Carstens Rückblick aufs Southside-Festival, 17.-19.06.2011, Neuhausen ob Eck
Schon Tage vor dem Southside habe ich angefangen zu beten. Dafür, dass ich dieses Jahr meine Eintrittskarte finde, dafür dass ich nicht schon wieder beklaut werde (oder die Diebe zumindest auf frischer Tat stellen und brutal bestrafen kann) und dafür, dass wetter.de Recht hat. Die hatten nämlich, im Gegensatz zu wetter.com, einigermaßen passables Wetter vorausgesagt. Eventuell leichte Regenschauer und so. Aber am Arsch, das Wetter – die Sau – hat es schon wieder getan.
Für die Festivalgänger hieß das mal wieder 3 Tage in Schlamm, Regen und Dreck leben. Aber zum Glück ist der Mensch sehr anpassungsfähig. Manchmal wunder ich mich selbst darüber, dass ich unter solch widrigen Umständen Spaß haben kann. Aber ist das Reinlichkeitsempfinden erst mal bis aufs Nötige runtergeschraubt und der Geist betäubt, geht der Rest von ganz allein. Nur sollte man auf gar keinen Fall seine Gummistiefel vergessen. Die sollten genau wie im vergangenen Jahr zum wohl wichtigsten Utensil werden.
17.06.2011
Wir kommen nachmittags gut gelaunt auf dem Parkplatz des Southside an. Das Wetter ist tatsächlich gar nicht schlecht. Schlamm ist nirgends zu sehen. Es wird doch wohl nicht etwa trocken bleiben? Ich schreibe ein paar triumphierende SMS in die Heimat. Etwas voreilig wie sich später rausstellen wird. Bevor man aber wirklich ankommt, steht erst noch die ekelhafte Schlepperei auf dem Programm. Da nimmt man schon keine Fressalien mit, beschränkt seine Alkoholvorräte auf in der Preis-Leistung unschlagbare Spirituosen, mietet sein Zelt so richtig schön dekadent und dennoch – sich vollgepackt und verschwitzt zum Zelt durchkämpfen gehört wohl einfach dazu. Auf halbem Weg kommt mir einer entgegen, schaut auf mein Gepäck und ruft: „Also Du will ich jetzt aber nicht sein“. „Recht hat er“, denke ich. Als er aber näher kommt und ich sein verbeultes, mit Pflastern notdürftig versorgtes Gesicht samt komplett zugeschwollenem lila Auge sehe, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich glaub, da bin ich doch lieber ich.
Vorbei geht es an den üblichen Extrovertierten. Menschen in Bärenkostümen, mit mäßig lustig-frivolen Schildern ausgestattete Bierdosenkicker, vollgemalte Teenies und so weiter. Mir alles egal, will nur endlich meinen Scheiß abladen. Und dann ist es geschafft, einer der alljährlich schönsten Momente des Southside. Das Zelt erreicht, seinen Krempel verstaut und das erste Bier in der Hand. Jetzt sind wir wirklich da und das Southside 2011 kann beginnen. Und da meine Mitstreiterinnen recht umtriebig sind, geht es schon bald aufs Konzertgelände, obwohl ich mir die erste Band erst für 22.30 Uhr angestrichen habe. Aber warum nicht, noch scheint ja auch die Sonne. Das muss man ausnutzen. Wir hören uns An Horse an. Wirklich nette Musik und auch eine ziemlich sympathische Band. Klingt ein wenig nach Tegan and Sara. Genau das Richtige für den Start. Weiter geht’s mit Boysetsfire und ihrem US-Post-Hardcore. Auch ganz nett. Melodisch rockig, es darf auch mal geshoutet werden.
Mein erstes wirkliches Highlight sind aber The Subways. Bis dahin ist aber noch Zeit, da kann man nochmal zum Zelt zurück und den Tetrapack auffüllen. Um 22.30 Uhr geht’s dann in Königslaune zur grünen Bühne. The Subways halten was ich mir versprochen habe: feiner Indierock einer tollen Band. Nur das Wetter ist mittlerweile umgeschlagen. Es regnet wie bescheuert und auch die ersten Matschsuhler treiben ihr Unwesen. Vor denen muss man sich hüten. Möchte echt nicht wissen, wie es bei denen im Zelt aussieht. Apropos Zelt, da zieht es uns jetzt hin. Denn im roten Konzertzelt ist es erstens trocken und zweitens spielen Bright Eyes. Die wollte ich schon lange mal live sehen und ich muss sagen: Es lohnt sich. Herzschmerz und Melancholie vom Feinsten, was Connor Oberst da von sich gibt. Toller Typ. Danach geht es schnurstracks durch den noch stärker gewordenen Regen zurück zum Zelt. Der ein oder andere Absacker hilft, dass ich gut schlafen kann.
