DEINE LAKAIEN, VIC ANSELMO, 16.02.2011, Theaterhaus, Stuttgart

Deinen Lakaien

Foto: Sue Real

Raphael, der dreijährige Sohn von Bettina, bekam zu Weihnachten eine Ukulele geschenkt, die für ihn natürlich ungefähr die Dimension einer Gitarre hat. Nachdem wir ihm einen Schal dran gebunden hatten, der als Gitarrengurt fungierte, war er nicht mehr zu bremsen. Auch am nächsten Morgen noch, als seine Eltern noch im Bad waren, hat er sich das Ding gegriffen und zu mir gesagt: „Also Du bist Alexander Veljanov, und ich bin Ernst Horn“, und fing an, sein Instrument zu traktieren. Gute Sachen sprechen sich halt rum.

Vic Anselmo

Foto: Sue Real

Dabei ist das Programm, mit dem Deine Lakaien und Vic Anselmo, den Abend eröffnen, gar nicht kindgerecht – eher etwas, das die Norweger Ulver als „A Quick Fix in Melancholy“ bezeichnen würden. Die lettische Sängerin Vic Anselmo, die ansonsten mit voller Gothic Band-Besetzung auftritt, präsentiert sich heute nur mit Klavierbegleitung. In einem türkisfarbenen Kleid mit langem, in der Hochsteckfrisur befestigtem Schleier kommt sie auf die riesige Bühne des T1 des Stuttgarter Theaterhauses und nimmt hinter ihrem Kurzweil-Keyboard Platz. Stille strahlt sie aus, und Stille steckt auch in den Liedern, welche sie dann weitgehend ohne Ansagen zum Besten gibt.

Im Eröffnungsstück „Who?“ haucht sie ihre Texte zunächst nur ins Mikrofon, um Uneingeweihte wie mich dann mit volltönender Stimme zu überraschen. Diese Dynamik behält sich bei allen ihren eher im niedrigen Tempobereich angesiedelten Stücken bei: Die leichte Klaviermelodie macht teilweise lange Pausen, die nur von Anselmos Stimme gefüllt werden, dann greift sie wieder voll in die Tasten und schmettert die nächste Liedzeile. Gesanglich ist das ganz schön anspruchsvoll – so dynamisch, mit Sprüngen quer durch ihr großes Frequenzspektrum oder mit zartem Vibrato – auch wenn es vollkommen leicht herüber kommt, teils ganz verträumt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das Klavierspiel nicht unähnlich zu Ozymandias ist, wohl aber die Musik eingängiger, während Anselmos Stimme, wenn sie ihre volle Kraft in tieferen Lagen entfaltet, durchaus an Diamanda Galas erinnern kann, allerdings ohne deren schnarrende Stimmakrobatik, oder an Alison Shaw von den Cranes, weil sie in einem Song plötzlich gepresst und nasal klingt. Nach einem lettischen Traditional verabschiedet sich Vic Anselmo mit einem fast schüchternen „Thank you“ und einem verlegenen Kichern.

Deinen Lakaien

Foto: Sue Real

Nach diesem wirklich schönen Einstieg eröffnen Deine Lakaien mit „On Your Stage Again“ von ihrem aktuellen Album „Indicator“. Dabei stoße ich plötzlich auf das Problem, dass ich ja jetzt diese Musik beschreiben muss… – aber wie beschreibt man diese unvorstellbaren Klangkonstruktionen von Ernst Horn? So ist das erste Stück unter anderem mit Scratch-Geräuschen und irgendetwas wie Froschgequake um arhythmische Drumbeats arrangiert, bevor es am Ende acapella verhallt. „Into My Arms“ wartet dagegen mit einem Geräusch wie von einer rostigen Dampfmaschine auf, über welches sich eine schöne Melodie lagert, die teilweise aus einzelnen Quietschgeräuschen zusammen gesetzt ist, während aus dem Hintergrund etwas zu hören ist, was mich an das Schreien eines Robbenbabys erinnert. Die Songs von Deine Lakaien sind eigentlich immer aus seltsamen Strukturen oder aus seltsamen Klängen oder aus beidem herausgearbeitet. Das kann schon momentweise ganz eingängig klingen, wenn man nicht darauf achtet, wie kreativ Horn diese Eingängigkeit – etwa bei „Over and Done“ – immer wieder auflöst. Eigentlich ist die Musik auch gut tanzbar. Leider allerdings ist das Konzert bestuhlt, auch wenn es auf der Eintrittskarte anders angekündigt war.

