MONO, MICROPHONICS, 01.06.2011, Jugendhaus West, Stuttgart
Japan erscheint für uns fern und fremd. Oft klingt es ja so, als sei Japan kein besonders märchenhaftes Land: Es ist eine der größten Industrienationen der Welt und ihr urbaner Küstenstreifen eines der am dichtesten bevölkerte Gebiet der Erde. Die kollektivistische japanische Kultur erzwingt eine starke Unterordnung der Menschen unter soziale und betriebliche Strukturen und Verhaltensnormen. Schon an Schulen und Universitäten herrscht Drill statt vorsichtig fördernde Pädagogik. Und das Zeigen starker Emotionen ist noch verpönter als bei uns. Wir nehmen das häufig als Entindividualisierung wahr, welcher sich die Menschen dort unterwerfen. Zuletzt beherrschte Japan mit den versammelten Ergebnissen einer technischen Fehlein- und teilweise sogar Selbstüberschätzung die Nachrichten.
„Someday, the earth will be beautiful again?” she asked, arranging a dry leaf into his hair.
– (Burial At Sea)
Bei Mono allerdings klingt es so, als sein Japan ein märchenhaftes Land. Klar, denkt man sich und hat exotische Kleidung, Architektur und Steingärten vor Augen und vielleicht das berühmteste japanische Bild von Katsushika Hokusai. Es muss ein märchenhaftes Land sein, wo man sich Erlebnisse wie die von Prinzessin Mononoke erzählt und sich die gesamte Gesellschaft an Kirschblüten erfreut. Es ist ein Land, aus dem uns die schönsten Geschichten im Gewand zarter Klänge und weicher Gemälde erreichen – erzählt von Mono.
Swiftly as a draft of wind, moving past her without a trace, Time, cold and unbending, leaves her standing alone once again.
– (Ashes in the Snow)
Bevor jedoch Mono dieses Japan im Juha West entfalten kann, holt uns Microphonics, das aktuelle Ein-Mann-Projekt von Dirk Serries (vidnaObmana, Fear Falls Burning), aus dem Alltagsstress herunter. Mit einer E-Gitarre und gefühlten drei Dutzend Effektgeräten erschafft der Belgier schwebende Drone-Landschaften, die praktisch bar aller Melodien oder Rhythmen nicht nur in ihrer Instrumentierung auf das Minimum reduziert sind, ohne dabei auch nur einen Moment langweilig zu werden. Im fast vollständig dunklen großen Saal des Jugendhauses steht das Publikum gebannt lauschend still wie die chinesische Terrakotta-Armee. Es könnte fast gespenstisch sein, wenn einen der warme Klang der Gitarre mit ihren gelegentlich herausschwingenden Obertönen nicht so gefangen nehmen würde. Sicherlich: Einem Teil des Publikums passiert in diesem einen vollimprovisierten Stück von Microphonics zu wenig, und es verlässt den Saal. Der bleibt aber trotz allem gut gefüllt und applaudiert schließlich begeistert. Ja, hier hat der Drone Doom ganz deutlich Züge des Dark Ambient angenommen, wie ich ihn schon bei Raison d’être geschätzt habe: ganz ruhig, atmosphärisch und völlig lichtlos.
Like spring that is born from a cruel winter, there is something here waiting to be born.
– (Ashes in the Snow)
Mono ist einfach schön. Und melancholisch. Viel gibt es nicht zu sehen, in dem knallvollen Raum. Bis auf Tamaki, die mit einem kleinen paillettierten Schwarzen angetane Bassistin und Pianistin sitzen alle Musiker. Vier sind es, Yoda und Taka an den Gitarren, Yasunori am Schlagzeug. Kein Gesang. Kein Mikro für Ansagen. Aber das sind Oberflächlichkeiten, die sich verwischen zugunsten der Musik, die sie gleich anstimmen. Ja, es ist Postrock, zu dessen bedeutendsten Vertretern die Band auch gehört, und, ja, es wird viel mit dem einfachen Mittel gearbeitet, aus Reihen von Sechzehnteln Klangatmosphären zu weben. Das Besondere aber sind die wunderbaren Harmonien, zu denen sich das zusammen fügt. Klar und hell, nur in den wenigsten Fällen mal mit verzerrter Gitarre. Hell, aber immer voll von Melancholie, voll von einer märchenhaften, schmerzvollen Schönheit. Ein Großteil der sehr langen Stücke, die wir heute hören, stammt vom fünften, 2009 erschienenen Album „Hymn to the Immortal Wind“. Das Kammerorchester, das mit zur klanglichen Wärme des Albums beiträgt, fehlt hier zwar, und einige Stücke können so auch nicht auf die Bühne gebracht werden. Aber das tut dieser Musik keinen Abbruch.
