ist nichts zu finden, statt dessen wird genau der bestehend Kommerz gehuldigt, dem sich das Klangbad ja eigentlich abgeschworen hat.

  • 12. August 2011 um 17:02 Uhr
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    Ja genau, WIRE passt nicht in das elitäre Avantgarde Gehabe, wie es der Autor und in Teilen der Veranstalter und Besucher an den Tag legen und es tut mir für die Band Leid, dass sie vor so einem Publikum spielen musste. WIRE ist eben Punk im besten Sinne (Punk as Attitude ist das Stichwort). Freigeister, die sich schon früh gegen Mode und Strömungen gestemmt haben und das ohne besonders abgefahrene Instrumente zu bedienen. Nie haben sie den Erwartungen von Fans und Öffentlichkeit Rechnung getragen – das unterscheidet sie übrigens von den meisten Bands auf dem Klangbad. WIRE mögen zwar Songstrukturen haben, die schlimmerweise vorhersehbar sind, als Band aber waren sie es nie. Zu dieser Einschätzung kann man natürlich nicht kommen, wenn man eigentlich nichts über die Band weiß und sich für einen Artikel mal schnell etwas anliest – oberflächliches Wikipedia-Wissen, wie es leider normal geworden ist.

    Herr Eberl und der Kommentar von bertramprimus belegen eindrucksvoll, dass Kleingeister nicht nur im Mainstream zu finden sind, sondern oftmals genau in den Szenen zu finden sind, die sich für etwas besseres halten – Analogien zu der Jazz Szene drängen sich auf (4/4-Takt? Ach nein wie trivial!).

    Dieses ganze elitäre Gehabe, Arroganz, Selbstbeweihräucherung („..wir sind ja ach so anders…Geheimtipp…offene Ohren..Familie…usw“) ging mir bei meinem ersten Besuch schon auf den Zeiger. Der Bericht bestätigt mir, dass es gut ist, dass ich seit einigen Jahr mir den Weg ins spießige Ländle erspare. Auch wenn das Herr Eberl und wohl die meisten Macher bzw. Besucher des Klangbads nicht glauben mögen, aber es gibt noch andere schöne, kleine Festivals, die Musik nicht so eindimensional (experimentell) interpretieren wie das Klangbad und sich damit nur selber beschneiden.

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