HELGE THUN, 15.01.2011, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Promo

Zehn Spiel- und Rateshows, die ausgestorben sind:

Auf Los Geht’s Los – Tick! – Dalli Dalli – Tick! – Der Große Preis – Tick! – Einer Wird Gewinnen – Tick! – Wetten Dass – Zonk! – ähm Alles Oder Nichts – Tick! – Die Verflixte Sieben – Tick! – Am Laufenden Band – Tick! – 1,2 oder 3 – Zonk! – ähm – Ruck Zuck – Tick! – Der Preis Ist Heiß – Tick! – Die Montagsmaler – Dudel!

Neben der Frage nach dem einzig wahren James Bond gehört das (kulturelle, pädagogische, komödiantische, und überhaupt!) Niveau in Fernsehshows gewiss zu den Top Ten der allgemeinen Streitbarkeiten, vermutlich reicht es gar für die Top Five. Angesichts der Casting-Dauerwelle, manches Dschungelcamps und Orwell-Containers liegt der Verweis auf längst ausgestorbene Quiz-Dinos nahe, umso näher, je fossiler sie sind, je größer die Portion historischer Verklärung also ist, die man beimischen kann. Riesig waren sie allemal, die medialen Lagerfeuer, echte Straßenfeger, zudem verlässliche Eheretter, die oft einen kompletten Samstagabend füllten.

Dalli-Klick!

Poetry Slam meets good ol’Gameshow, so lässt sich Helge Thuns 2005 ins Leben gerufene Projekt Reim Gewinnt untertiteln. Beide Elemente sind natürlich nur zum Teil vorhanden, denn ein echter Slam erwartet den Besucher nicht, und Weltreisen oder Geldkoffer oder Mitropa Kaffeemaschinen gibt’s genau keine zu gewinnen. Nein, der heiße Preis besteht allein im Vergnügen, und im Applaus, der am Ende der Show mit einem Applausometer (Armbanduhr) gemessen wird und auch zwischendrin unzählbar stürmisch ausfällt.

Das T1 ist bestbesetzt und vollversammelt, die Bühnenkulisse besteht aus einem Bogen aus sieben Pulten, flankiert von den Instrumenten der vierköpfigen Showband Boogaloo, welche die Bühne Kopf für Kopf pünktlich betritt. In Begleitung ihrer Late-Night-Orgelklänge und einem Leinwand-Einspieler in schwarz-weißer 60er-Jahre-MAZ-Architektur kündigt eine Stimme aus dem Off den Showmaster Thun und die sechs Kandidaten an. Mit von der Partie sind das Team Kultur, bestehend aus dem Liedermacher Bodo Wartke (Anzug), der Diplomanimatöse Christine Prayon (Abendkleid) und Stuttgarts Poetry-Slam-Gründer Timo Brunke (Anzug), sowie das Team Unterhaltung, vertreten durch ‚das Udo‘ Udo Zepezauer (Jeans), Schauspielerin Mirjam Woggon (Cocktailkleid) und Phillip Simon (Jeans).

Wetten dass!

Quizmaster Helge Thun, in Anzug plus Krawatte, beginnt mit einem Stand-Up-Reim zur Nationalmannschaft. Namen wie Ballack, Özil, Mertesacker, Neuer und Co werden phonetisch verballhornt und in der Regel zweizeilig verwurstet, ein wenig Nonsense, der die fröhlichen Gemüter anschwitzt. Politisch soll es allerdings auch zugehen, und so leistet sich Thun die aktuelle, bereits ausreichend bespaßte kabarettistische Standardpointe zu Julian Assanges wikileakenden Enthüllungen (sind ja gar keine, gell?). Ein jedes-siebte-Ei-Zweizeiler in Richtung Dioxin-Skandal rundet den gefälligen Opener ab.

Auf Los geht’s los!

Die Kandidaten stürmen die Bühne unter Applaus und stellen sich zur ersten Willkommensrunde Poesie in einer Reihe auf. Wieder sind Zweizeiler angesagt, und sie sollen je einen vorgegebenen Begriff enthalten, z.B. ‚Rentenreform‘. Erneut geht es an die Phonetik, wenn Wortsinne verdreht werden, und auch diesmal ist das komödiantisch angelegt, vor allem originell und witzig bis aberwitzig. Die anschließenden Vierzeiler müssen schon zwei vorgegebene Begriffe stemmen, und sie sprinten locker um die gesetzten Slalomstangen, erste Poetry-Slam-Hüte fallen in den Ring, erste Fehdehandschuhe klatschen an, jeder Kandidat holt sich seinen eigenen Applaus ab.

Nach den beiden A-Runden nehmen die Kandidaten Platz, zu Thuns Rechter das Kultur-, zu Thuns Linker das Unterhaltungstrio. In der dritten Spielrunde kümmert man sich um einen verspäteten Jahresrückblick, sprich die Griechenland-Pleite (Bodo), Adelzdame Guttenberg (Mirjam), Kerner in Afghanistan (Udo), AKW-Laufzeitverlängerung (Timo), Wetter- Und-Andere-Katastrophen (Phillip), Überfall aufs Kanzleramt (Christine). Aufgelockert werden die unterschiedlichen, allesamt ideenreich und herausragend vorgetragenen Beiträge von thematisch passenden Leinwandeinspielern, etwa ein Spot zu Thilo Sarrazin oder ein DDR-Filmchen in Propaganda-Tricolor.

Koffer Hoffer!

Zu jeder klassischen Gameshow gehören Pausen, und zu jeder Gameshow-Pause gehört ein Stargast. Hier ist das der Stuttgarter Zauberkünstler Topas. In seiner ersten Nummer spielt er „we will rock you“ und „smoke on the water“ mit einem Satz Karten direkt am Mikro nach, während der zweiten Nummer (zweite Quiz-Pause) gibt er einen Zaubertrick in den drei Stadien Übung, Premiere und Bis-zum-Erbrechen-Vorgeführt zum Besten. Volle Breitseite, Lacher garantiert.

Zu jeder Samstagabendshow gehört das Publikum, hier sind das der Bombole-(Bonbon)-Mechaniker G und seine Frau E, die Thun Stichworte für spontane, in der Pause getextete Kandidatenreime geben. Name, Beruf, Wohnort. Das Ergebnis, je ein Gedicht der beiden Teams, lässt sich durchaus hören und sehen.

Nase Vorn!

Es gibt auch was zu meckern, leider. Denn zum Ende hin hat die Show ihre Längen. Bis auf wenige Ausnahmen schaffen es die Gedichte nicht aus der Klamauk-Kiste, bis auf wenige Ausnahmen (Timo) sind sie allein auf den Applaus ausgelegt. Besonders beim Thema Stuttgart-21. Auch krankt das Classic-Show-Konzept an seinem zu stringenten Format und wirkt stellenweise ermüdend, der eine oder andere Soloauftritt mehr hätte der Show gut getan.

Ob ihr wirklich richtig steht,
seht ihr, wenn das Licht angeht!

Das Finale hingegen ist unverwechselbar: Eine professionell aufgespielte und durchgereimte Romeo- und Julia-Interpretation (Team Kultur) wechselt mit dem abgereimten Konter in Gestalt von Orpheus plus Eurydike (Team Unterhaltung).

Wer auf zum Teil elegante Reime der Poetry-Slam-Gattung steht und von Stuttgart 21 noch kein Näschen voll hat, darf sich diese Samstagabendshow durchaus gönnen. Daumen nach oben.

2 Gedanken zu „HELGE THUN, 15.01.2011, Theaterhaus, Stuttgart

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