THE NOTWIST, 02.07.2011, Kulturstadion, Augsburg

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Foto: Udo Eberl

Beim Augsburger Modular Festival wurde auf verschiedensten Bühnen der Fuggerstadt ein ebenso buntes wie anspruchsvolles Programm geboten. Apparat, Anajo, Ghost of Tom Joad, Puppet on a String oder Die Vögel, um nur einige der Künstler zu nennen. Der Fußballweltmeisterschaft der Frauen mit Austragungsort Augsburg war es zu verdanken, dass im Herzen der schwäbisch-bayerischen Stadt ein kleines Fußballstadion aufgebaut wurde – inklusive grünem Kunstrasen für Soccer-Turniere im Miniformat. Aber eben auch mit einer Bühne, und auf dieser stand als Höhepunkt der Festival-Tage die Weilheimer Band The Notwist.

Gott und der Beharrlichkeit der modularen Veranstalter war das wohl zu verdanken, denn die Acher-Brüder und Co hatten sich mehrfach bitten lassen und letztendlich hatte sie die Stadion-Situation auf dem Augsburger Rathausplatz wohl doch so begeistert, dass kurz nach ihrer „13 & God“-Tournee und Auftritten mit dem „Tied & Tickled Trio“ dieses Konzert stattfinden konnte. Und das war alles andere als ein Light-Erlebnis, denn die Musiker hatten zum einen eine Setlist mit mehr als 2 Stunden Programm aufgeschrieben und zudem noch einen dreiköpfigen Bläsersatz mit an Bord. Irgendwie stimmte alles, denn selbst auf den silberfarbenen Bändeln, die zum Eintritt ins Kulturstadion berechtigten, stand eine Textzeile des Notwist-Songs „Good Lies“: „Let’s just imitate the real until we find a better one.“

Nachdem im Vorprogramm die Augsburger Bands „A-B Repeat“ mit psychedelischem Krautrock und „King the Fu“ mit hörenswertem Indie für den Auftakt gesorgt hatten, bauten die Notwister ihr Instrumentarium selbst auf, stöpselten Effekte zusammen und stimmten die Gitarren, um wenig später mit „Boneless“ vom daueraktuellen Album „The Devil, You & Me“ – seit mehr als einem Jahr im CD-Wechsler meines PKW – zu starten. Und wie: Mit melodiöser Leichtigkeit, fließenden und irgendwie doch treibenden Beats, mit grandios vollem und exzellent abgemischtem Sound, der niemals üppig war und natürlich mit der stets zerbrechlich wirkenden Stimme Markus Achers. Eingängig ging’s mit dem dezent jazzig gefärbten „Pick up the Phone“ weiter, und es wurde zudem die Richtung vorgegeben. Neben den Stücken der jüngsten Scheibe sollten vor allem die Songs vom Notwist’schen Klassiker „Neon Golden“ einen wichtigen Teil des Programms ausmachen.

The Notwist haben sich ja längst jeder musikalischen Schubladisierung entzogen, wagen sich ins Niemandsland zwischen schüchternem Pop, elektronisch angereichertem Indie, gedämpften Jazz und wild ausuferndem Experiment mit derb treibenden Beats. Und all das gab’s in Augsburg zu hören, geradezu meisterhaft und verehrungswürdig dargeboten, im Großformat mit neun Musikern und einer Verve, die selbst für diese Ausnahme-Band eine Ausnahme zu sein schien. So ließ sich Markus Acher in „Gloomy Planets“, einem der zentralen Songs dieser Nacht, mit stechend verzerrten Riffs der Gitarre nicht nur über die Bühne treiben, als werde er von den Sounds zerrissen, er sprang geradezu in den Song hinein. Und diese finsteren Planeten auf Kollisionskurs formten sich zu einem dynamischen Feuerball. Immer dichter und intensiver klang das, angetrieben vom peitschenden Drummer und elektronisch bearbeiteten Beats, gefüllt von warmen Vibraphon-Klängen, oftmals mit dem Bogen gestrichen, und einem mit Effekten aufgeladenen Fender Rhodes. Dazu die elektronischen Zutaten des Frickelmeisters Martin Gretschmann, der pumpende Bass von Micha Acher, dem Grundierer im Hintergrund und der Bläsersatz. Wow. Da war alles drin.

The Notwist ernteten Ovationen der knapp 2000 Besucher im ausverkauften Kulturstadion, und selten haben sie ihre Songs wohl als so lauten Chor gehört. Fast ein richtiges Popkonzert, obwohl die Musiker eher für den Gegenentwurf stehen. Markus Acher, der inzwischen bärtige Frontmann, der eher in sich gekehrte Intellektuelle, der in den Ansagen wie oft auch in den Songtexten zur Wortkargheit neigt, dankte mit einem freundlichen „Tausend Dank“. Das war’s. Die klare Ansage: Wir lassen unsere Musik sprechen. „Neon Golden“, nahe an der Tanzbarkeit, ein pulsierender goldener Fluss, der in einer grandios aufgeschichteten Klangkakophonie münden sollte, um dann zum Notwist-Hit „Pilot“ geformt zu werden, der auch mit Dub-Druck funktionierte. Zwischenzeitlich holte Gretschmann aus einer kleinen, die Hand füllenden, nervös blinkenden Zauberbox analog anmutende Synthie-Sounds heraus, zählte den Drummer und die Bläser ein – ein Dirigent im uniquen Sturmgebraus.

Mit „Off the rails“ wurde das vorläufige Ende des Konzerts herbeigerockt. Alles in Bewegung. Das Publikum, die Band, das vibrierende Stadion, als optischer Rahmen das festlich beleuchtete Rathaus der „City of Peace“. Klare Sache. Die Fans wollten mehr hören, und „The Notwist“ waren definitiv in Spiellaune. Markus Acher schien gar ein wenig die freudige Nostalgie überrumpelt zu haben. Er erinnerte an das erste Auswärtskonzert der Band, in Augsburg und einem Laden namens „Bootleg“ anno 1990. Emotional klang das, wie sonst nur die Songs. „Gravity“, das mit Krautrock versetzte „Day 7“ oder „Chemicals“ mit zufallsgeneriertem Synth-Solo vom „Shrink“-Album, die fast schon majestätische Ballade „Consequence“ und der rührende Shorty „Gone, Gone, Gone“. Drei Zugabenblöcke zum kompletten Glück, mehr als zwei Stunden feinster, zeitlos guter Musik. The Notwist sind noch immer mit der beste Pop-Export, den wir aufzuweisen haben. Und das Modular Festival an diesem Platz auch ohne Frauenfußball zu etablieren, das wäre ein Pfund für Augsburg, um das es andere Städte beneiden könnten.
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