30 JAHRE DIE KLEINE TIERSCHAU, 08.01.2011, Schleyerhalle, Stuttgart

30 Jahre die kleine Tierschau

Foto: Steffen Schmid

Kleintierzüchtige Rückschau
Es ist der 5.11.2009, als die Tierschau-Troika Gaedt, Mantel & Schulig zum letzten Mal gemeinsam auftritt. Zu lachen gibt’s wenig vor dem Landgericht Stuttgart, es geht immerhin ums komplizierte Scheidungsrecht unter Künstlern, eine tierische Stange Geld und jenen großen kleinen Namen, mit dem die drei zuvor 28 Jahre lang am Start waren. Für ein bisschen einkehrende Vernunft, wenn auch richterliche, ist es ja nie zu spät, und so wird das zuvor ergangene Urteil, nach dem weder Ernst Mantel noch das übrige Duo Gaedt/Schulig jemals wieder den Namen ‚Tierschau‘ auf ihrem festlichen Banner tragen dürfen, aufgehoben. Das böse Blut ist also verschüttet, die Fronten geklärt, ein Geldstängle verteilt, man kann wieder zum Kerngeschäft kommen.

30 Jahre die kleine Tierschau

Foto: Steffen Schmid

Großtier-Geburtstagsschau
Hänschen Martins vornehme Schleyerhalle. Drunter geht es nicht, wenn die Kleine Tierschau, seit den schlimmen Tagen zum Duo abgemagert, Geburtstag feiert. Ein runder 8000er an Gästen soll es sein, der die Stuhlblöcke bevölkert, ein Meer an Köpfen, das die hinteren Ufer verloren wirken lässt. Und selbst das Pärchen Videoschirme an back- und steuerbord ändern nichts daran: Die folgende Tierschau ist Tierschau pur, keine Frage, klein ist sie aber keineswegs.

30 Jahre die kleine Tierschau

Fotos: Steffen Schmid

Unter ozeanischem Applaus hobeln Gaedt und Schulig im Sessel einer Maschine durch die vordere Publikumsgasse, stürmen die Bühne und lassen es ansatzlos krachen. Begleitet von einer Band und den Trommeln eines Sechserpäckles leckerer Backgroundmädelz hämmert der Song ‚It’s a long way to the top‘ die Ohren der Gäste frei.

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Foto: Steffen Schmid

Die Kerze zündet, bereits dieser erste Zylinder des V-8-Tierschau-Einheizers kolbt ordentlich, es dampft und zischt, und mit der zweiten Zündstufe ‚Caravan of love‘, im Wohnmobil-Rucksack-Duett eingeschwäbelt, ist die Halle auf Betriebstemperatur. Spätestens nach Gaedts anschließender Aufforderung, die Männer mögen headbangen und die Damen ihre Blusen öffnen, ist klar – das Tierschauduo steht voll im Saft, Rampensäue und ihr Rock`n`Roll altern nicht. Nicht bei der nächsten Nummer, ’smoke on the water‘ (rauchen sie auf dem Wasser, Feuerzeug dabei?), nicht bei Campari Pur, nicht bei der Judorolle, die Gaedt anschließend auf die Bretter schwingt.

30 Jahre die kleine Tierschau

Foto: Steffen Schmid

Die freie Wildbahn
Der Kessel flammt, die Kurbelwelle zieht, das Publikum ist längst gewonnen, die Show brummt. Rasant und schillernd geht es zu, Songs wechseln mit kleineren Spaßstunts, Kostüme wechseln von schwarz nach golden, von bunt nach knapp, von Gummi nach Leder nach Fell. Haupt-Michael Gaedt und Sidekick Neben-Michael Schulig machen sich zum Affen, zum Tiger, zur Diva, zum Guru, zum Schlumpf, zum Mexikaner, und sie machen das leidenschaftlich. Ob es der Ostalbtiger plus Kontrabass im Hippieanstrich ist, ob es geschätzte hundert Slips sind, die man ausziehen kann, ob es das scharfe SM-Kleid der Oberschwester G ist, der wilde Spassdynamo steht auf Anschlag, bleihaltig, ölfettig, ohne Kat, virtuos und ausladend komisch.

