Good bye, Herr Weiß

Foto: gig-blog

Jesus, was für ein Schock als wir am Montag in leicht beschwipster Königslaune aus dem Kino kommen. Wir lachen noch über den absurd lustig-brutalen Machete, schwärmen von seinen Schnittchen Jessica Alba und Michelle Rodriguez und wollen den schönen Abend im Café Weiß würdig enden lassen. Auf dem Weg dorthin treffen wir allerdings den sichtlich um Fassung bemühten Kellner Ranko und erhalten die traurige Nachricht, dass der Inhaber Heinz Weiß am Nachmittag verstorben ist. An der Tür hängt dann auch ein Schild: wegen eines Todesfalles bis auf Weiteres geschlossen. Ob und wie es weitergeht, scheint in den Sternen zu stehen.

Gerüchten zu Folge waren die Tage der urigen Kneipe beim Hans-im-Glück-Brunnen sowieso gezählt. Heinz Weiß war krank und Kellner Ranko liebäugelte nach eigener Aussage damit, wieder zurück nach Kroatien zu gehen. Wenn das Ende dann aber so abrupt kommen sollte, wäre das ein herber Schlag für Stuttgart und für mich persönlich. Denn zwischen schicken vollverglasten Kneipen und trendigen Bars hat das Weiß tapfer die Stellung gehalten. Die Zeit schien hier vor 50 Jahren stehengeblieben zu sein. Inmitten von puffigen Kronleuchtern, samtenen Tapeten und Marcel Proust-Porträts  wurde sämtliche neumodische Entwicklung einfach mal außen vor gelassen. Sollten sich doch andere freiwillig ins Schaufenster setzen, trendy Cocktails schlürfen und Clubmusic lauschen. Hier im Weiß konzentrierte man sich lieber auf das Wesentliche. Studenten, Szenegänger, Lebenskünstler, Ottonormalverbraucher und allerlei buntes Volk zog es allabendlich in die Stuttgarter Kiez-Kneipe, um das ein oder andere Bierchen zu trinken oder sich auch mal mit dem „beschde Wodka von der Welt“ die Lichter so richtig auszuschießen. Aus der Jukebox trällerte dazu der passende Soundtrack, ein wilder Mix aus Guns N’Roses, Hildegard Kneef, Pink Floyd und Sisters of Mercy. Für das Weiß musste man sich nicht schnieke rausputzen, auffallen war sowieso nahezu unmöglich. Nicht mal rotzebesoffen und mit dem Kopf auf dem Tisch. Irgendwie war fast alles erlaubt.

Es erinnerte alles ein wenig an eine längst vergessene Stuttgarter Rotlicht-Ära, auch wenn die Einschusslöcher in den Wänden schon lange zugegipst waren. Es ist noch nicht allzu lange her, als das Weiß für die Krimi-Serie SOKO Stuttgart entdeckt wurde.  Klar, macht ja auch was her. Was hatten wir hier für lustige Abende. Was haben wir hier für ordentliche Zechen bezahlt (von Kellner-Urgestein Ranko in Sekundenschnelle im Kopf zusammengeschustert). Und was haben wir für nette und schräge Leute kennengelernt: vom ehemaligen Luden bis zur Besitzerin eines Teddybären-Ladens. Nicht zuletzt weil Ranko immer dafür gesorgt hat, dass man selbst zur Rushhour am Samstagabend doch noch ein Sitzplätzchen gefunden hat. Da wurde dann auch mal fleißig umverteilt. Kleinere Gruppen an die Bar, größere an die Tische, andere Gäste wurden zusammengesetzt. Nachdem Ranko den standesgemäßen Knabberteller serviert hatte, mussten die Mädels raten in welcher Hand er die Schokolade hat, während Heinz Weiß am Nachbartisch seine Geschichten von früher zum Besten gegeben hat. Ich hab meistens nur die Hälfte verstanden, weil er breitestes Schwäbisch sprach und auch ein wenig nuschelte. Und auch Ranko hat, wenn er denn richtig in Fahrt gekommen ist und auch mal die Zeit hatte sich dazu zu setzen, Sprüche geklopft wie kein Zweiter. Lustig war es immer.

Fast 50 Jahre Jahre gibt es das Café jetzt. 10 davon war ich mit dabei. Sollte es das jetzt gewesen sein, wäre das schon herb. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht lässt Ranko es sich ja nicht nehmen noch ein paar Jahre auf eigene Faust dranzuhängen. Die 50 vollmachen sozusagen. Vielleicht findet sich auch ein anderer Besitzer, der die Tradition des Café Weiß zu schätzen weiß. Dem schwäbischen Original und Szene-Urgestein Heinz Weiß jedenfalls wünsche ich das Beste für seine letzte Reise. Danke für fast 50 Jahre Café Weiß. Danke für ein Stück Lebensqualität. Danke für ein Stück alternatives Stuttgart.

Foto: Steffen Schmid

6 Gedanken zu „Good bye, Herr Weiß

  • 10. November 2010 um 14:55 Uhr
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    Oh Mann! Ich hatte mich schon drauf gefreut bei meinem nächsten Stuttgartbesuch mal wieder in Weiß zu gehen!
    Echt traurig… :-(

  • 10. November 2010 um 15:11 Uhr
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    Noch ist nicht sicher, dass es ganz schließt! Also hoffen und beten.

  • 11. November 2010 um 20:45 Uhr
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    Ich hoffe und bete mal mit, auch wenn das Weiß bei meiner Ankunft in 5 von 4 Fällen stets rappelvoll war und ich dann doch wieder auf eine klinisch-unspelunkige „Lounge“ ausweichen musste.

  • 16. November 2010 um 19:22 Uhr
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    Ich möchte mich bei Allen bedanken, die meinem Vater bei der Beerdigung die letzte Ehre erwiesen haben und bin auch dankbar für die große Anteilnahme.
    Wir, die Familie Weiß, wollen hoffen, daß der Mythos „Cafe Weiß“ in der Zukunft weiterleben kann….

    DANKE AN EUCH

    Bernhard, Kerstin, Erik und Christopher Weiß

  • 19. November 2010 um 07:19 Uhr
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    Gute Nachrichten! Gestern hat das Café Weiss wieder aufgemacht. Alles beim Alten dort!

  • 21. November 2010 um 16:13 Uhr
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    auf wiedersehen
    Mein lieber Heinz,
    Du warst immer ein Ort, an dem ich wohlfühlte. Ob es mir schlecht ging oder super gut, Du wußtest sofort was los war. Nanntest mich immer „Mei Lombadierle“ und musste dies sogar einem Arbeitskollegen auf Hochdeutsch übersetzen :-). Und unser Bacardi hat uns immer geschmeckt. Mit Dir konnten man so herrlich Blödsinn machen und genauso gut, sehr ernste Gespräche führen.Ich werde Dich immer in meinem Herzen behalten und bei jedem Bacardi an dich denken. Ich bin froh Dich kennengelernt zu haben und fast 30 Jahre erleben durfte.
    Igendwann sehen wir uns wieder , daran glaube ich ganz fest.
    Dein Lombadierle

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