FARFLUNG, BLACKLAND, KHUDA, 20.10.2010, Epplehaus, Tübingen

Farflung

Foto: Lino

„Give the effect another turn of the screw“, sagt man im Englischen – wie in Henry James‘ Novelle – für „noch einen drauf setzen”, für „noch um einen Ticken überbieten“. Im Psychedelic (Rock) bildet das schon seit seinen Anfängen in den 1960ern das primäre Stilprinzip. Nichts konnte zu verdreht, zu abgedreht sein. Nach jedem Vorstoß in diesen musikalischen LSD-Trip – nicht umsonst spricht man ja auch von Acid Rock – würde sich jemand finden, um der Schraube noch einen Dreher zu geben.

Klang-Puristen sagen ja, dass gute Musik immer daran zu erkennen sei, dass man sie auch auf anderen Instrumenten spielen könne, weil sie aus Noten und nicht nur aus Klängen besteht. Der Anhänger des Psychedelic muss dem natürlich vehement widersprechen. Hier ist der Klang das Programm, eben genauso programmatisch formuliert mit Pink Floyds „Echoes“ vom 1971 erschienenen Album „Meddle“, einem Stück, das in seiner Struktur und Länge (23:31 Minuten) nur noch durch die Speicherkapazität einer Schallplattenseite beschränkt wurde. „Der Sound ist wichtig, und das sollte auch immer die Hauptsache bleiben,“ sampeln in diesem Sinne auch The Walruz im Intro zum Album „One Way Ticket“.

Solche Klangtüftler gibt es in vielen musikalischen Bereichen, sei es nun der große Ernst Horn von unter anderem Deine Lakaien, der Stuttgarter Pianist Steffen Wick, der Ambientmusiker Peter Andersson oder Stephen O’Malley, der bei Sunn O))) musikalische Mahlsteine zusammenschraubt. Und es gibt sie im Tübinger Epplehaus.

Khuda

Foto: Lino

Schon auf den ersten Blick zeigen sich hier völlig verdrehte Verhältnisse. Khuda, die den Abend eröffnen werden, haben ihre Instrumente vor der völlig leeren Bühne aufgebaut, wodurch sie mitten in diesem ehemaligen gutbürgerlichen Wohnzimmer stehen. Nur mit Schlagzeug und Gitarre fahren die zwei Briten auf – und mit einem knappen Meter Effektgeräten. Mehr brauchen Sie auch nicht, oder eigentlich müsste man sagen: Mehr Instrumente darf man denen auch auf keinen Fall geben. Schon so führen sie uns an die Grenze des Fassbaren.

In Stücken wie „Pirsig“ kann man sich verlieren. Es fängt ganz einfach auf der Basis einer Melodie aus vier Tönen an, die Gitarrist Tom Brooke dann – per phrase sampler – live sampelt und als Endlosschleife fortlaufen lässt. Darüber baut dann das ganze Stück auf, wie man das auch von God Speed You! Black Emperor kennt: als eine Art musikalischer Baumkuchen. Tom spielt eine zweite Melodie darüber, ähnlich einfach, sampelt sie, loopt sie. Als dritte Stimme dann ein Paar Riffs. Sampeln, loopen. Dann eine vierte Melodie. Dazu erweist sich Steve Myles als Virtuose des Schlagzeugs, der einen ungewöhnlichen Rhythmus nach dem anderen hervorzaubert, gepaart mit einer Vielzahl phantastischer Fills. Während die Musik im Ganzen zwischen den dezentesten Tönen – etwa indem Tom den Korpus seiner Gitarre mit den Fingerspitzen in Schwingung versetzt – und donnernden Riffs pendelt, arbeitet Steve in analoger Weise vom feinsten Anspiel seiner Becken bis zu ungeheuerlichen Ausbrüchen, bei denen man meint, Vishnu selbst säße am Schlagzeug.

Und wenn Tom nicht mit seinen spitzen acht Euro Schuhen im Tarantelschritt um das Schlagzeug tanzt und bangt, bedient er Fußtaster um Fußtaster seiner Effektgeräte, beugt sich hinunter, nimmt Feineinstellungen vor, dreht hier, schraubt da. In „Tallinn“ ist das ein fortdauerndes Tüfteln und Optimieren wie bei einer chirurgische Operation, welche die Musik in irgendwelche psychedelischen Weiten führt. Und am Ende der Stücke dann holt uns Tom mit seinen sympathischen Ansagen immer wieder auf den Boden zurück: „This is a new song. But I guess it’s all new to you anyway.“ Neu. Überraschend. Und hochwillkommen! Wie dieser gerade mal vor zwei Tagen geplante Auftritt.

Blackland

Foto: Lino

Blackland haben an diesem Tag leider den Schwarzen Peter gezogen. Der Tourbus, mit dem sie und Farflung in Italien unterwegs waren, hatte eine Panne, und so waren sie erst um 18:00 in Genua aufgebrochen. Wie sie die über 600 Kilometer dennoch bis kurz nach elf hinter sich gebracht haben, wird wohl das Geheimnis von Willer, dem Gitarristen und Sänger bleiben, der das Steuer inne hatte. Khuda dehnen ihr Set aus, bis draußen der Bus vorfährt. Dann setzt hektisches Treiben ein, um die bis dahin so seltsam leere Bühne zu füllen.

