SOPHIA, 07.12.2010, Manufaktur, Schorndorf

Sophia

Foto: Steffen Schmid

Robin Proper-Sheppard ist traurig, todtraurig. Immer schon. Und wir wüssten vermutlich nicht, was wir täten, wenn er es plötzlich nicht mehr wäre. „I don´t like Robin when he is happy“, sagte auch einst eine seiner vielen Freundinnen. Es ist die Liebe, die ihn traurig macht. Und irgendwie auch das Leben. Und der Tod. Mit „Heartache“ startet der Frontmann der Band Sophia diesen Abend in der Manufaktur im verregneten Schorndorf (übrigens ganz formidabel bestellt: sowohl der Ort als auch die Wetterlage), ganz wie gewohnt: hingebungsvoll, Leid in jeder Zeile, Passion in jedem Ton. Und doch ganz ungewohnt: Robin Proper-Sheppard steht allein auf der Bühne. Nur er, vor puderfarbener, floral gemusterter Tapete samt rostigem Heizkörper (angelehnt an das Cover der letzten Platte There are no Goodbyes) und seine Gitarre, samt floral gemusterter Schlagplatte. Und schon beim ersten Lied kann man ihn spüren, den großen, weltumfassenden Schmerz, auch wenn Proper-Sheppard’s Leben derzeit nur „shit“ ist und nicht wie so oft „big shit“. Das Schlimmste sind die Frauen. Immer noch. Auch wenn er meist der ist, der davon rennt.

Oh I left you
But you never really felt that far away
Oh I left you
Because it seemed to hurt us less than if I stayed

Ein Lied für Julie, eine seiner großen Lieben, als Entschuldigung fürs Davonrennen. Das ist eine der Lektionen, die uns Proper-Sheppard an diesem Abend lehrt: Es gibt Menschen, die Potential zur großen Liebe haben und es gibt Menschen, die immer die große Liebe bleiben, unvergessen. Er selbst allerdings hat so einige unvergessliche. Und er singt sich an diesem Abend durch diese Reihe an Frauen, die Stimme brüchig, die Texte schlicht aber wahr, die Songs wunderbar melancholisch. Noch immer.

At Home with Sophia heißt diese Tour, die der schwermütige Schwerenöter allein mit seiner Gitarre bestreitet, passenderweise kurz nachdem er in London aus seiner Wohnung geflogen ist. Und er erzählt seinem Publikum von seinem „At Home“ – in London und in Kalifornien – von den Frauen, dem Leben, dem Tod. Von Julie, die etwas Besseres als ihn verdient hat, von Astrid, zu der er immer wieder zurückgespült wird, von Frauen, die ihn alles vergessen lassen und immer dann fehlen, wenn man die größte Sehnsucht nach ihnen hat. Frauen, die er verletzt und zum Weinen gebracht hat. Viel Weltschmerz ist dabei, ein bisschen Seelenstrip und viel Koketterie. Aber, „anyways“. Die Damen im Raum sind entzückt und seufzen leise, und die Herren fühlen sich endlich verstanden.

Oh, I try to understand but I just hurt you instead
Are you happy now?

Sophia

Foto: Steffen Schmid

Aber Robin Proper-Sheppard kennt auch die irdischen Dinge: Einen Sonntagnachmittag mit liebevoll gekochtem Dinner und einer tobenden Astrid, deren ach so romantischer Musikerfreund den Fernseher einer Unterhaltung vorzieht. Schade, denken die seufzenden Damen, der ist auch so. Und schon wird er wieder traurig und romantisch, wie zur Entschuldigung. „I am really really sad, but I know there is love“ sagt er, rollt die Augen zur Decke und lacht ein bisschen über sich selbst. Brav.

