KATAKLYSM, LEGION OF THE DAMNED, EQUILIBRIUM, 22.01.2011, LKA, Stuttgart
„Women generally don’t like headbanging style dance“, verkündet der britische Profitänzer und Psychologe Dr. Peter Lovatt (University of Hertfordshire). Ausgehend von dieser Überlegung dürften Frauen beim Neckbreakers Ball im LKA ja nichts verloren haben, denn genau ums Headbanging (laut Duden „heftige rhythm. Kopfbewegung“) geht es ja.
Ist aber nicht so, denn schon bei Equilibrium steht eine auf der Bühne und schüttelt ihren Rotschopf zum bayerischen, melodiegeschwängerten Black Metal. Gerne wird auch von Pagan Metal gesprochen, wobei sich der pagane Einfluss dabei sicherlich auf das eine oder andere Schlagwort in den Lyrics beschränkt (etwa die Sagengestalt Perchta in „Wenn Erdreich bricht“), während die eben schon erwähnten Melodien wenig folkloristischen Hintergrund aufzuweisen scheinen. Macht aber nichts, sie sind voll in den Vordergrund gemischt und bieten bei jedem Song das tragende Gerüst, wobei sie klanglich jede mögliche Variante zwischen Panflöte und Schifferklavier einnehmen. Schade nur, dass ausgerechnet das wichtigste Instrument live nur aus der Konserve kommt, und so dudelt man sich zu vorgegebenem Tempo durch Songs aus allen drei Alben der Band.
Das Ganze rutscht immer wieder gefährlich in Richtung Kitsch ab, aber das darf man wohl nicht so ernst nehmen, denn auch Metal ist hier in aller erster Linie Spaßmusik – und der kommt im Publikum auf jeden Fall an, sodass die Band sogar mit einer Wall of Death gefeiert wird. Scheint der gemischtgeschlechtlichen Metaller-Horde also zu gefallen. Naja, einzelner Kritiker behäbig schwäbische Stimmen finden sich doch, denn hinter mir höre ich: „Dr Sänger isch oifach scheiße“, und zwei Songs später, „Mir wolled dr Helge widdr.“ Gut, dass die Band sich diesem beinahe-Ruf nach dem 2010 ersetzten Sänger gegenüber im entgegengesetzten Tempobereich bewegt, sonst gäbe es keinen Anlass zum Headbangen.
Zeit, sich auf Legion of the Damned zu freuen. Und während ich das tue, kann ich mich auf von der Umgebung (s.o.) beeinflussten Reflexionsniveau nochmal mit der Frauenfrage beschäftigen. Zu aller erst muss ich die Equilibrium-Sandra-Fans enttäuschen, denn sie ist derzeit zwar „abenteuerlustig“ und überhaupt „bi“ aber auch „vergeben“, wie man auf myspace erfährt. Macht aber nichts, denn auch im Publikum ist ein für eine Headbanger-Veranstaltung auffallend großer Anteil von Frauen anwesend. Gut, die stehen zwar nicht auf Headbanger, sondern sind wegen der Musik hier – die wiederum wird aber von Headbangern gespielt. Und damit schließt sich der Kreis, und Legion of the Damned können anfangen.
Eigentlich haben sie uns ja schon eine Weile zum Narren gehalten, denn schon ungefähr drei Stücke lang lief irgendeine Industrial-Platte, die gefährlich nach Intro klang und die Blondinen rechts vorne ganz hibbelig werden ließ, bevor das Set endlich mit „Decent into Chaos“ eröffnet wird. Und dann ist endlich Schluss mit Pop. Das hebt die Laune: knochentrockener Thrash Metal. Die Jungs neben mir werfen gleich den Ventilator an. Und auch die Herren Eibisch und Gielen machen sich mit ihren wie bei Sänger Maurice Swinkels gürtellangen Haaren ans Bangen und damit, wie Lovatt bewerten würde, unsexy.
Ich war nie wieder so großer Fan dieser Metal-Spielart seit Sepulturas „Arise“ 1991. Aber genau dahin wird man hier wieder zurück gehämmert. Erik Fleuren zimmert ein Doublebass-Gewitter zusammen, verzichtet dabei auf die bei den eben erwähnten Brasilianern manchmal etwas nervige Dauer-Snare, arbeitet auf den Toms hübsche Strukturen heraus und verzichtet wiederum auf unnötige Fills – alles völlig kompromisslos. So auch der Rest: rhythmisch keifender Gesang zu melodiearmen, scharfen Riffs, Melodien – wenn überhaupt – nur im Intro. Von irgendwo weht ein süßlich-nussiger Rauchgeruch herüber. Die junge Meute tobt auf den vorderen 8m zu „Son of the Jackal“, bei „Werewolf Corpse“ sind es dann schon 12m, Swinkels Versuch, eine Wall of Death zu bekommen, scheitert aber. Trotzdem: Wer lange Haare hat, lässt sie fliegen. Die Form der Begeisterung ist natürlich immer eine Charakterfrage. Fotograf und Gig-Blog-Herausgeber Steffen beispielsweise schreit mir ins Ohr, dass jetzt noch ein Solo recht wäre, bekommt aber keins, denn so viel Melodie ist bei Legion of the Damned nicht drin. Und hinter mir: „Die sin fei faschd besser wie Equilibrium, woisch.“
Keine Kompromisse gibt es auch bei Kataklysm, dafür aber Soli, extra für Steffen. Keine Spur jedenfalls von dem Nintendo-Metal, den Wolf-Rüdiger Mühlmann auf den letzten Alben gehört haben will. Die brettharten Riffs haben hier einen ganz anderen, vollen Sound – Death Metal eben. Gelegentlich werden sie von Lead-Melodien begleitet. Spätestens beim zweiten Stück „Serenity in Fire“ vom gleichnamigen Album gibt es kein Halten mehr: Das Pit reicht jenseits der 15m, die drei Grazien vor mir zeigen ihre wundervollen weißen Nacken und was an geschwärzter Haut aus dem Tank-Top reicht und schütteln gnadenlos das schwarze Haar. Während ich das schreibe, verfängt sich die Matte meines Nebenmanns auch gleich in meinem Stift. „Don’t be a pussy, show me your violence“, brüllt Maurizio, Max‘ Oberschenkel hämmern wie die Kolben einer Dampfmaschine auf und ab. Wir sind bei „Determined (Vows Of Vengeance)“ als das Moshpit auf 20m reicht. Von der Bühne feuern sie Riff-Garben.
Bei dem erstmals live gespielten „Years of Enlightenment / Decades of Darkness“ ist letztlich klar, was auf dem Programm des Neckbreakers Ball steht: „If you have one, use your fucking head“, brüllt Maurizio. Und irgendwie habe ich den Eindruck, da haben auch die Frauen gern mitgemacht und zugesehen.
Equilibrium
Legion of the Damned
Kataklysm
Als Elektoniker verstehe ich vieles, aber das folgende nicht: „Das Pit reicht jenseits der 15m“ – was bedeutet das?
Sehr unterhaltsamer Text und wie immer tolle Fotos!