WOLVES IN THE THRONE ROOM, HELLVETE, 26.11.2010, Schocken, Stuttgart

Wolves in the Throne Room

Foto: Sue Real

In Hans Bemmanns phantastischem Roman „Stein und Flöte, und das ich noch nicht alles“ begegnet die Hauptfigur Lauscher in einem Thronsaal einigen in Wolfsfellen gekleideten Männern, die sich des Nachts in Wölfe verwandeln. Ansonsten ist das Bild, das sich die Amerikaner Wolves in the Throne Room zum Bandnamen erkoren haben, ja ein neues wenngleich sofort verständliches: Die Kinder der Nacht, wie Bram Stoker sie nannte, genießen bei uns keinen guten Ruf, vielmehr werden sie als heimtückische Feinde des Menschen und seiner Nutztiere angesehen. Im Winter nämlich, wenn das Futter knapp wird, kommen die Wölfe aus den Wäldern. Wie wir uns die Begegnung von Wolf und Mensch vorzustellen haben, zeigt die eindrückliche Menschenjagdszene in Jack Londons „Wolfsblut“, die man – hat man sie einmal als Kind gelesen – niemals vergessen wird. In Einklang mit dieser Auffassung ist der Wolf für uns auch eine Metapher für das Böse im guten Schafspelzmantel oder für das, was der Mensch für den Menschen häufig ist. Der Wolf in der Reichweite der Macht eines Thrones muss also etwas besonders Gefährliches sein.

Hellvete

Foto: Sue Real

Solch eine einzelne Metapher kann, wenn sie stark genug ist, die Atmosphäre eines Bildes völlig verändern. Und um die Atmosphäre wird es beim Auftritt von Hellvete und Wolves in the Throne Room im Schocken viel gehen. Die Musik des Solomusikers mit dem doppelt höllischen Wortspiel als Künstlernamen – aus englisch hell und norwegisch helvete – besteht beispielsweise aus nichts anderem. Zur großen Verwirrung mindestens eines Teils des Publikums spielt er einen leicht psychedelisch angehauchten Dark Ambient, ein Geflecht sich übereinander schiebender anhaltender Klänge, die größtenteils keinerlei Rhythmus oder Melodie aufweisen. Sie machen nicht mehr, als eine Atmosphäre zu erzeugen; sie sind Atmosphäre. Drei Stücke lassen sich wohl ausmachen, die uns der mit schlichtem Karohemd bekleidete Belgier zum Besten gibt: Das erste besteht aus einem schwebenden weichen Ton, über den sich nacheinander ein weiblicher und ein männlicher einstimmiger Chor legen und der gegen Ende von fauchenden Klängen zersetzt wird; das zweite besteht aus übereinandergelegten Streichertönen – erzeugt durch ein mit dem Bogen gespieltes Banjo –, die aber keinen Akkord ergeben, sondern völlig dissonant zueinander stehen; und im dritten Stück wird das Banjo über einen schwebenden Ton gezupft.

Wie das zu einer Black Metal-Band wie Wolves in the Throne Room passt, mag vielleicht auf den ersten Hörer erstaunlich sein. Es ist aber gar nicht so schwierig, wenn man an das mit „Sylvester Anfang“ betitelte von Conrad Schnitzler geschriebene Eröffnungsstück der Mayhem-EP „Deathcrush“ denkt. Dieses Stück nämlich ähnelt dem, was Hellvete teilweise mit seiner Band Sylvester Anfang II macht, durchaus.

Wolves in the Throne Room

Foto: Sue Real

Auch Wolves in the Throne Room verwenden lange Dark Ambient-Passagen, die sie mit Synthesizer und teils Gitarre instrumentieren. Aber selbst ihre Black Metal-Auffassung ist ganz auf Atmosphäre ausgerichtet. Die musikalischen Biobauern weben einen dichten Teppich aus dem scharfen Klang ihrer zwei Staccato-Gitarren und Aaron Weavers Blastbeats, in den sich die fauchenden Black Metal-Stimmen von Nathan Weaver und seltener Will Lindsay nahtlos einbinden. Die Musik besteht damit nicht – oder höchst selten – aus bündigen Riffs, sondern ebenfalls aus schwebenden Tonflächen, wie sie sich in dieser Ausprägung sonst vielleicht in einzelnen Stücken von Taake oder Darkthrone finden – die meisten Black Metal-Bands sind entgegen aller Klischees nämlich zu abwechslungsreich und melodiös, um diese ambientartige Wirkung zu erzeugen.

Die Erhabenheit dieser Musik entsteht aber gerade daraus, dass sich die rasend schnelle Akkordwiederholung und das Schlagzeug zu einem Klang verbinden, der wie der Abendnebel vom Boden aufsteigt und die dräuende Dunkelheit ankündigt. Dass sich diese Metaphern im Konzertraum widerspiegeln, indem sich immer wieder dicker weißer, weihrauchgeschwängerter Nebel zwischen Musiker wie Publikum schiebt und die Bühne neben einer trüben Funzel im Hintergrund durch zwei Kerzen und vier bald verlöschende Petroleumlampen kaum erhellt wird, verstärkt diesen Eindruck. Aber wie es in rauen Winternächten in irgendeiner vorvergangenen Zeit gewesen ist, lauert dort draußen in der nebligen Nacht etwas Hungriges, Böses.

Wolves in the Throne Room machen das spürbar. Mit jedem Ton schleicht es sich in unsere Vorstellungskraft und umringt uns wie Londons letzten Schlittenhundeführer, der das Wolfsrudel durch einen dünnen Ring aus Feuer auf Abstand zu halten sucht. Ja, „listen to them, the children of the night. What music they make!“

Hellvete

Wolves in the Throne Room

6 Gedanken zu „WOLVES IN THE THRONE ROOM, HELLVETE, 26.11.2010, Schocken, Stuttgart

  • 29. November 2010 um 14:25 Uhr
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    … da sind mir zu wenig Links drin, Claus :-)

  • 29. November 2010 um 19:04 Uhr
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    die brauchen einen Bassisten

  • 1. Dezember 2010 um 16:48 Uhr
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    Die hatten auch schon öfters mal einen Basser im Line up. Aber irgendeiner der „Walden“-Hippies muss wohl zu Hause bleiben und die Primeln gießen.

  • 1. Dezember 2010 um 22:51 Uhr
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    Wenn wir wieder ins Schocken gehn, nehm ich nen Baustrahler mit.

  • 2. Dezember 2010 um 09:11 Uhr
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    Gute Idee, schließlich haben sie nur das Blitzen und nicht die Verwendung von Baustrahlern verboten.

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