Why dont you open your eyes
You might like what you find
Cause Ive been waiting
For such a long time
Your love is still fresh in my mind

Und man stellt ihn sich vor, auf einem Bett mit zerwühlten Laken sitzend, die Gitarre mit dem floralen Schlagbrett verzweifelt bearbeitend und diese todtraurigen Songs singend. Und Robin erzählt weiter. Von Jimmy Fernandez, dem Bassisten seiner früheren Band The God Machine, der an einem tennisballgroßen Tumor gestorben ist. Von seinem Vater, der irgendwann davonlief und nie wieder auftauchte. Von seiner Mutter, die  mit „a little bit of cancer“ ins Krankenhaus ging um sich schnell heilen zu lassen und fünf Tage später tot war. Von seiner Tochter, deren Geburt für den Song Directionless (und das passende Gefühl) verantwortlich war. Und plötzlich weiß man ein bisschen, warum dieser Mann manchmal so traurig ist. Und nicht erst seit Jimmys Tod und der Entstehung von Sophia 1996. Auch The God Machine (1991-1994), ein Trio halbwilder Ex-High School Jungs mit Bock auf Rock´n Roll, waren meist eher desolater Stimmung, wenn auch mehr so post-pubertär.

Every wish has a name
I just wish I knew what they were
And there’s a girl outside that says you’ll never understand
So don’t even try

Und damals hatte Proper-Sheppard noch mehr Wut in sich, man wird halt älter. Ein bisschen davon kann man auch heute Abend spüren – wenn er aufhört, die Gitarre zu streicheln und statt dessen harte Riffs in die dunkle Manufaktur donnert. Oder wenn er bei If A Change is Gonna Come eine Nuance zu laut ins Mikrofon schreit. Kann man ja auch mal laut sagen: Life´s a bitch. Yeah. Aber das sind nur die Zwischentöne. Meist ist und bleibt er leise. Und wenn er zu Beginn des Konzerts vielleicht noch nicht traurig genug war, ist er es spätestens jetzt, als er – beinahe am Ende dieses Abends – mitten im Song (der einzige Seitensprung heute: John Lennons Jealous Guy) unterbricht und gesteht, dass er einfach zu viel über sein Leben nachdenkt. Big Shit. Immer noch.

10 Gedanken zu „SOPHIA, 07.12.2010, Manufaktur, Schorndorf

  • 9. Dezember 2010 um 10:08 Uhr
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    Um etwas so poetisches beschreiben zu können muss man so poetisch schreiben können wie du…wunderbar!
    Oder wie Nas auch sagte: „life’s a bitch and then you die“

  • 9. Dezember 2010 um 15:01 Uhr
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    Toller Bericht! Wäre gern auch da gewesen…

  • 9. Dezember 2010 um 16:26 Uhr
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    Wie gerne wäre ich auch da gewesen! Betriebsweihnachtsfeiern sind ja was Schönes, aber doch nicht am DEM Tag!

  • 9. Dezember 2010 um 17:19 Uhr
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    Wer ist diese „Valerie Hasenmayer“ eigentlich? Wo kommt sie so plötzlich her? Hat sie schon öfter für Gig Blog geschrieben? Fragen über Fragen ;-))

    Ach ja….der Bericht ist großartig. So habe ich es auch empfunden wenn auch die Konzerte mit Band nicht zu toppen sind. Dann noch Streicher dabei….ui ui ui ….

  • 9. Dezember 2010 um 21:40 Uhr
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    Valérie ist ganz kurzfristig eingesprungen, und wir hoffen sehr, dass sie hier bald mal wieder zu lesen ist.

    @Steffi: Dich haben wir da schmerzlich vermisst.

  • 10. Dezember 2010 um 11:03 Uhr
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    Der schöne Text passt wirklich toll zu den stimmungsvollen Bildern.

  • 10. Dezember 2010 um 18:02 Uhr
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    gerne! Und dank Schmoudis tollen Bildern kann ich jetzt auch sehen, wie RPS´ Gesicht beim Konzert so ausgesehen hat…

  • 12. Dezember 2010 um 22:35 Uhr
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    Und wo wir grade bei poetisch sind: Geht bitte unbedingt alle zu Arcade Fire, wenn sie auch nur annähernd in eurer Nähe spielen. Habe sie neulich in Düsseldorf gesehen- un-be-schreib-lich (auch wenn es hier nicht hingehört).

  • 13. Dezember 2010 um 14:34 Uhr
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    @ Regine….sag ich doch schon seit Jahren das dies eine der besten Live Bands unserer Zeit ist…ganz ganz großes Kino !!!

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