URBAN PRIOL, 15.10.2010, Theaterhaus, Stuttgart
Der Hofnarr – eine Figur, die keinen festen Stand inne- und deshalb keiner Standesregel zu genügen hat, keiner Norm verpflichtet ist. Er steht gewissermaßen außen, im Abseits, und gilt bei Hofe als jener, der ausreichend Narrenfreiheit genießt, um dem Establishment und auch ihrer Majestät selbst den grausamen Eulenspiegel des Humors vorzuhalten. Bisweilen ist er in heiliger Mission, bisweilen mit dem Leibhaftigen im Bund, stets aber in der Rolle des Mahners unterwegs, der die Mächtigen daran erinnert, wie leicht und schnell der Verfall drohen kann.
Allein, die Zeiten sind andere geworden. Die Höfe stellen keine Narren mehr ein. Und so müssen jene Narren, die doch nur zu gerne unter den Mächtigen verweilen würden, ihres Hofstaates, ihres guten Auskommens und der Schellen beraubt von Marktplatz zu Marktplatz tingeln. Als Clown, als Schelm, als Harlekin, manchmal als Joker, das gemeine Volk stets vor Augen.
Urban Priol ist einer jener verstoßenen Hofnarren. Er ist Clown, Schelm, Harlekin und Joker in Personalunion. Und zwar ganz traditionell mit Halbglatze, Steckdosen-Haarkranz, einer rotrunden Brille und einem bunten Hemd. Weit hat er es gebracht, bis zum Leiter einer Irrenanstalt im ZDF, doch trotzdem, ein Rest Rachedurst gegen jene, die ihm eine angemessene Stelle verweigern, bleibt – und so ist er, was man verstehen muss, stinksauer auf die Kanzlerin.
Also rein in die gute Stube des Theaterhauses, Urban Priols Quälgeisterei live erleben, mal sehen, was er im Gepäck hat. Gut besucht ist der Laden allemal, das große (züngelnd durchgerechnete) Einmaleins lässt eine Schätzung von runden 600 bis 700 Gästen zu. Stände, Alter, Bildung und sonstige Merkmale der sarrazin’schen Biometrie scheinen gleichverteilt, erkennbar wurde manche Stuttgart-21-Grimasse an der Garderobe abgestreift, es herrschen Erwartungsfrohsinn und Wohlwollen.
Priol betritt die Bühne unter frenetischem Saalapplaus, der die Personenkultgrenze zumindest streift. Ansatzlos beginnt sein Galopp, quer zum Publikum, pendelnd zwischen einem Bartischchen an Steuerbord und einer Tisch-Stuhl-Kombination an Backbord, ein Galopp, der am Ende gefühlte fünf Kilometer umfassen wird. Das ist aber noch nichts gegen den Streifzug durch die (aktuelle) politische Landschaft, auf den Priol das Publikum mitnimmt.
Hier nur einige Themenstichpunkte: Stuttgart 21 (natürlich), Integration, Energiekonzerne, Opelflop, Google-Street-View, Finanzkrise, Kirche, Internet, Wehrpflicht, Privatfernsehen (Neun-Live, Astrochannel), Gesundheit, Griechenland, Atompolitik, Hartz-IV, und selbstverständlich FDP, CDU-CSU, SPD, die Grünen.
Oder, in vier Wörtern: Zuallermeist hinreichend abgegraste Weiden.
Die Präsentation dieses weitgehend strukturlosen bunten Allerleis wechselt munter, mal hält Priol den Finger direkt in die Wunde, mal parodiert er die Figuren, welche mit dem jeweiligen Thema in Verbindung gebracht werden, mal wechselt er ins exemplarische Privatleben und schildert persönliche Eindrücke, stellenweise führt er Kurzsketche in Form von Zwiegesprächen auf. Hinzu kommen fingierte Telefonanrufe der „Tochter“ oder der „Gattin“ und vorgelesene Zitate, stets mit affektierter Empörung kommentiert.
Dem regelmäßigen Applaus, dem Johlen und Jubeln des Publikums, manchmal unterstrichen von trampelnden Beinen (!), tut das keinen Abbruch, man hat es vermutlich mit einer Fangemeinde zu tun.
Priols großes Laster sei an dieser Stelle übrigens nicht unerwähnt: Merkel, Mappus, Seehofer, Köhler, Brüderle – Westerwelle, Steinbach, Homburger, Zu Guttenberg, Sarrazin – Rösler, Lindner, Bosbach – ja sogar Ballack und längst Vergangene wie Kohl, Strauß und Barschel – sie alle kriegen ihr Fett ab.
Mit Verlaub, dieser Auftritt von Urban Priol ist schlimmes, über weite Strecken nerviges und langweiliges Gesinnungskabarett. Und zwar das von der schlechteren Sorte. Es fehlt jede Programmatik, nicht ein Hauch von Struktur ist erkennbar, nicht mal ein Themenschwerpunkt oder eine auch nur ungefähre Richtung ist in diesem faden Kalauergemisch auszumachen. Geschwätziges, unoriginelles, eitles Polit-Bashing, das vermutlich luschdig sein soll, weil Luschdigkeit keine Grenzen und kein Pardon kennt, wechselt mit Stuttgart-21-Anbiederei ans Publikum. Der oberflächliche Effekt steht im Zentrum aller Mühen, es herrschen Einfalt und Beliebigkeit, manchmal hat man das Gefühl, Priol erzählt, was ihm gerade einfällt.
Und so bleibt von diesem Abend nicht viel mehr als eine handvoll gelungener Gags.
25 Euro. Das sind (Minimum) zwei Tankstellen-Sechser und zwei Schachteln Begleitkippen. 25 Euro in Scheinen erzeugen für runde zehn Sekunden ein solides Pärchen Handwärme, und der gig-blog-Cayenne lässt sich dafür bei Vollgas mindestens zehn Kilometer auf der A8 Gassi führen.
Empfehlung: Legt das Geld besser so an.
Mönsch Jo,
das ist ja schon dein zweiter Verriss hier! Was ich aber noch fragen wollte: Sind es nicht diese Weiden, die man von einem Kabaretisten erwartet, daß er sie abgrast?
Gibt es überhaupt noch kleinere Themen? ;-)
Ansonsten echt gut!
BigB
Korrektur: Es war ja schon fast die dritte…
Also ich zähle nur einen Verriss, Miller und Lüdecke waren imo okay.
Ich denk, es kommt drauf an, wie der Kabarettist die Weiden abgrast … :)
Grüßle …
Jo