30 Jahre die kleine Tierschau

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30 Jahre die kleine Tierschau

Foto: Steffen Schmid

Gratulanten gehören zu einer Geburtstagsparty, vor allem zur dreißigsten im Jänner zwanzig elf, und so hatte das Tierschauduo Ben Becker, den Leningrad-Cowboy Mato Valtonen, Ex-Boxer Rene Weller, Dieter Thomas Kuhn und Mr. Fanta-Vier Smudo eingeladen. Bis auf Becker, der sich per Videowandgedicht meldet, sind alle da.
Mato tritt spitzbestiefelt unterm Leningrad-Cowboy-Frontzopf an, den Song ‚Back in the USSR‘ auf den Lippen, Kuhn mimt Diskokugel-Glitzerkuhn ‚über den Wolken‚, Rene Weller den noch älteren und noch verbrauchterer-er-en Ex-Boxer Rene Weller, Smudo den urig schwäbischen pseudo-coolen Rocker, eingebettet in den tierischen Harley-Sketch-Klassiker.

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Raubtierzirkus
Wie in jeder Tierschau-Revue spielt auch hier das Publikum eine tragende Rolle. Die der unfreiwilligen Sorte, um genau zu sein. Sitz niemals in den vorderen Reihen, lautet das Credo, es könnte strapaziös werden. Das Trio D, R und W wird zuerst auf die Bühne zitiert, mit Bauhelmen ausgestattet und zum Schädelschlagzeug umfunktioniert. P, P, C und F dürfen wenig später ein Ringseil ins Scheinwerferlicht halten und aus nächster Nähe beobachten, wie sich Weller ringtechnisch bis auf die Knochen blamiert, zuletzt ist es noch ein P, der im rotierenden Friseurstuhl Platz nimmt und sich einen Turban auf die Birne wickeln lässt.

30 Jahre die kleine Tierschau

Foto: Steffen Schmid

So tier kommen wir nicht mehr zusammen
Blaukraut bleibt Blaukraut und Tierschau bleibt Tierschau, auch im Jahr dreißig nach der Gründung, auch im abgespeckten 2/3-Format. Massiv, wild, feurig, fetzig, rasant. Kompromisslos schrill folgt eine Nummer der anderen, rastlos toben die Protagonisten über die Bühne, legen einen Knaller nach dem anderen hin, stürmen von Höhepunkt zu Höhepunkt, wechseln Instrumente und Kostüme in Windeseile, und verstehen es, ein Publikum mitzureißen.

30 Jahre die kleine Tierschau

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Vermutlich reicht es trotz allen Einsatzes der Sportskanone Gaedt, trotz einer kleinen Radtour durchs Publikum und trotz des Schlauchboot-Stagedivings gegen Ende nicht ganz für die Ausmaße der Schleyerhalle, die vorderen und mittleren Blöcke allerdings verwandelt das dreieinhalbstündige Tierschau-Overacting in eine Arena der virtuosen, ideenreichen, durch die Bank weg originellen Kunst.

Das ist, bitteschön, eine klare Empfehlung. Zieht’s euch rein.

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3 Gedanken zu „30 JAHRE DIE KLEINE TIERSCHAU, 08.01.2011, Schleyerhalle, Stuttgart

  • 20. Januar 2011 um 12:14 Uhr
    Permalink

    Ich fands leider sehr langweilig. Ich saß in der Mitte der Halle, und da war die Bühne schon so weit weg dass keine Stimmung rüber kam. Bin zur Halbzeit abgedampft…

  • 25. Januar 2011 um 09:47 Uhr
    Permalink

    Hallo Nik,
    auf welchem Konzert waren Sie denn? Die Halle hat getobt und 8.000 begeisterte Zuschauer können sich doch wohl nicht irren, oder? Schade für Sie.
    Petra

  • 2. August 2013 um 17:49 Uhr
    Permalink

    war in Weil i.Schönbuch
    ein bisschen kitschig,lautstätke unmöglich
    zu hoher eintrittspreis,

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