Deine Lakaien spielen mit den beiden Extremen der Monotonie, durch welchen sie ihren poppigen Dark Wave-Charakter ausarbeiten, und dem verschwenderischen Gebrauch musikalischer Ideen – teils mehr in einem Song als bei anderen Bands auf einem Album. Dennoch klingt die Musik nie kopflastig, sondern stets überraschend. Überraschend ist, wenn man Deine Lakaien live sieht, vor allem auch der Umgang mit Instrumentierung und Arrangement der Stücke. Denn nur wenig ist, wie es auf dem Album erscheint. Natürlich hat die im Studio fast rein elektronisch arbeitende Band schon durch ihre Akustik-Touren (seit 1992) oder durch den Einsatz eines Symphonie Orchesters (2007) Aufsehen erregt. Davon abgesehen aber ist ein Konzert für Deine Lakaien immer der Anlass, die eigenen Stücke neu zu betrachten. Die aktuelle Tour erfolgt in Begleitung von einer Geige, einem Cello sowie einer E-Gitarre. Diese Instrumente werden nicht nur an den Song angeklebt, vielmehr wird er so umarrangiert, dass die zusätzlichen Instrumente aus der Live-Version gar nicht mehr wegzudenken sind. Zugleich verändern sich dabei die Stücke teilweise so sehr, dass man einige Zeit braucht, sie überhaupt zu erkennen. Lediglich der Gesang von Alexander Veljanov bleibt von diesen Veränderungen wenig berührt und offeriert Wiedererkennungswert. Überhaupt diese Stimme: Sie ist tief, irgendwie nussig-warm, eigentümlich. Sie fügt sich nahtlos in die Monotonie von wunderschönen Stücken wie „Forest“ – das auch nach fast 20 Jahren keine Abnutzungserscheinungen zeigt – oder legt sich wie in „Through the Hall“ glatt über die Spitzen von Horns Avantgarde.

Optisch passiert ja nicht viel an diesem Abend. Nachdem Vic Anselmo sich schon darauf beschränkte, hinter ihrem Digitalklavier zu sitzen, halten sich Deine Lakaien in nüchternem Schwarz. Die Bühne ist weitgehend leer. Als Schmuck sehen wir im Hintergrund lediglich das Indicator-Cover auf vielleicht zwei mal zwei Metern. Veljanov trägt natürlich seine unverwechselbare Haartracht. Aber Bewegung zeigt sich sehr wenig. Auch das ist typisch für diese Konzerte. Horn ist sogar bei den bewegtesten Passagen die Ruhe selbst, spielt viel mit geschlossenen Augen. Für lange Zeit ist Veljanov der Einzige auf der Bühne, der sich bewegt – und der schreitet gemessen umher. Später aber sieht man der Band deutlich an, dass sie lockerer werden. Geige und Cello zeigen seltsame choreographierte Bewegungen, teils nur mit den Händen, teils durch Drehung des Kopfes oder Ähnliches. Sie haben jedenfalls viel Spaß, und bei „Blue Heart“ schlägt der Cellist Horns Keyboard sogar mit der Stirn an. Bei aller Gemessenheit sieht man die Freude auch den beiden eigentlichen Lakaien Horn und Veljanov selbst an. Zu Recht möchte man meinen: Das Publikum kann gar nicht genug von ihnen bekommen. Es klatscht, ruft, trampelt und pfeift durch die teilweise gedehnten Abtritte der Band und ruft sie insgesamt drei mal zurück, bis wir uns an im Ganzen 20 Songs erfreuen durften und nach dem abschließenden „Along Your Road“ in die Nacht entlassen werden.

Was für ein schöner Abend. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis man müde werden wird, all diesen klanglichen Eindrücken und all dieser musikalischen Originalität nachzufühlen.

Vic Anselmo

Deine Lakaien

Ein Gedanke zu „DEINE LAKAIEN, VIC ANSELMO, 16.02.2011, Theaterhaus, Stuttgart

  • 23. Februar 2011 um 14:42 Uhr
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    Nussig-warme Stimme… so habe ich das noch gar nicht gehört, passt aber.

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