„This tree is stronger than us now. When we are no longer on this earth, it will continue to grow. We can leave our memory with this tree,” he spoke.
– (Burial at Sea)
Mono bedient sich des gesamten Lautstärkespektrums, das auf einem Live-Konzert möglich ist. Von den leisesten Passagen wie am Anfang von “Pure as Snow (Trails of the Winter Storm)”, bei denen das Publikum mucksmäuschenstill sein muss (oder sein müsste), um alles zu hören, bis zum vollen Pegelausschlag, für den man mit Ohrstöpseln gut vorbereitet ist – von leisen Klaviermelodien und zart angeschlagenen Becken bis zu Gitarrenkaskaden wird alles ausgeschöpft. Dabei liegt die eigentliche Dynamik, wie Jeremy deVine richtig feststellt, weniger zwischen leise und laut, sondern zwischen dunkel und hell. Die Musik beschreibt dabei mit ihren zarten Klängen eine lange Reise durch einen dunklen Tunnel ins Licht, ganz genauso wie Heeya Sos kurze märchenhafte Erzählung „Hymn to the Immortal Wind“, die dem Album den Namen gab und im Booklet abgedruck ist.
My journey always brings me to / The place between wake and sleep, / A landscape of memories, / Where you and I meet again and again.
– (The Battle to Heaven)
Damit wird das Album – anders freilich als das Konzert – zu einem synästhetischen Erlebnis. Obschon es rein instrumental ist, hat es einen Text – oder stellt vielleicht auch die Vertonung dieses Textes dar. Zugleich ist es sensibel illustriert mit einer Bilderserie von Esteban Rey. Es ist die Geschichte zweier Menschen, deren Welt von einem grausamen Winter heimgesucht wird, der alles Leben erstickt und ihr Dorf entvölkert. Das Mädchen und der Junge finden ein noch nicht erfrorenes Bäumchen, das sie gemeinsam neu einpflanzen und mit dem Schwur, eines Tages dorthin zurückzukehren, gegen das unwirtliche Wetter schützen. Gemeinsam fliegen sie von einer Klippe in einen Traum, der andauern soll, bis der Winter vorbei ist. Doch ihr Problem wird darin bestehen, dass sie sich an ihren Schwur erinnern können müssen, um zurückzukehren. Jeder Schritt ihrer Reise spiegelt sich in der Musik, die von derselben traumhaften Entrückung lebt. Am Ende dann hat sie uns weit aus unserem Alltag fortgetragen, so wie jene Reise die beiden Menschen. Am Ende dann gipfelt das Konzert in dem erhabenen „Everlasting Light“, das auch das Album beschließt. In diesem Kapitel finden sich die beiden letztlich wieder und erreichen gealtert den nun hochgewachsenen Baum. Egal, ob das Publikum diese Geschichte nun gelesen hat oder nicht, hat es diese Reise aus dem Dunkel ins Licht doch schon durch die Musik allein miterlebt. Es war begeistert. Von einem romantischen japanischen Märchen. Von einem bewegenden Abend. Mono ist einfach schön.
When she turns, sitting before her is an old man watching her faithfully. Blessed to have reached this day together, they laugh as spring finally awakens around them.
– (Everlasting Light)
Man beachte den Origami-Kranich am Effektgerät – ein japanisches Symbol gegen den Atomkrieg.
Wiederhol mich gern…sehr schöne Bilder ;)