GRAVEYARD, 20.04.2011, Zwölfzehn, Stuttgart

Graveyard

Foto: Steffen Schmid

Seit Mitte der 1990er brodelt es im schwedischen Örebro. Wie mir Magnus Pelander mal bei irgendeiner Gelegenheit erzählt hat, war es ein Einzelner aus dem Freundeskreis, der damals plötzlich diese Rock-Platten aus den 1970ern anschleppte und mit dieser Entdeckung eine Welle von Örebro-Doom anstieß, die mit bis heute zunehmender Höhe über die westliche Hemisphäre rollt. 1995 gründeten sich dann Norrsken als erster Psychedelic Rock-Offspring, mit drei Demos an Veröffentlichung noch relativ arm. Aus deren Auflösung 2000 gingen neben den von Magnus gegründeten Witchcraft eben auch Graveyard hervor, die uns heute endlich im Zwölfzehn beehren. Vor zwei Jahren waren die beiden Bands sogar gemeinsam auf Tour, machten aber einen Bogen um Stuttgart.

An Bandgründungen aus diesem Umfeld gibt es aber noch mehr zu verzeichnen: Norrsken-Schlagzeuger Kristoffer Sjödahl machte nach dem Ende von Norrsken mit Dead Man weiter, familiär verbunden ist Norrsken- und Graveyard-Sänger Joakim Nilsson mit Asteroid, aus Witchcraft ergaben sich unterdessen Troubled Horse und die herrlichen, wenn auch musikalisch etwas anders orientierten The Winchester Widowmakers. Alles Örebro. Wobei man, wenn man schon diese illustren Namen aufzählt, die musikalisch verwandten Schweden Horisont und Sienna Root nicht unerwähnt lassen sollte.

Graveyard

Foto: Steffen Schmid

So, das sollte mal reichen, um jedem Suchenden einen ersten aktuellen Psychedelic Rock-Overkill zu verpassen, es sei denn man wollte sich noch mit Spirit of the Dead beschäftigen, die für Graveyard als zweite eröffnen. Die erste Band des Abends, die Stuttgarter King Chrome, orientieren sich ja mehr am Südstaaten oder Stoner Rock. Der Vierer aus Oslo allerdings mischt eine ganze Reihe verschiedener musikalischer Einflüsse aus dem klassischen Psychedelic Rock mit einigen aus dem Stoner-Bereich, ohne sich einzelnen Vorbildern zu sehr anzubiedern. Freilich kommt hier dieses Feeling noch nicht so richtig auf, das den späteren Abend kennzeichnet. Die vielteiligen Stücke wechseln das Tempo fortwährend und schwanken zwischen ruhigen Passagen mit getragenen Solomelodien der Gitarre oder ganz leisen Klängen, die an Colour Haze erinnern, und heftigen aber immer nur kurz auftretenden Riffs. Als Anspieltipp möchte ich auf den selbstbetitelten Song verweisen. Bei ihrem kurzen Auftritt lassen die Jungs nichts anbrennen, so springt Sänger Ragnar Vikse beispielsweise auf die Bar, um das Publikum anzuheizen. Die Band ist kein schlechter Einstieg, kann aber mit dem Löwenanteil des oben genannten leider irgendwie nicht so ganz mithalten.

Dass Graveyard heute alles an die Wand spielen, war jedoch ohnehin klar. Über die Publikumszahlen können sich Radio Clash und das Zwölfzehn nicht beschweren, auch wenn die zahlreichen Vertreter von Graveyards neuer Plattenfirma Nuclear Blast nur die Getränke mit Geld bezahlen, den Eintritt aber einfach mit ihrem guten Namen. Der Getränke-Fluss ist nicht unerheblich, auch gehen der Bar schon bald die Biergläser aus. Da ja Freitag und nicht Donnerstag Feiertag ist, halte auch ich mich ans Bier, wenngleich ich feststellen muss, dass der Sound der Schweden auf etwas ganz anderes Lust macht: Ähnlicher Farbbereich, etwas dunkler, schärfer, rauchiger – und ohne Kohlensäure.

Graveyard

Foto: Steffen Schmid

Nicht schwer zu sagen, woran das liegt. Vintage Sound. Psychedelischer Blues Rock mit phantastischer Stimme à la Led Zeppelin. Eingängige kraftvolle Gesangsmelodien mit griffigem Text. Etwa bei „Hisingen Blues“: „Nothing lasts forever“. Das kann der Örebro-Doom ohnehin gut. Wenn auch hier ganz ungewöhnlich schnell. Der ganze Sound ist rauchig. Vor allem die Stimme. „Uncomfortably Numb“ dann ist freilich nur beim Titel an diesem anderen Song angelehnt. Es ist der ruhigste und langsamste Song. Schöner Blues. Tut weh. „We both know we drift apart“, singt Joakim. Sie treffen einfach den Ton. Und man bekommt Durst – um dieses zuschnürende, kratzige Gefühl im Hals loszuwerden. Da bleibt man nicht distanziert. Kann ich auch beim Schreiben nicht, zumal nebenher wieder das neue Graveyard-Album läuft.

When was the last time that you felt alive?

heißt es in “Bying Truth”, bei dem sich – schon einige Songs später – die zwei Gitarrenmelodien gegenseitig voran treiben, gehetzt vom Schlagzeug. Das hat schon deutlich zugenommen seit dem ersten selbstbetitelten Album, von dem wir neben einer ganze Anzahl anderer Songs auch „Thin Line“ zu hören bekommen, das ganz deutlich zeigt, in welchem Punkt Witchcraft, Graveyard und Asteroid zusammen hängen. Und das ist ja auch gut so, bei dem musikalischen Turkey, auf dem uns Witchcraft zurück gelassen haben, muss man doch stündlich mit deren Auflösung rechnen. Zum Schluss bekommen wir noch eine Zugabe. „Very nice to be here“, sagt einer der Musiker, nicht Joakim, ich kann aber nicht sehen, wer. Das ist mehr eine Aussage über das eigene Empfinden als Publikumslob und damit sehr sympathisch. Auch weil man sich direkt anschließen kann. Doch bald schon ist das Konzert vorbei. Noch auf dem Nachhauseweg geht mir immer wieder der Aufschrei des Publikums durch den Kopf: „We want more, more, more“. Graveyard sind und bleiben eben „Satan’s Finest“.

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