Jägermeister Wirtshaustour mit PEACHES, BAG RAIDERS, DJ aUtodiDakt, 19.05.2011, Calwer-Eck-Bräu, Stuttgart
Wie Zombies in ihrer Gier nach lebendem Fleisch rückt die tanzende Meute im Calwer-Eck-Bräu dem Alien hinter dem behirschhornten DJ-Pult Stück für Stück näher: zuerst tanzen sie vor den fest eingebauten Tischen, dann auf den Bänken, den Tischen, den Geländern, den Lautsprechern, auf der Bühne und schließlich um den Star des Abends herum, als wäre Peaches das goldene Kalb…
Richtig, Peaches im Calwer-Eck-Bräu. Die Marketingstrategen des Kräuterlikörherstellers Jägermeister, die bereits seit 2004 die Jägermeister Rock:Liga veranstalten, haben sich etwas Neues ausgedacht, um in der Post-Loveparade-Ära in der Electroszene hip zu bleiben: die Jägermeister Wirtshaustour. Peaches (heute als DJ) und die Electro-Newcomer Bag Raiders, unterstützt vom Lokalhelden aUtodiDakt, rocken das rustikale Calwer-Eck-Bräu, veranstaltet und gesponsert von Jägermeister. Das Konzept ist klar: die kommerz-unbefleckte Empfängnis Independence soll dem mit Likör verkleckertem Kittel der Industrie die Reinheit der Credibility verschaffen. Der Gegensatz zwischen dem deftigen Ambiente der Kneipe (angereichert durch Musikantenstadl-Malerei mit Jägermeistermotiven) und der Stuttgart-Kaputtraven-Atmospäre möchte sein übriges tun. Mache ich mich also zum Erfüllungsgehilfen, erwähne mehrfach Jägermeister, preise die Veranstaltung und schreibe über die Acts – diese sind nämlich ziemlich cool:
Jack Glass und Chris Stracey a.k.a. Bag Raiders kommen aus Australien und legen in diesen Tagen ihr erstes gleichnamiges Album vor. Dancefloor aus Down Under? Da war doch mal was… The Avalanches aus dem Jahr 2000, die mit ihrem Hit „Since I Left You“ damals immerhin den MTV-Award fürs beste Video gewannen. Das war ein guter Song. Die Sample-Spezialisten The Avanlanches haben mit den Bag Raiders nur wenig gemein, doch fällt auf, dass beide Projekte trotz Dancefloor etwas Basis-Entspanntes im Sound haben. Das muss an der Herkunft liegen…
Bag Raiders jedenfalls plündern den Partypopbeutel der letzten Jahrzehnte. Hinter einem Synthie-, Keybord- und Drumpad-Regal stehend, singen sie in diesem Electro-Soul-Stil, den bespielsweise International Pony ironisierend zum Besten gaben (Nuller Jahre). Um den Showfaktor zu erhöhen, wird zwischen durch wild auf den Pads getrommelt, Safri-Duo lässt grüßen (späte Neunziger Jahre – faktisch 2000). Es herrscht Spielfreude, es wird sehr viel gelächelt auf der Bühne. Peaches tänzelt derweil hinterm DJ-Pult. Ein weiteres Stück bedient sich aberwitzig komplexen Klavierfiguretten wie damals der Italian-House-Klassiker „Grand Piano“ von The Mixmasters, der bei Bernie Berntalers Hithouse Radio 107,7 gefühlt in der Dauerschleife lief (frühe Neunziger Jahre – faktisch 1989).
Bag Raider Chris sieht übrigens aus wie Motorbike Rider Gareth, coolest Kiwi on Earth, der vor vier Jahren mit seiner Frau von Stuttgart nach Kapstadt mit dem Motorad fuhr. Das schreibe ich allerdings nur für mich selbst.
Das instrumentale Slow-Beat-Stück „Prelude“ klingt wie ein C-64-Dystopie-Ballerspiel-Soundtrack (tiefe Achtziger Jahre). Leute, die so was gespielt haben, wissen was ich meine. Jack und Chris verlieren sich geradezu im Schräubchendreh-Geblubber… an dieser Stelle erkennt man, wo sie eigentlich herkommen, gefällt mir natürlich wahnsinnig gut. Zum Schluss wird noch mal richtig aufgedreht, die Jungs schnappen sich wieder ihre Mikros und liefern in ihren beiden abschließenden Stücken tanzbaren und ungemein groovigen Dancefloor-Pop ab, wirklich tolle Songs. Ob man allerdings den Track „Sunlight“ wie im Pressetext formuliert als zukünftigen Live- und Festival-Klassiker bezeichnen muss, weiss ich nicht.
Endlich, gegen halb eins geht Merrill Beth Nisker, also Peaches, an den Start und übernimmt von InterimsDJ aUtodiDakt, dessen eklektizistischer New Break Beat viel Spaß macht. Miss Electro Clash, grellbunt geschminkt und kostümiert wie ein Sternenkriger in einem Sci-Fi-LARP, präsentiert dem angeheizten Publikum brettharte Electrotracks, man könnte Techno Clash sagen. Thomas Wir nennen es Party Geyer nennt so etwas Elektrogeboller, stimmt genauso. Manch einer wünscht sich, dass Frau Nisker etwas von ihrem Material zum Besten gibt, macht sie aber nicht, kreischt dafür immer wieder begeistert Stuttgart ins Mikro. Man möchte es ihr abnehmen. Wer wissen will, was auf einem Peaches-Konzert passiert und wie das aussieht, möge hier nachlesen.
Langsam, wie Zombies in ihrer Gier nach lebendem Fleisch, kriecht die tanzende Meute im Calwer-Eck-Bräu dem Alien hinter dem behirschhornten DJ-Pult Stück für Stück näher…
Witzig, so eine Schnapsparty mit U18-Publikum ;)
Klingt nach nem spaßigen Abend! sehr unterhaltsam verfasst Herr b/
und – brauch man ebenso schon fast nicht mehr zu erwähnen ;) – Tolle Aufnahmen und … vor allem auch gutes Schluckspecht Bild, Herr S/
Ach, wär gern dabeigewesen. Habt Dank für den klasse Bericht und die gewohnt sensationellen Bilder.