HAGEN RETHER, 13.04.2011, Renitenztheater, Stuttgart

Foto: Promo

Nimm das Publikum, konfrontiere es mit der Schwärze jenseits der Flimmerkästen und veröffentlichten Meinungspanoramen, entführe es in die Schatten, belade es mit Wahrheiten, halte ihm den Spiegel vor, entreiße ihm Klischee um Klischee aus der sorgsam arrangierten Komfortzone, quäle es mit Bitterkeiten, mit Zerwürfnissen, mit grundsätzlichen Schieflagen und belehre es. Nimm dazu eine Bühne, bestückt mit einem bequemen Sessel und einem Klavier, streife einen Anzug über, wähle die sanfte, charmante Rhetorik, sei der smarte Luzifer, der ruhige Lichtbringer bei kontrollierter Kernschmelze, sei Tiger im Mäntelchen des Bettvorlegers, sei beschafspelzter Wolf.

So oder ähnlich lauteten wohl die Empfehlungen des Kabarett-Internats an Hagen Rether, der ja eigentlich Bauingenieur werden wollte, doch von den Eltern in eben jenes Internat geschickt wurde – wie er gegen Ende seines Programms „Liebe“ versichert.

Bequemlichkeiten werden im Renitenztheater üppig verteilt, keine harten Bänke wie sonst, sondern Kinosessel vor sattrotem Behang, 260 der Zahl nach. Bis auf wenige freie Plätze ist die Bude voll, und erntet von Hagen Rether, der nach sechs Jahren mal wieder da ist, auch gleich ein Lob. Bevor der Künstler seinerseits Platz nimmt und ohne großes Tamtam beginnt. Entspannt bis müde gibt sich Hagen Rether zunächst, anschaulich genervt und tendenziell selbstgerecht, eine Attitüde, die er den Abend durch beibehalten und oft mit Grimassen untermalen wird. Das irritiert und wirkt etwas gekünstelt, bis man sich dran gewöhnt hat.

Guttenberg macht den Anfang. Wäre ein dankbares Opfer für den ein oder anderen Lacher, doch Rether verzichtet und stellt klar, dass der Vonundzu nur ein kleines Lügenlichtlein im Vergleich zu den Scheinwerfern anderer Verdächtiger ist, beispielsweise Hindukusch-Verteidiger Peter Struck. Wenn man so will, ist Gutti ein Bauernopfer der überaufgeregten Schlagzeilenindustrie, die den einen hängt, während sie den anderen laufen lässt, und dabei ihrerseits nach nichts anderem als Öffentlichkeit und Ruhm strebt. Die so erzeugten propagandistischen Allerweltsmeinungen sind es, die Hagen Rether durch den Abend weg angeht, die er bekämpft, an denen er ein Stück weit verzweifelt.

Über den Islam, die alte BSE-Panik, über Afrika (dessen Völker man jetzt plötzlich für Menschen halten muss) und den neuerdings bösen Gadaffi, über die Schlaglichter, die derzeit durch die Presse geistern, kommt Rether zum ersten schillernden Platzhalter für all die Heuchelei, zur Kirche. In jenen Katakomben verweilt er eine umfassendere Textpassage lang, beißt sich fest und hantiert das erste Mal mit etwas Gift. Der christliche Glaube ist dort ein auf Verachtung basierendes, ziemlich teures Superkonstrukt, wo die einfachen Werte wie Empathie und Mitmenschlichkeit völlig ausreichen würden. Wer mag dem Kabarettisten da nicht dankbar zustimmen.

Nach dem ruhigen, vielleicht etwas lahmen und eine Spur zu geschwätzigen Anfang dreht Rether auf. Er setzt sich ans Klavier. Und das ist der erste Höhepunkt des Abends. Unterlegt vom Klangteppich harmonischer Töne wendet er sich dem Integrationsterror zu, den darin mitschwingenden provinziellen Ausländerklischees, dem Wahnsinn des Bildungssystems, der Religion als solcher. Bittere, zuweilen hochgiftige Gesellschaftskritik, gallig erbrochene Pointen zu den Werten der westlichen Klugscheißerdemokratien, an denen die Welt zu genesen habe, fordern, zumal angesüßt von Klavierklängen, das schlechte Gewissen des Publikums heraus. Nein, luschdig ist das nicht, von Fröhlichkeit kann keine Rede sein, das ist gnadenlos, böse, also genau so, wie Kabarett sein muss. Am Rand des Erträglichen.

In aller gebotenen Ruhe flaniert Rether so die Themenpromenade der großen Meinungsmacher entlang, schlendert über die Schau- und Gemeinplätze, und bleibt da und dort spontan stehen, um vor ein Schaufenster zu kotzen. Der Feindbildtrash des sogenannten Westens zu China, zum fernen Osten, zum Kommunismus, zur somalischen Piraterie liegt ihm dabei nicht weniger schwer im Magen wie die Weltmoral, vertreten durch die USA und manchem innerdeutschen Discountjournalismus mit seiner mikrowellengeeigneten Bagatellproduktpalette, die uns abfüttert und damit ruhig stellt.

Bisweilen hat das Wehklagen seine Längen, besonders zum Ende hin, da sich manche Wiederholung dann doch zu oft einschleicht. Auch schleift sich Rethers dauerndes Mahnen mit der Zeit ab. Abgesehen davon ist die Rethersche Kopfwäsche mit Schleudergang eine klare Empfehlung wert. Man nimmt was mit von dem Abend, und man ist durchaus mitgenommen.

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