WATAIN, DESTRÖYER 666, OTARGOS, 06.10.2010, Rockfabrik, Ludwigsburg
Metal war von Anfang an eine Jugendkultur, die auf Provokation gesetzt hat. Und die bürgerliche Gesellschaft, die auf geordneten Konsum, die Ausblendung politischer wie teils sozialer Probleme und schließlich die Tradierung des Christentums bedacht war, bot ihr im Gegenzug viel Angriffsfläche. Zunächst reichten noch lange Haare und Nieten, später provozierten Bands wie Twisted Sister oder Mötley Crüe durch Auftritte in Damenunterwäsche, woran sich auch gleich zeigt, dass es in aller Regel darum geht, Spaß an der Provokation zu haben. Aber auch das Böse und der Teufel mussten schon früh herhalten – etwa bei Black Sabbath, den Begründern des Metals schlechthin.
Das Problem bei derartig serienmäßiger Provokation ist aber, dass sie sich abnutzt. Man kennt das schon – und damit gelingt auch die Provokation nicht mehr. Gut, vielleicht findet man mit etwas Glück noch einen Hinterwäldler, aber generell muss immer wieder etwas Neues her, um es wieder zu schaffen, dass jemand laut aufschreit: „Das stinkt zum Himmel.“ Black Metal ist ohne Zweifel seit den frühen 1980er Jahren die Frontier der Provokation und leider in den frühen 1990er Jahren der Punkt, an dem alles außer Kontrolle gerät (nachzulesen bei Moynihan und Søderlind: „Lords of Chaos“). Für junge Metal-Bands, die heute, nach bald 40 Jahren, noch an der Provokationsschraube drehen wollen, gibt es nur noch wenig Spielraum, sofern sie nicht wie einige ihrer norwegischen, schwedischen oder deutschen Vorläufer einen acht bis einundzwanzigjährigen Promotionsaufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt absolvieren wollen. Da hilft nur noch musikalische Qualität oder eine Provokationsnische, in die sich noch keiner rein gewagt hat.
Nimmt man beispielsweise die französische Band Otargos, welche die Black Metal-Nacht in der Ludwigsburger Rockfabrik eröffnet, sieht man schon das Problem: Mit ihrem von Blutspritzern inspirierten Corpsepaint, ihren pseudo-Brustpanzern und der Lederkleidung haben sie sich mit allen Standardaccessoires ausgestattet – aber eben nur Standard. Leider verhält es sich mit der Musik ähnlich, denn aus ihren vier Alben bekommen sie heute gerade mal zwei Songs heraus, die auf mehr Potential als Durchschnitt hoffen lassen. Und dabei spielen sich die vier sichtbar die Seele aus dem Leib. Eine ganz originelle Variante der Mikroständerdekoration stellt dagegen der Totenschädel mit nach oben gebogenem Rückgrat dar, während die Bühne fast ausschließlich in rotes Licht getaucht ist, das zu den Laserpointern passt, die kreuz und quer durch den Raum strahlen (vor der Bühne nicht ganz ungefährlich). Insgesamt hebt sich die Band aber leider nicht von den Heerscharen ihresgleichen ab. Wenn man besonders böse erscheinen und zeigen will, wie ernst man das alles nimmt, muss man schon etwas mehr bringen.
Natürlich kann man sich das auch sparen. Um mehr Bierspaß als Bierernst zu bekommen, ist es dann allerdings notwendig, sich etwas vom Black Metal zu entfernen. Genau das geschieht dann bei Deströyer 666, einer australischen Band von großem Unterhaltungswert, wie man dem Publikum im mittlerweile ziemlich gestopften Club 2 ansieht, das vor der Bühne sofort einen Läusemarkt aufmacht. Deströyer 666 spielen Thrash Metal mit Einflüssen von Death und Black Metal, aber eben Thrash Metal. Da kann man sich viel Getue sparen – inklusive übermäßigem Provokationswillen. Thrash Metal ist jetzt nicht so meins, aber dennoch fährt einem die Musik in den Nacken, und ich freue mich, gelegentlich Anklänge an alte Klassiker wie Sepultura zu „Beneath the Remains“- und „Arise“-Zeiten oder an Possessed zu hören.