18.06.2011
Der Samstag beginnt in etwa wie der Freitag aufgehört hat – kalt und klamm. Ein Kaffee und ein etwas fades Rührei bessern die Stimmung gleich ganz gewaltig. Kauend beobachten wir einen wirklich völlig verstrahlten Festival-Besucher. Ständig hebt er sich sein belegtes Baguette ans Ohr und redet dabei wirres Zeug. Keine Ahnung, wen er am anderen Ende vermutet. Auch beim öffentlich auf den Boden urinieren, gibt er ein eher unwürdiges Bild ab, legt er doch sein Brötchentelefon direkt vor sich auf den Boden. Ziemlich unschöne Sache das Ganze. Hier scheint ganz eindeutig Chemie am Werk zu sein.
Da meine Festival-Mitstreiterinnen sich wohl irgendwie im Wetter vertan haben müssen, führt unser erster Weg ins nahe gelegene Tuttlingen. Dichte Gummistiefel, Regenjacken und auch ein schicker Leoparden-Regenponcho werden gekauft. Während die Damen shoppen, mache ich ein Nickerchen im warmen und trockenen Auto. Vor lauter Gemütlichkeit unterläuft mir dabei ein riesiger Fehler – ich nutze die sicher um Längen sauberere Kaufhaustoilette nicht. Später werde ich mich dafür verfluchen. Ziemlich unflätig und laut. Denn Dixi-Klos sind etwas, an das ich mich auch nach so vielen Festivals immer noch nicht gewöhnen kann. Ich habe mal erlebt, wie ein paar Spaßvögel eines umgekippt haben. Der Typ, den wir anschließend aus der braunen Hölle befreien mussten, hatte pure Mordlust in den Augen. Hätte fast uns vermöbelt, weil er nicht wusste, wohin mit all dem Hass. Ich bete, dass ich sowas nie erleben muss.
Die erste Band, die ich heute unbedingt sehen will, sind die Blood Red Shoes aus Brighton. Die haben vor einer Weile mal im Schocken gespielt, tolles Konzert war das. Und auch auf dem Southside sind sie wirklich klasse. Was Schlagzeuger und Sänger Steven Ansell und seine bildhübsche Bandkollegin Laura-Mary Carter spielen, ist gepflegter Indie Rock. Und für nur zwei Leute auf der Bühne geht das ganz gut in die Beine. Auch das Wetter zeigt mittlerweile ein etwas freundlicheres Gesicht. Es regnet nur noch ab und an. Ändert zwar nichts am Schlamm, hebt aber trotzdem die Stimmung. Gut gelaunt geht es also zu Portugal. The Man. Spitzentypen aus Alaska sind das mit tollen Texten und melancholischem Gesang. Macht mir nicht mal was aus, dass sie dabei immer ein wenig hippieesk klingen. Und das ist eigentlich gar nicht meine Musik. Nach einer kleinen Stärkung am Zelt geht es dann zu einem weiteren echten Highlight – den Schotten von Glasvegas.
Die sind schon ein Original. Sänger James Allan sieht in seinen weißen Prollklamotten aus, als wolle er in einem kleinen schottischen Kaff Drogen verticken. Passend dazu macht er sich auch mal über den ein oder anderen Fan lustig oder fragt nach, ob es Hitlerfans im Publikum gibt. Das aber immer mit einem Augenzwinkern und diesem sausympathischen schottischen Akzent. Wenn Allan dann mit großer Stimme und noch größeren Gesten in Songs „It’s my own cheating heart“ oder „Daddy’s gone“ die Schattenseiten des Lebens besingt, merkt man, dass er nicht nur Prolet sondern auch Poet ist. Tolle Sache, nur leider viel zu schnell vorbei.
Jetzt wird sich am Asia-Stand erst mal wieder mit rotem Thai-Curry versorgt, dem meiner Meinung nach besten Essen, das man hier für Geld kaufen kann. Zu viert haben wir es in 3 Tagen auf gut und gerne 13 Portionen geschafft. Frisch gestärkt schauen wir uns Portishead an und genießen nach so viel Rock die großartigen leisen Momente. Einfach nur bewegend wie Sängerin Beth Gibbons mit geschlossenen Augen am Mikro steht und nicht nur von Weltschmerz singt, sondern ihn auch verkörpert.
Mit Eels wird es leider nix auf der roten Zeltbühne. Rappelvoll ist es und schon im Eingangsbereich wird gedrängelt und gedrückt. Nichts für mich. Also führt uns der Weg erst mal zurück zum Zelt vorbei an allerlei unzurechnungsfähigen Gestalten. Besonders herzig: ein Mädel, das sich den Weg aufs Dixi-Klo sparen will. Hinter einem Zaun auf der anderen Seite eines Hauptweges ist sie in Stellung gegangen, weil sie wohl dachte, dass der komplett mit Plakaten abgedeckt ist. Zielsicher findet sie aber die einzige Lücke zwischen den Plakaten und lässt ihren blanken Hintern im Scheinwerferlicht leuchten, sehr zur Belustigung einiger männlicher Zeitgenossen.