Joe Satriani hat einmal gesagt, dass sich ein hervorragender Musiker nicht dadurch auszeichne, dass er unter hervorragenden Bedingungen Hervorragendes leiste, sondern dass er unter den schlechtesten Bedingungen immer noch Gutes leiste. Und das führen uns Blackland dann auch vor. Heavy Psyche nennt man in Italien diese Art von Musik – ein Ausdruck, der bei uns vollkommen unbekannt ist. Es handelt sich dabei um einen Crossover aus Psychedelic und Metal mit starken Einflüssen aus der lebendigen Progressive Rock-Szene des Italiens der 1970er und 80er Jahre. Der Aufbau der Stücke von Blackland funktioniert im Grunde genommen genau umgekehrt wie derjenige Khudas, denn sie gehen von bluesigen und rockigen Strukturen aus und überfluten diese mit psychedelischen Elementen. Die Riffs werden gedehnt, bis sie sich zäh bewegen wie Lava. Jammige Passagen entwickeln sich zu Klangflächen aus Wah-Wah-Sounds, aus denen dann wieder fast punkige Uptempo-Riffs herausbrechen.

Die beiden Gitarren spielen zweistimmig, werden für die Hauptriffs dann wieder parallel geführt, wodurch diese einen massiven Sound gewinnen. Es ist das zweite Mal heute Abend, dass man einen Gitarristen sieht, der seine Gitarre mit der rechten Hand anschlägt, während er nach unten gebeugt mit der linken an den Reglern seiner Effektgeräte dreht. Aber weil zwei der vier Italiener Gitarristen sind, sieht man das dieses Mal sogar doppelt. Die Gitarren verlieren dabei ihren typischen Klang und bilden ganz eigenwillige Flächen.

Schade, dass Catena, Pinna und Willer auf der Bühne so statisch sind. Das kann man ihnen bei dem Tag, den sie in den Knochen haben, ja auch nicht verdenken. Einzig der Schlagzeuger Nicola bringt mit seiner irrwitzigen Mimik ein nichtmusikalisches Show-Element ein, das freilich schon in seiner Rolle als Doomraiser-Frontmann herausstach. Bis Samstag in Nürnberg werden sie auf jeden Fall wieder auf dem Damm sein. Ich bin gespannt.

Farflung

Foto: Lino

Und dann die Amerikaner mit ihrem Frontmann, der aussieht, als arbeite er als Gebrauchtwagenhändler. Mucho Maas lässt grüßen. Farflung bringen gleich mehr Bewegung auf die Bühne, obwohl sie sich mit ihrem Synthesizer-Aufbau nicht viel Platz lassen. Live klingen sie um einiges psychedelischer als auf Platte. Seltsame Soundeffekte treffen auf ruhelosen Gitarrenmelodien, die klingen wie eine wütende, frische Variante der Monster Magnet zu „Dopes to Infinity“-Zeiten. Hawkwind werden da natürlich auch einige als Referenz genannt sehen wollen.

Auch hier haben wir wieder das Spiel an den Effektgeräten und vor allem den Synthesizern vor uns. Da wird an Knöpfen gedreht und an Reglern geschraubt. Allerdings wird der Klang der Gitarren auch mit ganz klassischen Mitteln manipuliert, so spielt einer der Gitarristen über weite Strecken mit einem Bottleneck. Das Mikro dient dem Sänger Tommy Grenas teilweise nur als ein Impulsgeber für den Synthesizer: Er singt, er pustet dagegen, er faucht – und dabei hat er immer mindestens eine Hand an irgendeinem Regler, dreht und schraubt. Daraus entstehen schwebende Klänge gemischt mit seltsamen tierartigen Geräuschen, die mich an Pink Floyds „Several Species of Small Furry Animals Gathered Together in a Cave and Grooving with a Pict“ erinnern – das aber gepaart mit Metal-Riffs, strömend und durchdringend – während auf der Bühne wie im Publikum viele mit geschlossenen Augen mehr nach innen blicken; die Band selbst scheint sich ohnehin schon irgendwann vor längerer Zeit ins Nirvana gespielt zu haben.

Auch wenn alle anderen nur in Skalen von eins bis zehn operieren (und Spinal Tap bis elf), hatten wir hier heute Abend eine Reihe von Bands vor uns, welche der Schraube jeder Zeit noch einen Dreher extra verpassen, bis es den letzten gordischen Synapsenknoten zerrissen hat und die Pforten der Wahrnehmung weit offen stehen…

3 Gedanken zu „FARFLUNG, BLACKLAND, KHUDA, 20.10.2010, Epplehaus, Tübingen

  • 23. Oktober 2010 um 16:57 Uhr
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    ein Pynchon Link, das wird den Walter freuen.
    Wie lang ging’s denn noch? Wir sind ja so um eins gegangen.

  • 23. Oktober 2010 um 20:27 Uhr
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    Ich hab‘ nicht auf die Uhr gesehen. Es war wohl etwa halb zwei, denn um zwei sind wir gegangen.

  • 24. Oktober 2010 um 15:12 Uhr
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    Der Vergleich von Birgit muß noch erwähnt werden: Der Sänger von FF sieht aus wie Jürgen von der Lippe.
    Tut er.

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