Nach diesem kurzen Ausflug in musikalisch und thematisch andere Gefilde geht es nun aber zum Hauptakt des Abends und damit zurück zum Black Metal. Mit Watain werden wir gleich eine Band sehen, die vom Rock Hard unlängst als „weltweit populärste ‚echte‘ Black-Metal-Band“ bezeichnet wurden. Erst vor wenigen Wochen hat mir Watain auf dem Summer Breeze das Blut in den Adern gefrieren lassen. Und nicht nur bei mir sind die Erwartungen sehr hoch. Schon musikalisch braucht man bei Watain keine Abstriche zu befürchten, auch wenn sie nicht ganz an Mayhem und Emperor heranreichen. Und auch sonst braucht man keinen besonders feinen Riecher, um zu wissen, dass man mit Watain eine Band vor sich hat, die sich traut, weiter über der Grenze der menschlichen Zivilisation hinauszugehen als alle anderen vor ihnen.
Man hat ja schon viel gehört, was Metal-Bands auf den oberen Sprossen der Provokationsleiter sich so alles einfallen lassen: Da ist etwa Glen Benton, der sich ein umgedrehtes Kreuz auf die Stirn brannte und bei Auftritten seiner Band Deicide blutige Eingeweide ins Publikum warf; oder schon erwähnte Norweger Mayhem, die mit frischen Tierkadavern auf der Bühne hantieren und deren Ex-Sänger Maniac sich als Teil seiner Bühnenshow gelegentlich aufschlitzte, wie auch das Cover von „Mediolanum capta est“ zeigt; und als letztes Beispiel Ozzy Osbourne, der – angeblich aus Versehen – auf der Bühne einer Fledermaus den Kopf abbiss.
Das ist alles nicht Standard, war aber alles schon mal da. Was also tun? Und an dieser Stelle nun kommt Watain ihr Verwesungsfetisch zupass. Der lässt sich beispielsweise mit literweise verdorbenem Ochsenblut ausleben oder, wie in unserem Fall, durch sechs im fortgesetzten Zustand der Verwesung befindliche Schafsköpfe – Schafsköpfe hatten wir bei Mayhem schon, aber in diesen Verwesungsgrad sind sie geruchsmäßig eine Ganzkörpererfahrung.
Und dann wollen sie einen auch packen, die fünf Schweden, wenn sie großartige Stücke wie „Sworn to the Dark“ spielen. Das könnte einem wirklich durch und durch gehen. In der Tat ist an diesen Stücken die religiöse Qualität zu spüren, welche die Band ihnen beimisst, in ihrer ganzen verdrehten Ideologie aus Einflüssen des Misanthropic Luciferian Order beziehungsweise ihres verstorbenen Kumpels Jon Nödtveidt (Dissection) und einer bizarren Umkehr der christlichen Religion (da wird einem erst richtig bewusst, dass das Christentum noch vor Bathory und Venom den größte Einfluss auf den Black Metal hat). Mächtig, hymnisch ist die Musik und kantig wie Stacheldraht. So etwas liebe ich. Wenn nur die stinkenden Schafsköpfe nicht wären. Und dann hatte ich halt auch noch gesehen, dass Sänger Erik Danielsson auf dem Summer Breeze irgendetwas Verdächtiges und vermutlich noch bestialischer Riechendes ins Publikum geleert hat. Es tut mir leid, aber das wäre mir dann jetzt wirklich zu viel. Ich passe also höllisch auf, dass ich nicht im falschen Moment zu weit vorne stehe. Meine Wachsamkeit macht mir heute allerdings ein wenig den Musikgenuss und jene durch die phantasievollen Kostüme und die Bühnendekoration aus Kerzen, umgedrehten Kreuzen und Räucherwerk geschaffene Stimmung ziemlich kaputt.
Und wisst ihr was? Das stinkt zum Himmel.
Was sagt der Experte zur anstehenden Asphyx-Show (plus massig Support) am 23.10.?
Was kann man davon erwarten?
Sauberer Bericht!
Sehr informativ und unterhaltsam, Claus.
Und tolle Fotos!!!
Hast Du, Toxic, Asphyx schon mal live gesehen? Ich hatte letztes Jahr – lieber spät als nie – auf dem Hammer of Doom in Würzburg das Vergnügen. Dort spielten sie ein Set aus ihren langsamen Songs, weil ja Doom-Festival. In der Rockfabrik werden sie keine solchen Einschränkungen kennen.
Also wenn Du jemals einen richtigen Arschtritt wolltest … dort hast Du die Gelegenheit. Die Jungs kommen sympathisch rüber und lassen nichts anbrennen. Garantiert.
…jetzt erst gesehen, ok, danke. Es kann gut sein, dass ich die mal früher zu „The Rack“-Zeiten mal live gesehen habe, genau erinnern kann ich mich nicht mehr. Ich war oft auf Death-Metal-Konzerte bei denen gleich mehrere große Bands wie Carcass oder Napalm Death oder Death zusammen gespielt haben.
Gruß.