GEORG SCHRAMM, 22.03.2011, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Achim Kaeflein

Die Front.
Reihe B, Platz 19 und 20.
Unmittelbar vor uns: Die Bühne, betischt, bestuhlt.
Im Scheinwerferlicht: August, der kleine Mann, eingehüllt in stete Klagelaute, oder: Captain Frohsinn alias Oberstleutnant Sanftleben, Fachrichtung blutig, oder: Lothar Dombrowski, der zornige, vom Alter geadelte Weltenseher mit vollhistorischem Panoramablick, oder (einmal): Der namenlose Pharmareferent. Hinter uns: das T1, im Dauerregen scharf geschlagener verbaler Schmetterbälle, ausgiebig belacht, beklatscht, beschallt.

Wenig eint Georg Schramms Figuren, wenig mehr als ihr Gefühl, sträflich ungehört zu bleiben. Ein Gefühl, an dem sie sich, jede mit ihrer eigenen Vehemenz, ausdauernd abarbeiten. ‚Meister Jodas Ende‘ heißt das neue Programm dazu, und was drinsteckt, ist scharfzüngiges Kabarett der Sorte aufwiegelnd, aufbrausend und bitterschäumend.

Den Anfang macht Kleinbürger und Paradesoze August. Mit Duckmäuser-Buckel trabt er unter Applaus herein, ein Luftgewehr in der Hand. Er zerkaut sein Hessisch, während er von der Muddi, der verstorbenen Frau, vom Schrebergarten plus Bahndamm, vom SPD-Ortsverein und seinen Enkeln berichtet. Ganz nebenbei bekommen die Rückkehrerin Andrea Nahles und das Nr.1-Feindbild der politischen Linken, Josef Ackermann, ihre gesunde Portion Fett weg, für letzteren wäre August das Engagement eines russischen Killers eine ganze Monatsrente wert. Informiert ist der August übrigens auch, liest Zeitung, wobei er die BILD nur für sein Hobby kauft – Seite-1-Fotos aufhängen und per Gewehr abknallen.

Mit Klagen und Kläglichkeiten ist es dann aber auch schon vorbei, der zweite Rentner des Abends, Lothar Dombrowski, gehört eher zur Gattung Kampflinie und Breitseite. Als Vorsitzender des Seniorenvereins ‚Altern heißt nicht trauern‘ setzt er sich an den Tisch und legt los. Vom Schrebergarten geht’s über Mappus und den Sozialkriegsschauplatz Deutschland im Handumdrehen auf die Weltbühne und in die große Geschichte. Jedes Jahrhundert beginnt mit einem Ereignis, welches die epochalen Geschicke desselben als eine Art Grundmetapher vorwegnimmt. Im Zwanzigsten war das der Untergang der Titanic, im Einundzwanzigsten könnten es die aufgeplatzen Reaktoren von Fukushima sein. Anflüge von Applaus empfindet Dombrowski als Störung und unterbindet sie sofort mit einer Glocke, was erstaunlich gut klappt, er hat das Publikum im Griff.

Der (soldatisch-gefühlte) kriegsähnliche Einsatz in Afghanistan bildet die Überleitung zum Dritten im Bunde, Oberstleutnant Sanftleben, erneut angetreten als fröhlicher Referent in Sachen Kriegs-, Schlachten- und Waffenlogik. In seinem militärischen Eifer verschluckt er manche Silbe, während er Gedankenspiralen zu zwei Artikeln des Grundgesetzes vorexerziert, die den Angriffs- und Verteidigungskrieg betreffen. Es muss sich um etwas wie ein Notstandsgesetz handeln, denn wenn Merkel tatsächlich auf die Idee kommen sollte, den erhöht kriegsverdächtigen Afghanistaneinsatz als Krieg zu bezeichnen, ihn also auszurufen, ließen sich für diese Zeit Wahlen aussetzen (so nebenbei: ich wusste das nicht). Unmissverständlich heiter wie hämoglobin referiert Sanftleben weiter, wir streifen Oberst Kleins Schießbefehl, gefüllte deutsche Leichensäcke, den eigentlichen Kriegssinn, der keiner mehr ist (plus Clausewitz-Zitat), und lassen uns erläutern, wie jagt- und kriegstechnisch wichtig unser aller Testosteron ist beziehungsweise in der Steinzeit war.

Das Alter und der Krieg, sozusagen die private und berufliche Form des Ablebens, bilden die beiden Zentren, um welche August, Sanftleben und Dombrowski kreisen. Mal enger und mal weiter sind die Halbachsen jener Ellipsen, und auf den Bahnen bleibt Platz für ein ganzes Planetarium trefflicher An-, Tief- und Weitsichten. Weltkriegstraumata, moderne ballaststoffarme Magensonden plus Mehrtageswindel, in Altenheimen eingekerkerte Hilflosigkeit, die technische Umsetzbarkeit der Selbsttötung. Daneben, die Gier als solche, welche sich nur durch den Erwerb, nicht durch den Besitz befriedigen lässt. Mit bei, Banker in Börsengruppen, bestehend aus abgeworbenen wissenschaftlichen Eliten, die, anstatt zu forschen, lieber Millisekundengeschäfte rund um den Globus jagen. Mit bei Betrachtungen zu Roosevelts USA nach der späten Neunzehnzwanzger-Weltwirtschaftskrise, als der New Deal Act die Dollars von reich nach arm umverteilte. Mit bei Fachmessen zur gezielten Bekämpfung aufmüpfiger Wutbürger, Studi-21-Pfefferspray und Wasserwerfer sind Mittel von gestern, heute hat man den Silent Sheriff zur Hand. Mit bei die europäische Asylpolitik, die aufgestellten Flüchtlings-KZs in Nordafrika, jene maritime Privatarmee, die Bootsflüchtlingen auf hoher See Wasser und Benzin abnimmt und sie anschließend ihrem Schicksal überlässt.

Der Agitator Dombrowski (Hauptrolle), der Soze August, der Landsknecht Sanftleben (Sidekicks), drei Figuren, die mal solo vorsprechen, mal im Dialog (mit Pharmareferent), und ganz nebenbei atemberaubendes, gewaltiges, gehaltvolles, über weite Strecken bitterböses wie erkenntnisreiches Kabarett der absoluten Oberklasse bieten. Auch jene Pissrinne-Schimpftirade zu politischen Talkshows, mit der Dombrowski einst die Gemüter des Scheibenwischers erhitzte, darf da nicht fehlen, und er ist so ordentlich gepfeffert wie damals.

Lobhudelei, vielleicht. Die Bekenntnisorgel auf höchst angespitzten Tönen, womöglich. Den eigenen Befindlichkeitssturm per Gorch-Fock hart angesegelt, kann gut sein. Man ist ja auch Fan, und verzeiht es sich, selbst dann, wenn es kritisch zugehen sollte. Man verbeugt sich vor einem großen Kabarettisten. Kann nicht anders als Georg Schramm in den Walk-of-Fame des deutschen Kabaretts zu stanzen. Nur deshalb einhändig, weil die andere Hand fürs (vermutlich vergebliche) Dahinstammeln eines möglichst angemessenen Artikels frei bleiben muss. Mit dieser Einsicht kommen die Mühen nun zum Ende.

Denn ‚Meister Jodas Ende‘ ist nichts weniger als meisterhaft.

Ein Gedanke zu „GEORG SCHRAMM, 22.03.2011, Theaterhaus, Stuttgart

  • 27. März 2011 um 11:41 Uhr
    Permalink

    Aus der Anstalt entlassen, scheint der Schramm noch schärfer zu schießen! Grossartig!

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