KONSTANTIN WECKER & HANNES WADER, 24.07.2011, Schlossgarten, Stuttgart
Irgendwie etwas verloren streife ich an diesem Mittag durch den mittleren Schlossgarten in Stuttgart. Dort wo die Parkschützer einen kleinen Mikrokosmos linker Utopie erschaffen haben. Heut spielen hier der Wecker und der Wader. Liedermacher und Protestsänger seit gefühlten Urzeiten. So schwer gebeutelt wie man sich nach dem Stresstest und seinen Interpretationen als S21-Gegner fühlen kann, fällt es mir erst schwer, mich auf das Konzert einzulassen. Toll, dass sie hier spielen, für umsonst und open-air. Aber was bringt das alles noch? Da höre ich beim Soundcheck die Stimme vom Wecker. Unglaublich, dass man ihn selbst in der Entfernung beim Soundcheck sofort erkennt. Der Park füllt sich allmählich. Ich gehe zum vereinbarten Treffpunkt und schon auf dem Weg zurück bessert sich meine Stimmung beträchtlich. Auf der Ladefläche des kleinen Lastwagens, der heutigen Bühne, wird immer noch fleißig geprobt. Viel buntes Volk und lustiges Treiben erinnern zumindest an das Woodstock-Feeling, das hier manchmal zum Greifen nah war. Nur das Wetter bleibt anti-sommerlich. Aber das juckt irgendwie keinen.
Der Veranstalter hat mit viel Engagement ein sehr interessantes Rahmenprogramm gebastelt. Viele gute Redner, die Band Borna (mit ihrem Kultsong „Oben bleiben“) und später noch viel stimmungsvolles Multikulti. Im Zentrum stehen aber die zwei großen Alten. Eigentlich schon totgesagt. Ende der 90er, Anfang 2000. Wecker? Wader? Wer? Das hat sich geändert. Vor kurzem antwortete Wecker einer Journalistin auf die Frage, warum Protestlieder wieder gefragt seien, mit dem knochentrockenen Satz: „Weil die Dinge immer schlimmer werden.“
Der Kampf dagegen, das hat die beiden immer angetrieben. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, konkret durch den Kapitalismus. Der Krieg. Die Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das waren immer ihre Themen. Klar, damit sind sie Prototypen der von so vielen gehassten “Gutmenschen“. Aber aufgrund ihrer Konsequenz und Beständigkeit zollen ihnen nun immer mehr Menschen wieder Respekt. Wer vor den Folgen außer Rand und Band geratener Finanzmärkte immer schon gewarnt hatte, wer immer den Finger in die Wunde der deutschen Kriegsexporte hielt, wer immer schon die alten Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit beharrlich verteidigte – wahrlich der hat in diesen Zeiten halt leider Recht behalten. Der Mensch ist dem Mensch ein Wolfe geworden – mehr denn je. Weil Gemeinschaften es zulassen, dass das Geld den Menschen zum Wolfe deformiert.
Beeindruckend ist die musikalische Perfektion, mit der sie ihren Aufruf zur Empörung auf der winzigen Bühne entfalten. Jeder hat seine eigenen Stärken. Konstantin Wecker mit seiner Waffe, der Stimme. Hannes Wader mit seinem akzentuierten Gitarrenspiel, das manchmal allein schon genügt, um die bittere Ironie seiner Texte zu transportieren und um ins Mark zu treffen. Erstaunlich, dass diese beiden völlig unterschiedlichen Charaktere harmonieren. Selbst im Duett.
Wader lässt den Zuhörer selbst die bitteren Abgründe, die tiefe Melancholie entdecken. Da bleibt einem manches zeitverzögert im Halse stecken. Wecker stürmt durch das Innerste seiner Zuhörer hindurch, alle Denkblockaden und Selbstgerechtigkeits-Schutzschilde wegsprengend. Ganz bewusst zieht er den tiefenwirksameren Wader in seine Lieder hinein, um seinen Liedern Kontrapunkte der Nachdenklichkeit zu verleihen. Auch stimmt er gekonnt mit ein in die bewegenden alten Friedenslieder vom Wader: “Es ist an der Zeit“ (Grablieb für einen gefallenen Soldaten) und “Bin auf meinem Weg so lang geblieben“ (Wut über Blut).
Dank Wecker kommt natürlich auch der Humor nicht zu kurz. Eines seiner neuesten Lieder „Das Lächeln meiner Kanzlerin raubt mir den Verstand“ ist wahrlich eine Hommage an Georg Kreisler, der sich nicht bösartiger über die Selbstgefälligkeit der Kanzlerin hätte äußern können. Ein Menge speiender Spot und Hohn über die oberen Zehntausend darf da natürlich auch nicht fehlen.
Was am stärksten bei mir hängen bleibt, sind diese auf den Punkt gebrachten Kampfansagen an die Übermacht des herrschenden Systems der Ausbeutung. „Ich gestatte mir Revolte!“, „Empört Euch, wehrt Euch: es ist nie zu spät.“, „Liebt Euch: widersteht!“, „Trotz alle dem!“, „Sag Nein!“
Eine gewisse rührselige Erkenntnis in Anbetracht der eigenen Naivität und des früheren Idealismus überfällt mich da schon. Aber ja, ich vermiss ihn, diesen gelebten Geist der Empörung, wo ich eben noch nicht gleichgültig war. Eben nicht resigniert.
Und nein: aufgeben werde ich nicht.
Bei Künstlern, die ein ganzes Leben lang ganz bewusst politische Reaktionen herbeiführen wollten, darf man wohl sagen, dass dieser unvergessliche Moment im Stuttgarter Schlossgarten nicht nur bei mir einen politischen Zweck erfüllt hat. Ich fühle mich – revolutioniert.
ja, da wäre ih gerne dabei gewesen
Und ich schäme mich, dass ich erst über 40 Jahre nach dem ich Hannes Wader immer im „Go In“ in der Bleibtreustraße in Berlin erlebt habe – sensibilisiert durch die „S21-Schande“ – kapiere, dass er so unendlich viel mehr zu bieten hat, als nur schöne Songs. Was habe ich in meinem relativ langen Leben bisher nur alles widerspruchslos zugelassen? Macht Ihr später Geborenen besser, was wir haben geschehen lassen. Empört Euch!
In der Hoffnung, daß diese zwei großartigen Recken noch lange ihre Stimme gegen politische und gesellschaftliche Mißstände erheben werden !
Schöner mitreißender Bericht. Kompliment.
Auf unseren Idealismus !!!