Den Rest des Abends schaffen wir es nicht mehr vor, obwohl ich die Chemical Brothers eigentlich gern gesehen hätte. Stattdessen sitzen wir im Trockenen vor dem Zelt und geben uns alle Mühe, den Pegel zu halten. Ist ja auch wichtig. Die Nacht wird kurz, da unsere Zeltnachbarn bestens gelaunt und mit einer Inbrunst, die ihresgleichen sucht, stundenlang den gleichen Song, oder genauer, immer nur den Refrain eines Songs singen. „My hero“ von den Foo Fighters. Das und der hämmernde Elektro von was weiß ich woher schaffen es, dass ich erst am frühen Morgen wirklich Schlaf finde. Am nächsten Tag gibt’s zum Frühstück noch eine Zugabe unserer Zeltnachbarn. Trotz allem ganz nette Typen übrigens.
19.06.2011
Den musikalischen Sonntag beginnen wir mit einem Kurzaufenthalt bei den Metallern von Kvelertak. Rockig geht es dann auch weiter und zwar mit Monster Magnet, einer echten Legende. Wundert mich, dass die schon um 15.30 Uhr spielen müssen. Frontmann Dave Wyndorf ist in die Jahre gekommen. Nichtsdestotrotz rockt er immer noch recht dreckig und ist so von sich überzeugt, dass wir es einfach auch sein müssen. Coole Sau.
Die nächste coole Sau lässt nicht lange auf sich warten. Maja Ivarsson ist mal wieder mit ihrer Band The Sounds da. Ich sehe sie zum gefühlten tausendsten Mal und bin tatsächlich schon wieder begeistert. Erstens weil der Poppunkrock der Schweden die Füße locker macht, zweitens weil Maja Ivarsson immer die besten Bühnenoutfits trägt und drittens weil der Auftritt einfach Spaß macht. Maja raucht, trinkt Bier, flucht und zieht ihren doch schon recht schlampigen Style gekonnt selbstironisch durch. Einen Gefallen sollen wir ihr beispielsweise tun: „If I say „jump“, I want you to say „How high, Bitch?“. Ja, Humor hat sie. The Sounds bringen die Masse und auch uns mit Hits wie „No one sleeps while I’m awake“ und „We’re not living in America“ zum tanzen. Maja und auch ich erinnern uns an ihren ersten Southside-Auftritt. Der war mittags und es waren nicht gerade viele da, um sich den Auftritt anzuschauen. Das sieht mittlerweile ganz anders aus, sauvoll ist es hier.
Im Anschluss schauen wir auf den Tipp einer meiner Begleiterinnen Two Door Cinema Club an, von denen ich dachte, dass ich sie gar nicht kenne. Irrtum, werden sie doch des Öfteren auf Motor FM gespielt und auch beim FIFA 2011 wird gern damit untermalt. Recht cooler Indierock, da kann man nicht maulen. Die gute Laune geht also weiter.
Auch bei Gogol Bordello, die der Menge mit ihrer Mischung aus traditioneller Sinti- und Romamusik, Punk, Dub und Ska ordentlich einheizen. Mittlerweile ist es sogar warm und die Sonne lässt sich blicken. Lustig, während der Schlamm unten noch matschig an den Füßen klebt fliegt er einem oben in anderem Aggregatszustand schon wieder um die Ohren und brennt wie Sand in den Augen.
Die letzte Band meines Southside 2011 werden die Briten von Kasabian. Kannte ich vorher auch nicht wirklich, begeistern mich aber. Sick Of It All hätte ich ganz gern gesehen, ich bin aber viel zu kaputt. Und außerdem haben sie ja erst neulich in Stuttgart gespielt. Wir wollen jetzt nur noch nach Hause, wo eine Dusche, ein warmes Bett und saubere Klamotten warten. Das Southside hat sich wie die Jahre zuvor wirklich gelohnt. Viele gute Bands, nette Leute und ordentlich was zu lachen. Diesmal ist uns außer einem Campingstuhl auch nichts geklaut worden, toll. Nächstes Jahr sind wir aller Voraussicht nach wieder dabei. Aber dann bitte bitte bitte mal wieder mit Sonne und ohne Gummistiefel.
Captain-Future-Stiefel – ein Traum!
Launiger Text, sehr schön!
Gell, die Stiefel sind der Hammer! Als Kind hätte ich dafür gemordet!