FLEUR EARTH, 01.12.2010, Transit/Bergamo, Stuttgart

Fleur Earth

Foto: Thorsten Weh

Es gibt ja unterschiedliche Gründe, warum man das Konzert eines Künstlers besucht. Beim Konzert der Kölnerin Fleur Earth im Transit/Bergamo konnte man auch nach kurzer Spontan-Umfrage drei Gruppen identifizieren: Leute, die von irgendjemand mitgeschleppt wurden und denen „Gutes Konzert im Transit“ als Grund reicht, Leute, die in irgend einem Blog über Fleur Earth gelesen und sich als Vorbereitung ein paar Videos bei YouTube angeschaut haben und Hardcore-Fans – doch dazu später mehr.

Gut, das Transit ist nicht die klassische Konzertlocation. Aber Veranstalter Damir hat sich einen schönen Auftakt für seine neue Mittwochs-Partyreihe 33/45 ausgedacht und das Kölner Fleur Earth Experiment, kurz FEX, eingeladen – bzw. nur Fleur Earth, also ohne Band und ohne zweite Sängerin. Fleur Earth kommt aus Köln aus der HipHop-Truppe rund um Suff Daddy, die seit einiger Zeit erfolgreich dem aus Berlin gesteuerten Untergang der deutschen Rap-Musik entgegenwirkt.

Und nach HipHop sieht die zierliche Person auch aus, die fast pünktlich die Bühne betritt – mit Jogginghose, Sneakers und eng geflochtenen Zöpfen passt sie bestens zum HipHop-Setup mit Mensch am Mikro und Mensch an den Plattenspielern. Irgendwie passt es aber gar nicht zu ihren poetischen Texten und sensiblen Videos, die man von YouTube kennt. Aber schon beim ersten Song wird klar, dass genau hier die Faszination von Fleur Earth liegt: Der Kontrast zwischen diesem alle HipHop-Klischees bedienenden Auftreten und den mit durchdringender Stimme vorgetragenen Texten, für die sie – ohne sich dafür schämen zu müssen – Goethe als Vorbild nennt.

Und zwischen den Songs verbreitet sie dann wieder so viel gute Laune, dass die Gänsehaut rasend schnell von einem breiten Grinsen abgelöst wird. Und auch beim Rest des Publikums ist die Stimmung locker – während der Songs wird fröhlich getratscht und danach umso frenetischer applaudiert. Vor allem einer der eindeutig in der Minderzahl befindlichen männlichen Zuschauer weiß gar nicht wohin mit seiner Begeisterung, er kennt jeden Song, jauchzt und schlägt gegen die Wand. Ein anderer Mann aus dem Publikum singt bei der Frage Fleurs nach einem Song-Wunsch spontan ein kurzes Acapella-Duett mit ihr – zwar eher schlecht als recht, dafür umso sympathischer.

Bereits vor zwei Jahren wurde Fleur Earth bei Spiegel Online als Blaupause für den Anti-Popstars-Kandidaten beschrieben – und der Gedanke geht mir irgendwie auch den ganzen Abend durch den Kopf. Hätte sie sich bei einer der Castingshows beworben, ihre Stimme wäre erkannt und sie wäre glattgeschliffen und auf Hochglanz poliert worden. Welch ein Glück, dass ihr das erspart blieb.

Und so fliegt der Abend dahin, und Fleurs wiederholte Ankündigung, dass dies jetzt wirklich der letzte Song ist, wird von den Gästen ebenso wiederholt mit einem einstimmigen und entrüsteten „Nein!“ quittiert. Wahrscheinlich, um irgendwann doch noch von der Bühne runter zu kommen, sagt sie noch ein paar mal, dass man sich beim nächsten Mal wieder sehen würde. Das bleibt zu hoffen, und hoffentlich dauert es bis dahin nicht allzu lange.

Fleur Earth

Foto: Thorsten Weh

Ein Gedanke zu „FLEUR EARTH, 01.12.2010, Transit/Bergamo, Stuttgart

  • 16. Dezember 2010 um 17:14 Uhr
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    Wunderbar geschrieben!

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